Die Eiswelt, oder Kryosphäre, weltweit besteht neben dem Meereis und den Eiskappen auch aus etwa 220’000 Gletschern. Doch diese Gletscher sind durch die globale Erwärmung massiv bedroht. Wie stark aber, war bisher nur lokal oder regional erfasst worden. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der ETH Zürich hat die Lage global untersucht und ist zu einem niederschmetternden Ergebnis gekommen: Mehr als 5’300 Gigatonnen Eis sind in nur 20 Jahren verschwunden, mit steigender Geschwindigkeit.
Die Arbeit, die nach Angaben der Autoren, die umfassendste Studie zum Thema «Gletscherschwund», konnte zeigen, dass praktisch überall zwischen den Jahren 2000 und 2020 die Gletscher an Volumen (Masse und Fläche) verloren haben. Die geschmolzene Menge an Eis könnte die gesamte Fläche der Schweiz jedes Jahr sechs Meter unter Wasser setzen, wie die ETH Zürich schreibt. Insgesamt hat diese Menge an Eis in den vergangenen zwanzig Jahren rund ein Fünftel pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg beigetragen.
Auch die Geschwindigkeit, der diesen Verlust herbeigeführt hat, haben die Forscher berechnet. Und dabei zeigten die Resultate, dass sich das Tempo verstärkt hat. Denn in den ersten vier Jahren des Untersuchungszeitraumes betrug der jährliche Verlust knapp 227 Gigatonnen. Diese Rate war auf 298 Gigatonnen pro Jahr am Ende des Zeitraumes, also zwischen 2015 und 2019 angestiegen. Dieses Ergebnis ist auch für die Eiskappen Grönlands und der Antarktis belegt.
Überraschenderweise sind aber nicht alle Regionen gleichstark von steigenden Abschmelzraten betroffen. So sind beispielsweise die Gletscher in Ostgrönland und einige Gletscher in Island und Skandinavien weniger stark davon betroffen gewesen, wie das Team schreibt. Grund dafür sind wahrscheinlich Wetteranomalien im Nordatlantik mit tieferen Temperaturen und höheren Schneefallmengen. Der Schwund in Ostgrönland beträgt nach Angaben der Forscher aber immer noch 13 Gigatonnen pro Jahr. Auch die russische Arktis mit ihren Gletschern auf den verschiedenen Inseln entlang der Nordostpassage sind etwas weniger stark geschmolzen. Die höchsten Verlustmengen in den Polargebieten aber verzeichnen Alaska (66.7 Gigatonnen pro Jahr), die kanadische Arktis (57.1 Gigatonnen pro Jahr) und die Gletscher in der Antarktis, die nicht Teile der Eiskappen sind (20.9 Gigatonnen pro Jahr). Nimmt aber noch das Tempo dazu, sind Island und die Alpen neben Alaska und Westgrönland am stärksten betroffen.
Das Forschungsteam um Hauptautor Romain Hugonnet, Doktorand an der ETH Zürich und der Uni Toulouse, nutzte für die exakten Berechnungen stereoskopische Aufnahmen des ASTER-Moduls, welches am NASA-Satelliten «Terra» hängt. Die Umlaufbahn dieses Satelliten ist so gewählt, dass jeder Punkt täglich zum gleichen Zeitpunkt erfasst wird. Durch die Multispektral-Bilder von ASTER konnten die Forscher so exakte Höhenkarten der Gletscher erstellen und genau den Höhen- und Flächenverlust, der durch das Abschmelzen ausgelöst wird, erstellen. Durch einen Vergleich mit den Daten der NASA Missionen ICESat und IceBridge erhielt das Team so eine zeitliche Abfolge der Massen- und Dickenverluste der knapp 220’000 katalogisierten Gletscher.
Die Auswirkungen, die dieser Rückgang hat, sind nicht nur im Anstieg des Meeresspiegel spürbar. Milliarden von Menschen sind von den Gletschern als Trinkwasserversorger abhängig. Daher muss das Augenmerk nicht nur auf die schwindenden Eiskappen und das Meereis gelegt werden. Wie wichtig diese Daten des Forschungsteams sind, zeigt sich daran, dass sie in den nächsten Klimazustandsbericht der IPCC eingebaut werden. «Auf politischer Ebene sind unsere Erkenntnisse wichtig. Die Welt muss jetzt wirklich Hand anlegen, damit wir Punkto Klimaänderung das Schlimmste noch abwenden können», erklärt der ETH und WSL-Gletscherforscher Professor Daniel Farinotti, der auch Mitautor der Studie ist. Weitere Institutionen neben der ETH und der Universität Zürich, Uni Fribourg und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL sind die Universitäten von Toulouse und Grenoble, die Ulster University, die Universität Oslo, die University of British Columbia.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal