Der Schiffsverkehr ist der Motor der globalen Wirtschaft. Der grösste Teil der weltweit verschickten Waren wird auf Schiffen transportiert. Wie wichtig dabei effiziente und sichere Routen sind, hat sich mit der Stilllegung des Suez-Kanals vor einige Woche gezeigt. Auch Routen durch arktische Gewässer sind immer beliebter geworden. Russland konnte den Anteil an Gütern entlang der Nordostpassage in den vergangenen Jahren massiv steigern. Doch auch die Nordwestpassage entlang der kanadischen Küste hat kräftig an Fahrt gewonnen.
Zwischen 2013 und 2019 sind 44 Prozent mehr Schiffe, die rund 107 Prozent weitere Strecken in der Nordwestpassage zurückgelegt haben, verzeichnet worden. Diese Zahle präsentierte die Arbeitsgruppe zum Schutz der arktischen Meeresumwelt PAME des Arktisrates vorgestern den Medien. Neben der Zahl der Schiffe und deren Strecke stieg auch die Grösse der registrierten Schiffe an: 2013 fuhren gerade mal zehn Schiff mit einer Tonnage zwischen 25’000 – 49’000 Tonnen durch die Wasserstrasse, waren es 2019 48 und damit die grösste Gruppe von Schiffen. Insgesamt waren nur bei der zweitkleinsten Tonnage-Gruppe ein Rückgang zu verzeichnen gewesen, alle anderen Gruppen zeigten Zuwachsraten von bis 380 Prozent.
Auch in der Art der Schiffe, die durch die Nordwestpassage gefahren sind, sind Unterschiede erkennbar. Waren es 2013 vor allem Fischereischiffe, Container- und andere Frachtschiffe, nahm die Zahl der ersteren um 35 Prozent ab, während die beiden anderen Typen von 18 auf 48, bzw. von 15 auf 25 in den sechs Jahren angestiegen sind. Die Zahl der Kreuzfahrtschiffe, die mindestens einmal die Passage durchfahren hatte, stieg auch an, aber bei weitem nicht so stark wie die Frachtschiffe. Eine Betrachtung der Flaggenstaaten zeigt einerseits wenig überraschend, dass Kanada mit Abstand die meisten Schiffe entlang der Route geschickt hat. Auf den dahinterliegenden Plätzen folgen Billig-Länder wie die Marschall-Inseln und Panama. Interessanterweise ist die Zahl der unter niederländischer Flagge fahrenden Schiffe als erstes Nicht-Billig-Land ebenfalls stark gestiegen.
Die Arbeitsgruppe zeigt in ihrem Bericht sehr deutlich, dass die Schiffe von den sechs möglichen Routen durch die Nordwestpassage sich vor allem auf die küstennahen Routen konzentrieren. Die kann zum einen mit der Grösse der Schiffe zusammenhängen, da auf den Routen auch kleinere Tiefgänge möglich sind. Doch gleichzeitig sind diese Routen auch schwieriger zu durchfahren, da viele Bereiche Untiefen und andere Navigationshindernisse aufweisen. Ausserdem sind an den Küstenbereichen häufiger Meeressäuger wie Belugas unterwegs, die dort jagen und sich paaren. Zusätzlich besteht durch die schwierigen Passagen die Gefahr von Havarien mit Untiefen, Felsen und auch Eisbrocken. Denn die Passage ist zwar aufgrund der Klimaerwärmung häufiger passierbar. Trotzdem treiben in den Fahrrinnen immer wieder Eisbrocken, die für nicht-eisverstärkte Schiffe eine Bedrohung darstellen. Aufgrund der Abgeschiedenheit der Region hätten Havarien dramatische Folgen für das empfindliche arktische System.
Für die Ortschaften entlang der Nordwestpassage stellen die Schiffe neben den Flugzeugen die einzige Verkehrsanbindung dar. Neben den Gütern, die gebracht werden, sind transportieren sie auch Rohstoffe nach Süden zur Weiterverarbeitung. Ausserdem stellen die ankommenden Schiffe eine Einnahmequelle dar, sei es aufgrund von Gebühren, Versorgung und Besuchern. Daher sind auch kleinere Schiffe wie Jachten und kleine Passagierschiffe willkommen in den Orten. Deren Zahl hat nach Angaben der PAME seit 2013 zugenommen, zumindest noch bis 2019. Denn seit Beginn der COVID-Pandemie ist die Nordwestpassage de facto geschlossen. Einige wenige Spezialschiffe und Schlepper sind zwar noch in der Region. Doch grundsätzlich ist die Passage wie sie einst Roald Amundsen 1906 vorgefunden hatte: weit, wild… und leer. Dies dürfte jedoch nur noch bis zum Ende der Pandemie andauern. Danach wird wohl auch diese Wasserstrasse, deren Erkundung so viele Menschenleben gekostet hatte, wieder an Fahrt aufnehmen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Link zum Bericht: PAME – Arctic Shipping Status Report #3