Orcas sind die Top-Räuber in den Weltmeeren. Die intelligenten und anpassungsfähigen Meeressäuger haben sich eine grosse Bandbreite and Nahrungsquellen und -orte erschlossen. Auch in der Arktis sind die Tiere jährlich auf der Jagd, sei es nach Fischen, Walen oder Robben. Doch die Verschmutzung der Meere mit Schadstoffen beeinflusst auch die grössten Delfine. Ein internationales Forschungsteam hat nun entdeckt, dass die individuelle Nahrungsvorliebe bei Orcas Auswirkungen auf die Menge an Schadstoffen hat, die sich in den einzelnen Tieren ansammeln.
Das Team aus kanadischen, isländischen und dänischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fand in 50 untersuchten Orcas aus Island teilweise bis zu 300-fach höhere Werte an sogenannten PCBs (Polychlorinierte Biphenyle), die u.a. aus den Anti-Fouling-Anstrichen von Schiffen, aus Abgasen, aber auch aus industriellen Abwässern stammen. Interessanterweise, so stellt das Team fest, bestehen aber innerhalb der Gruppen von Orcas signifikante Unterschiede, auch zwischen den Geschlechtern. Das Team kam nach weiteren Analysen zum Schluss, dass der Grund dafür die unterschiedlichen Nahrungsvorlieben der einzelnen Tiere sein könnte. Studienleiterin Melissa McKinney, Assistenzprofessorin an der McGill-Universität in Kanada erklärt dazu: «Orcas sind die ultimativen Meeresräuber und weil sie an der Spitze des Nahrungsnetzes stehen, gehören sie zu den am stärksten kontaminierten Tieren auf diesem Planeten.»
Das Forschungsteam untersuchte Haut- und Körperfettproben, die mithilfe kleiner Pfeile den Tieren entnommen worden waren (minimal invasiver Eingriff). Danach analysierten sie zum einen die Konzentration von verschiedenen bekannten Schadstoffen; zum anderen wurde untersucht, woher die Nahrung der Tiere stammte. Dazu wurden Stickstoffisotope gemessen und verglichen. Es zeigte sich, dass die Orcas um Island vor allem aus zwei Nahrungstypen bestehen: denjenigen, die sich vor allem von Fischen (Herringen) ernähren und denjenigen die eine gemischte Ernährung aus Fisch und Meeressäugern bevorzugen. Und gerade letztere hatte bis zu 9-mal höhere PCB-Mengen in sich als die Fischjäger. «Die Konzentrationen von PCBs, die wir in den Walen, die eine gemischte Ernährung bevorzugen, gemessen haben, übertrifft sämtliche bekannte Toxizitätsgrenzwerte und haben sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf ihr Immun- und ihr Fortpflanzungssystem. Dadurch ist ihre Gesundheit stark gefährdet», erklärt Melissa McKinney weiter. Bei den einzelnen Tieren waren die Unterschiede sogar noch grösser und zwischen dem Tier mit der niedrigsten Menge und demjenigen mit der höchsten Menge an PCB im Körper lag ein 300-facher Unterschied.
In Bezug auf den festgesetzten Grenzwert für PCB-Belastungen, der klassisch bei rund 17 mg pro Kilogramm Fett liegt, waren zahlreiche Tiere weit über diesen Grenzwerten. Diese Erkenntnis des Teams ist umso überraschender, da bisher davon ausgegangen wurde, dass zum einen Orcas rund um Island nur geringe Belastungen von solchen Stoffen aufweisen würden. Zum anderen zeigte sich, dass die Werte ähnlich hoch sind, wie in Orca-Populationen im Nordpazifik. Ausserdem zeigte sich, dass innerhalb der Nahrungsgruppen die Weibchen höhere Unterschiede zwischen den Konzentrationen aufwiesen als die Männchen. Diese lagen alle in den ähnlichen Bereichen, egal in welcher Gruppe. Daraus folgern die Forscherinnen und Forscher, dass in Zukunft die individuelle Lebensweise der Tiere mit berücksichtig werden muss, wenn man Studien über Schadstoffbelastungen bei Orcas durchführt.
«Der nächste Schritt für uns ist es, den Anteil von Meeressäugern in der Nahrung von isländischen und auch anderen nordatlantischen Orcas zu bestimmen», sagt Doktorandin und Erstautorin Anais Remili. «Wir planen auch eine grosse Datenbank von Schadstoffen in Orcas des Atlantiks zu erstellen und die Gesundheitsrisiken zu quantifizieren, um so zu den Schutzbemühungen beitragen zu können.» Denn PCBs und die anderen in den Orcas festgestellten Stoffe wie DDT sind zwar schon länger verboten in den Industrieländern. Doch sie sind derart persistent, dass sie auch noch nach Jahrzehnten ihre schädlichen Wirkungen verüben, nicht nur in den Tieren, sondern auch in uns selbst.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal