«Die Anwesenheit der Frauen ist eine absolute Notwendigkeit, damit die Männer glücklich bleiben», schrieb Robert E. Peary einst und rechtfertigte mit diesem Argument wohl den Umstand, dass seine Frau Josephine Cecilia Diebitsch Peary ihn 1891 auf seine erste Grönland-Expedition begleitete – was in seiner Mannschaft für Zorn und Unmut sorgte. Vielleicht aber war dieser Spruch bloss eine Ausrede für den Umstand, dass seine Josephine schlicht und einfach von sich aus beschlossen hatte, ihren Mann in die arktische Wildnis zu begleiten.
Denn Josephine, am 22. Mai 1863 als Kind deutscher Einwanderer auf einer Farm in Forestville, Maryland, geboren und in Washington aufgewachsen, war schon als Kind eigenwillig und widersetzte sich als Jugendliche dem damaligen Selbstverständnis der Frauen: Sie bestand nach zwei Jahren Highschool darauf, in eine Wirtschaftsschule zu wechseln, und postulierte als Rednerin der Abschlussfeier, dass Frauen weit mehr können und sollen als Knöpfe annähen und Hemden bügeln. Es erstaunt deshalb nicht, dass Josephine ohne Zögern den Linguistik-Dozentenposten ihres Vaters am Smithsonian Institute in Washington übernahm, als dieser krank wurde – zum selben Honorar, das ihr Vater bezogen hatte. Sie war gerade mal 19 Jahre alt.
Josephine liess auch diesen jungen Ingenieur zappeln, den sie an einer Tanzveranstaltung in Washington kennengelernt hatte: einen gewissen Robert E. Peary, der in Nicaragua den Regenwald vermessen hatte und jetzt davon träumte, als erster Mensch den Nordpol zu erobern. Sie wollte nicht zu Hause auf ihren «absentee husband», den abwesenden Ehemann warten. Zwei Jahre nach der ersten Begegnung, 1888, heiratete sie ihn trotzdem. Die Liebe war stärker als Josephines Vorbehalte. Und weitere drei Jahre später begleitete sie ihn nach Nordgrönland, wo in der McCormick-Bucht das Basislager eingerichtet wurde. Sie war die erste weisse Frau, die so hoch im Norden überwinterte, was in der Internationalen Presse für grosses Aufsehen sorgte – derweil Josephine vierzehn Monate lang für die sechsköpfige Mannschaft Alk-Eintopf kochte, Knöpfe annähte – und auf Walrossjagd ging.
Angetan von der Wildnis im Eis und den Erlebnissen mit den Inuit, lernte Josephine von den Eingeborenen, führte akribisch Tagebuch und veröffentlichte 1893 ihren Erlebnisbericht «My Arctic Journal». Auch wenn diese Ausführungen geprägt sind vom damals herrschenden Rassismus (die Autorin nannte die Inuit «unsere Huskies», «die schmutzigsten Individuen, die ich je gesehen habe»): Josephines Notizen gehören zu den allerersten ethnologischen Berichten, in denen Angehörige fremder Stämme nicht bloss millimetergenau vermessen, sondern deren Alltag und Kultur detailliert beschrieben wurde.
Josephine war auch die erste weisse Frau, die im hohen Norden ein Kind gebar, im September 1893, als sie ihren Robert auf seiner zweiten Nordgrönland-Expedition begleitete. Ihr Kinderbuch «The Snow Baby» über die Geburt von Marie wurde ein Grosserfolg. Die junge Mutter hielt Robert auch die Treue, als sie 1900, zu Beginn ihres dritten Nordgrönland-Besuchs, entdecken musste, dass ihr Göttergatte ein Doppelleben führte und zwei Kinder mit einer Inuit hatte. Vielleicht tröstete sie sich mit dem Umstand, dass auch andere Crewmitglieder mit Inuitfrauen Kinder zeugten – die Männer waren immerhin bis zu drei Jahre weg von zu Hause. Josephine selbst gebar Bert, wie sie Robert nannte, drei Kinder, wobei das zweite im Alter von sieben Monaten verstarb.
Robert dankte Jo, wie er Josephine nannte, die Treue mit glücklichen letzten Jahren: nachdem er 1909 als erster Mensch vermeintlich den Nordpol erreicht hatte, lebte die Familie glücklich vereint in Amerika. Ohne sie, betonte er immer wieder, hätte er es nie bis zum Nordpol geschafft. Und ohne ihn, sagte sie, wäre ihr Leben leer gewesen. Josephine Peary starb am 19. Dezember 1955 im Alter von 92 Jahren. Nur wenige Monate vorher wurde sie von der National Geographic Society mit der Gold Medal Of Achievment geehrt, der höchsten Auszeichnung, die diese ehrwürdige Gesellschaft zu vergeben hatte. Josephine wurde neben Robert begraben, der 35 Jahre vor ihr das Zeitliche gesegnet hatte.