UPDATE: US Atom-U-Boot legt nahe Tromsø an | Polarjournal

UPDATE: Die USS „New Mexico“, ein Angriffs-U-Boot der Virginia-Klasse der US Marine ist gestern bei Tønsnes angedockt. Dies berichten verschiedene norwegische Medien gestern. Das 115 Meter lange U-Boot sei aus logistischen Gründen und basierend auf dem NATO-Kooperationsabkommen zwischen den USA und Norwegen angedockt, erklärte eine Sprecherin der norwegischen Streitkräfte. Eine Gefahr bestehe für die Bevölkerung durch das seit 2008 in Dienst stehende U-Boot nicht. Man habe volles Vertrauen in die US-Technologie und die Kontrollen. Über der Region wurde eine Flugverbotszone eingerichtet, die während drei Tagen aufrechterhalten werden soll. Militärische Kräfte seien vor Ort, um den Schutz des U-Bootes und der Bevölkerung zu garantieren. Doch bei letzterer ist der Besuch alles andere als gern gesehen. Mehrere Lokalpolitiker und zahlreiche Bürger hätten gegen das U-Boot und die Entscheidung der norwegischen Regierung, nuklear betriebene Schiffe andocken zu lassen, protestiert. Bei einer Volksabstimmung 2019 hatte sich eine Mehrheit dagegen ausgesprochen. Doch die Regierung in Oslo überstimmte die Entscheidung.

Von Flugplätzen in Nordnorwegen aus unternehmen Hercules-Flugzeuge der norwegischen Luftwaffe Transport- und Übungsflüge in die Barentsregion. Diese ist sowohl wirtschaftlich wie auch strategisch sowohl für Norwegen wie auch Russland enorm wichtig. Bild: Stefan Leimer

Die Arktis wird in absehbarer Zeit nicht mehr die gleiche sein. Sie erwärmt sich durch die Treibhausgase doppelt so schnell wie der Rest des Planeten. Seit die Klimaerwärmung das Eis in der Arktis schmelzen lässt, verwandelt sich die unwirtliche Region in einen potenziellen Wirtschaftsraum. Neue Schiffsrouten, die ohne Eisbrecher befahrbar sind und die bisher unerreichbaren Rohstoffvorkommen wecken Begehrlichkeiten. Der Streit um territoriale Fragen und die Rohstoffgewinnung wird also zunehmen. So erstaunt es nicht, dass die NATO und Russland in dieser Region ihre Muskeln spielen lassen. Und mitten drin liegt Norwegen, der einzige arktische NATO-Partner mit einer direkten Grenze zu Russland.

Was der NATO Sorgen bereitet, ist die militärische Aufrüstung Russlands in der Region. In den vergangenen Jahren stationierte Moskau Mittelstreckenraketen auf zahlreichen Militärbasen. Und auf der Inselgruppe Franz-Josef-Land können jetzt MIG-Jagdflugzeuge und Bomber landen. Regelmässig registriert die NATO simulierte Luftangriffe auf nordnorwegische Radaranlagen oder beobachtet russische U-Boote, die in Formation an der norwegischen Küste vorbei in den Atlantik ziehen. Als Antwort darauf führt die NATO Übungen durch, die in unmittelbarer Nähe zu norwegisch-russischen Grenze stattfinden. Die norwegischen Streitkräfte schreiben dazu auf ihrer Webseite: «Um Freiheit, Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Stabilität in unserem Teil der Welt zu gewährleisten, ist es wichtig, dass Norwegens Verbündete und Partnerländer regelmäßig zusammenarbeiten.»

Niklas Granholm (Deputy Director bei der Swedish Defence Research Agency) beschreibt den Strategiewechsel der NATO wie folgt: «Die NATO setzt neu auf das sog. «offshore balancing». Statt auf die Stationierung von Landstreitkräften setzt man nun vermehrt auf See- und Luftstreitkräfte, die schnell bewegt und eingesetzt werden können. Das ist die Militärstrategie für die Verteidigung Skandinaviens.»

U-Boote in der Region um Tromsø sind keine Seltenheit. Die norwegische Regierung hat nun beschlossen, nördlich der Hafenstadt eine Basis für Atom-U-Boote zu erstellen und hat die lokale Bevölkerung zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Bild: USS Seawolf in einem Fjord nahe Tromsø im August 2020, US Navy via Wiki Commons

Im Rahmen der neuen Strategie ist auch vorgesehen, dass in Zukunft nuklearangetriebene U-Boote den Hafen von Grøtsund bei Tønsnes nördlich von Tromsø anlaufen dürfen. Bisher wurde einzig der Hafen in Haakonsvern bei Bergen für solche Manöver benützt. Bei der lokalen Bevölkerung stösst die – im wahrsten Sinne des Wortes – Aussicht auf atomgetriebene Kriegsschiffe allerdings auf weniger Begeisterung als bei den skandinavischen Regierungen. Frank Bakke-Jensen, der Verteidigungsminister Norwegens meint dazu aber lapidar: «Das Anlaufen von atomgetriebenen Kriegsschiffen entspricht der etablierten Praxis und sicherheitsrelevanten Erfordernissen. Die Nutzung des Industriehafens verursacht für die norwegischen Streitkräften keine fixen Kosten. Sie müssen nur die Bewachung der U-Boote während des Aufenthalts sicherstellen.»

Norwegen erhält regelmäßig Anfragen von britischen, französischen und amerikanischen Schiffen mit Reaktorantrieb. In den letzten Jahren hat die Zahl der Anfragen von militärischen reaktorangetriebenen Schiffen deutlich zugenommen. Von 10 bis 15 Anrufen pro Jahr vor einigen Jahren bis hin zu aktuell 30 bis 40 Anrufen pro Jahr. Seit der Schließung von Olavsvern außerhalb von Tromsø im Jahr 2009 ist der Marinestützpunkt Haakonsvern außerhalb von Bergen die einzige Anlaufstelle für reaktorbetriebene Schiffe in Norwegen. In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass bereits in der Vergangenheit atomare U-Boote einen Bunker bei Olavsvern südlich von Tromsø anliefen. Diese Basis war einst ein wesentlicher Bestandteil der NATO-Verteidigung in Nordeuropa, wurde aber 2009 geschlossen und 2013 an ein norwegisches Unternehmen verkauft. Die unterirdischen Bunker werden im Internet als Anlaufstelle für die Erdöl- und Erdgasindustrie angepriesen: 3000 Quadratmetern Tiefsee-Kai und 124 verfügbare Schlafzimmer stehen zur Verfügung. Ausgerechnet russische Schiffe gehörten zu den ersten Mietern. Kein Wunder, stösst der Verkauf der Anlage in Norwegen inzwischen auf heftige Kritik. Jetzt, wo Moskau seine Präsenz in der Arktis erhöht, könnte Norwegen den Stützpunkt im hohen Norden wieder gut gebrauchen.

Nördlich von Tromsø liegt die kleine Gemeinde Tønsvik. Hier sollen nach dem Willen des norwegischen Verteidigungsministers in Zukunft nuklear-betriebene U-Boote anlegen und Nachschub erhalten können. Bild: Michael Wenger via Google Earth

Aufgrund der Entwicklung der Sicherheitspolitik im Norden und der damit verbundenen Nachfrage nach einem Anlaufhafen in Nordnorwegen haben die Streitkräfte beantragt, im Industriehafen Tønsnes in Tromsø, wieder einen Anlaufhafen für reaktorbetriebene Schiffe einzurichten. Angesichts dieses Entscheides mussten die norwegischen Streitkräfte eine Risiko- und Schachstellenanalyse erstellen. Die Knacknuss dabei: Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind nicht öffentlich einsehbar. Was die die Verunsicherung bei der Bevölkerung wachsen lässt und die Gerüchteküche weiter anheizt. Die Gemeinde Tromsø hatte das Anliegen, reaktorbetriebene U-Boote aufzunehmen, zwar bereits 2019 zurückgewiesen, wurde aber von der norwegischen Regierung überstimmt.

Die neue Anlaufstelle in Tønsvik liegt nahe bei Tromsø und in unmittelbarer Nähe des UNN Spitals, das grösste und wichtigste Universitätsspital in Nord-Norwegen. Bei einem nuklearen Zwischenfall könnte es zu der paradoxen Situation kommen, dass das Spital einerseits evakuiert, anderseits aber die betroffenen Patienten aufnehmen sollte. 2019 brannte 500 Meter vom Spital ein russischer Trawler aus. Auf Grund der starken Rauchentwicklung musste im Spital die Belüftung gestoppt und die Operationen ausgesetzt werden. Anschliessend wurden die Notfallpläne und Prozesse angepasst. Aber eine Gesamtevakuierung des gesamten Spitalkomplexes ist nach wie vor nicht vorgesehen, so Marit Lind, die stellvertretende Direktorin vom UNN.

«Bekanntlich ist es auch nichts Neues, dass alliierte reaktorgetriebene Schiffe Häfen in der Region Tromsø anlaufen.»

Frank Bakke-Jensen, norwegischer Verteidigungsminister

Am vergangenen Montag, dem 3. Mai hatte das Verteidigungsministerium daher zu einem öffentlichen Treffen für die Einwohner der Gemeinden Tromsø, Karlsøy, Lyngen und Skjervøy eingeladen. Am Informationsanlass waren u.a. der Verteidigungsminister Frank Bakke-Jensen und politische Vertreter der Region, der Direktion für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (DSA) zugeschaltet. Ziel des Meetings war es, die Bevölkerung zu informieren und für Fragen zur Verfügung zu stehen. «Ich habe großen Respekt vor der Tatsache, dass sich die Einwohner von Tromsø und den umliegenden Gemeinden unsicher gefühlt haben und klare Antworten wünschen», erklärte der Verteidigungsminister in einer Zusammenfassung am nächsten Tag. «Ich hoffe, dass das öffentliche Treffen dazu beigetragen hat, die Unsicherheit zu verkleinern.»

Für die norwegischen Streitkräfte ist die Beobachtung der Barentsregion von grösster Bedeutung. Denn nahe der gemeinsame Grenze mit Russland liegt der grösste russische U-Boot-Stützpunkt. Mit Aufklärungsflugzeugen wie der Orion P3 patrouilliert die Luftwaffe regelmässig die norwegischen Hoheitsgewässer auf der Suche nach russischen U-Booten. Bild: Stefan Leimer

Auch wenn das Risiko eines Zwischenfalls grundsätzlich als klein eingeschätzt wird. Die Auswirkungen bei Entweichen von Radioaktivität auf Grund eines GAUs wären verheerend: Tote und langfristig verstrahlte Menschen, massive Schäden an Natur und Umwelt und Evakuierung von Siedlungen. Szenarien, wie man sie von Fukushima noch in «bester» Erinnerung hat.
Bei einem nuklearen Zwischenfall auf einem Militärschiff sind die Streitkräfte für die direkte Schadensbekämpfung vor Ort verantwortlich. Die lokalen Behörden übernehmen die Evakuierung und bekämpfen die Umweltverschmutzung. Es geht nicht nur um direkte Umgebung von Tromsø. Die reaktorbetriebenen Schiffe und U-Boote fahren ja auch durch die Gebiete der Gemeinden Karlsøy, Lyngen und Skervøy. Allerdings verfügen diese Regionen heute weder über Messgeräte oder Schutzanzüge, noch über Erfahrung, Kompetenz und Ausbildung im Bereich nukleare Störung. Die Verantwortlichen Politiker sind sich dessen aber bewusst und nehmen diese Probleme nun in Angriff.

Die meisten «Besuche» werden auch in Zukunft in offenen Gewässern abgewickelt und dauern nur wenige Stunden. Nur wenn größere Nachschub- und Wartungsarbeiten oder Ruhezeiten für die Besatzung erforderlich sind, fährt das U-Boot in den Hafen ein und bleibt dort mehrere Tage. Wartungsarbeiten an den Reaktoren während des Aufenthaltes im Hafen sind durch die norwegischen Behörden allerdings verboten.

«Durch die Vorbereitung des Hafens von Grøtsund erleichtern wir alliierten Schiffen die Präsenz im Norden. Das ist wichtig für unsere Sicherheit.»

Frank Bakke-Jensen, norwegischer Verteidigungsminister

Eine der wichtigsten Fragen an den Verteidigungsminister war, ob U-Boote, die sich im Fjord vor Tromsø aufhalten, Atomwaffen an Bord haben. In den Unterlagen, die vor der Infoveranstaltung im Internet zur Verfügung gestellt wurden, wird auf die sog. Bratteli-Doktrin 2) von 1975 verwiesen: «Unsere Voraussetzung für ausländischer Kriegsschiffe war und ist, dass keine Atomwaffen an Bord transportiert werden. Die norwegischen Behörden erwarten, dass sowohl Verbündete als auch andere Atommächte dies respektieren…». Als Antwort erklärt Frank Bakke-Jensen: «Als die Regierung beschlossen hat, den Anruf alliierter reaktorgetriebener Schiffe in Grøtsund zu erleichtern, wurde die Entscheidung auf der Grundlage jahrzehntelanger Erfahrung getroffen. Wissen und Erfahrung zeigen, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein Unfall mit einem solchen verbündeten Schiff am Kai passieren würde. Bekanntlich ist es auch nichts Neues, dass alliierte reaktorgetriebene Schiffe Häfen in der Region Tromsø anlaufen. Solche Schiffe legten regelmäßig mehrere Jahrzehnte lang in Olavsvern an. Einige weisen darauf hin, dass es ein Militärhafen war und daher anders, aber die Wache, die wir in Grøtsund errichten werden, wird mindestens so umfangreich sein wie in Olavsvern. (…) Ich bin daher zuversichtlich, dass Grøtsund in den kommenden Jahrzehnten einen sehr positiven Beitrag zu unserer gemeinsamen Sicherheit leisten wird. Wir möchten, dass unsere Verbündeten mit uns und in unserer unmittelbaren Umgebung trainieren und üben. Auf diese Weise können sie sich darauf vorbereiten, uns zu unterstützen, falls in einer Krisensituation Bedarf besteht. Durch die Vorbereitung des Hafens von Grøtsund erleichtern wir alliierten Schiffen die Präsenz im Norden. Das ist wichtig für unsere Sicherheit.»

Ob die Einwohner der Region dies ebenso sehen?

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