Quecksilber im Narwalzahn als Zeichen des Klimawandels | Polarjournal
Die Stosszähne von Narwalbullen sind mit ihren bis zu 3 Metern Länge imposante Werkzeuge. Lange Zeit war nicht klar, wozu sie dienen. Heute weiss man, dass sie neben einem Dominanzmerkmal auch ein Sinnesorgan in der Dunkelheit des Arktischen Ozeans sind. Bei den Zähnen handelt es sich um den oberen linken Eckzahn. Bild: Michael Wenger

Für die hocharktischen Meeresbewohner wie den Narwal ist der Klimawandel ein grosses Problem. Denn die stark angepassten Tiere und Pflanzen haben aufgrund der Geschwindigkeit, mit der die Veränderungen kommen, kaum eine Chance, sich neu anzupassen. Doch nicht nur Wärme oder Nahrungsveränderungen bringt der Wandel mit sich, sondern auch mehr Quecksilber aus menschlicher Produktion. Forscher haben nun festgestellt, dass sich das hochgiftige Element in den Stosszähnen von Narwalen stark angesammelt hat und so einen zusätzlichen Risikofaktor für das Überleben der Tiere bildet.

Das internationale Forschungsteam unter der Leitung von Runde Dietz und Jean-Pierre Desforges kam zu dem Schluss, dass Narwalzähne eine Art Archiv über Nahrungsgewohnheiten und auch Schadstoffansammlungen bilden. Sie fanden durch Untersuchungen von Isotopen von Stickstoff und Quecksilber heraus, dass sich die Nahrungsgewohnheiten der Tiere in den vergangenen sechzig Jahren verändert haben. Ausserdem hat sich die Menge an Quecksilber in den Zähnen in den letzten 20 Jahren stark vergrössert. Dies führt das Forscherteam zum einen auf mehr Luftschadstoffe aus Südostasien zurück, die durch Wind- und Wetterveränderungen verstärkt in die Arktis transportiert werden; zum anderen könnte auch der natürliche Quecksilberkreislauf durch die Klimaveränderungen und das schmelzende Meereis durcheinandergekommen sein. Dadurch hat sich die Menge an Quecksilber in Narwalen angesammelt, in Abhängigkeit von ihrem Alter. Je älter ein Tier war, desto höher war die Menge. «Narwalen fehlen die physiologischen Eigenschaften, die dabei helfen, Umweltschadstoffe zu eliminieren», erklärt Rune Dietz, Professor an der Aarhus Universität in Dänemark. «Sie können nicht das Quecksilber loswerden, in dem sie es in Haaren oder Federn ablagern wie Eisbären, Robben oder Seevögel.»

Die markanten Stosszähne von Narwalen sind vor allem bei den Bullen zu finden. Die Tiere haben nur einen Zahn, den oberen linken Eckzahn, der aus einer Öffnung ragt und, wie alle Zähne von Säugetieren, lebendes Material ist. Blut- und Nervenbahnen durchziehen den Zahn und er erhält so alle Nährstoffe. Dies führt dazu, dass auch Schadstoffe und bestimmte chemische Stoffe, Isotope, sich im Zahnmaterial ablagern, in Wachstumsschichten, ähnlich den Ringen bei Bäumen. Um aber genügend Probenmaterial zu erhalten, wurden 10 Zähne aus Nordwestgrönland, genauer aus Thule und Uummanaq, die von Jägern im Verlaufe der Zeit erlegt worden waren, untersucht. Die Tiere waren unterschiedlich alt und gaben so einen guten Überblick über die Zeit von 1962 bis 2010. Die Analysen von Stickstoff und Kohlenstoffisotopen zeigte, dass sich die älteren Tiere bis etwa Mitte der 1990er Jahre in erster Linie von Meereis-liebenden Tieren wie Polardorsch und Grönländischem Heilbutt ernährt hatten. Doch mit dem einsetzenden Rückgang des Meereises wurden immer mehr pelagische Fischarten wie Lodde gefressen.

Nicht nur in Narwalen wurden stark erhöhte Quecksilbermengen festgestellt. Auch in vielen anderen Tieren, von Fischen über Vögel bis zu Eisbären und Menschen ist das Schwermetall nachgewiesen worden, teilweise weit über den Grenzwerten. Bild: Michael Wenger

Gleichzeitig stieg auch der Gehalt an Quecksilber immer mehr an. Quecksilber ist ein hochgiftiges Element, das bereits in kleinen Mengen schwere Schäden an Nerven und Gehirn verursachen kann. «Schwermetalle wie Quecksilber und andere Schadstoffe sammeln sich in jedem Teil des Nahrungsnetzes an», erklärt Jean-Pierre Desforges, der als Post-Doktorand an der McGill-Universität arbeitet. «Je höher man im Netz sitzt, desto mehr Quecksilber sammelt sich im Laufe des Lebens im Körper an.». Erhöhte Werte wurden nicht nur in Narwalen gemessen, sondern in vielen anderen Tierarten auch, von Fischen über Vögel bis hin zu Eisbären und sogar mittlerweile in Menschen. Dabei zeigte sich auch, dass die Grenzwerte teilweise weit überschritten worden waren. Es sind also nicht nur Narwale, sondern alle Bewohner der Arktis, die nicht nur mit dem Verlust ihres Lebensraumes, sondern auch mit einer immer steigenden Verschmutzung fertig werden müssen.

Narwale jagen in Gruppen nach Fischen. Die Tiere nehmen dabei ihre Umwelt mit ihren Stosszähnen wahr und spüren die Fische auf. In der Gruppe können sie besser und effizienter jagen. Doch ihr Beuteschema hat sich aufgrund des Klimawandels und des schmelzenden Eises verändert. Video: Michael Wenger

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Dietz et al. (2021) Current Biology 31 (1-8) Analysis of narwhal tusks reveals lifelong feeding ecology and mercury exposure; DOI:https://doi.org/10.1016/j.cub.2021.02.018

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