Gletscher und Eisschilde und ihr Beitrag zum Meeresspiegel | Polarjournal
Der Anstieg des Meeresspiegels durch das Abschmelzen der Eismassen an Land bedeutet, dass tiefliegende Gebiete überflutet werden. Damit dürfte auch die älteste antarktische Station Orcadas Geschichte werden. Viel schlimmer noch: Millionen von Menschen werden ihre Heimat verlieren. Bild: Michael Wenger

Schon seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler davor, dass die Erwärmung der Erde den Meeresspiegel massiv ansteigen lassen wird. Zahlreiche Studien haben sich mit dem Thema befasst und Prognosen erstellt, wie gross der Anteil der verschiedenen Faktoren dabei sein wird, unter anderem auch der an Land liegenden Eismassen. Eine neue und sehr umfassende Studie hat nun zum ersten Mal die Anteile von Gletschern und Eisschilden zusammengefasst und Aussagen darüber gemacht, wie sich der Anstieg des Meeresspiegels unter verschiedenen Szenarien entwickeln könnte.

Eine internationale Gemeinschaft von Forscherinnen und Forschern haben sich in der Studie zusammengeschlossen und ihre Computer- und Statistikmodelle über die globalen Gletscher und Eisschilde miteinander kombiniert. Zu den Forschungsgruppen gehörten auch die Professoren Matthias Huss und Harry Zekollari von der ETH Zürich. Ihr Beitrag befasste sich mit den globalen Gletschern und der Modellierung ihres Verhaltens. «Diese Studie hat zum ersten Mal einen ganzheitlichen Ansatz verwendet. Das heisst, es wurden sowohl die Daten der mehr als 200’000 Gletscher auf der Welt, die nicht Teile der Eisschilde sind, mit den Daten der globalen Eisschilde verbunden und so der Anteil der Eismassen am Meeresspiegelanstieg berechnet», erklärt Matthias Huss gegenüber PolarJournal. «So konnten wir zeigen, dass bei einer sofortigen Umsetzung des Pariser Klimaabkommens durch ehrgeizigere Zusagen der Nationen der Anteil beim Meeresspiegelanstieg bis 2100 von 25 auf 13 Zentimeter reduziert werden könnte.» Die Ergebnisse der Studie wurden in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature mit Dr. Tamsin Edwards vom King’s College als Erstautorin veröffentlicht.

Nicht alle Gletscher in der Antarktis sind Teil der Eisschilde. Ein nicht unwesentlicher Teil gilt als «eigenständig» und müssen daher separat betrachtet werden, wenn es um den Anteil der antarktischen Eismassen am Meeresspiegelanstieg geht. Das gilt auch für die anderen Teile der Welt. Bild: Michael Wenger

Die Studie ist eine von zwei in Nature veröffentlichten Arbeiten, an denen ETH-Professor Matthias Huss beteiligt gewesen war. Die andere Arbeit betrachtete das Abschmelzen der Gletscher, die nicht Teile der grossen Eisschilde sind, bis ins Detail und auf globaler Ebene. «Mit der einen Arbeit betrachteten wir die Gegenwart und mit der neuen die Zukunft», sagt Matthias Huss. Dabei zeigte sich jedoch auch Überraschendes: Der Anteil dieser mehr als 200’000 Gletscher am Anstieg der Meeresspiegel bleibt gleich, egal welches Szenario man betrachtet. Dagegen ist «Rund die Hälfte des durch das Abschmelzen der Eismassen an Land verursachten Anstiegs wird von den Gletschern verursacht», erklärt Professor Huss. «Das zeigt, dass die Gletscher sensibler auf die Klimaänderungen reagieren als die Eisschilde und dass sie eine kurze Reaktionszeit aufweisen.»

Der Eisschild Grönlands ist der zweitmächtigste Eispanzer der Welt. Genährt aus zahlreichen Gletschern bedeckt er rund 81 Prozent der Insel. Doch mehrere grosse Schmelzereignisse in den vergangenen Jahren zeigten seine Anfälligkeit auf die Klimaerwärmung. Bild: Michael Wenger

Ganz anders verhalten sich die Eisschilde, gemäss der Studie. Für Grönland wird zwar eine Reduktion um bis zu 70% des Verlustes prognostiziert, wenn man das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen würde. Doch die Antarktis und deren Eisschilde ist die grosse Unbekannte in den ganzen Vorhersagen. «Während man für Gletscher relativ genaue Daten hat und so vorhersagen kann, wie empfindlich sie auf die Klimaerwärmung reagieren, sieht es für die Antarktis anders aus», sagt Matthias Huss. Auch ein Team des Alfred-Wegener-Instituts, das an der Studie beteiligt war und Simulationen aus der Antarktis beigesteuert hatte, erklärt, dass es für die Antarktis schwer vorherzusagen ist, wie sie sich verhalten wird. Denn sie reagiert langsamer als die Gletscher. «Das ganze System in der Antarktis ist sehr komplex und wir entdecken immer neue Faktoren, die mit hinein spielen», meint Matthias Huss.

Der Eispanzer von Antarktika besteht aus zwei Eisschilden und zahlreichen einzelnen Gletschern. Während für die Gletscher genauere Vorhersagen erstellt werden können, ist es aufgrund der Grösse der Eisschilde und der Komplexität der Systeme schwierige zu sagen, wie schnell Reaktionen auf die Klimaerwärmung stattfinden werden. Bild: Michael Wenger

Die Aussagen über das Verhalten der Antarktis haben vor allem am oberen Ende der Prognosen eine wesentliche Rolle. Dr. Tamin Edwards meint dazu: «Die Chance, weniger als 28 Zentimeter zu betragen, anstatt des derzeitigen oberen Endes von 40 Zentimeter beträgt 95 Prozent. Dies würde einen weniger starken Anstieg der Überschwemmungen an den Küsten bedeuten.» Doch auch ein «Worst-Case»-Szenario mit einer sehr empfindlichen antarktischen Antwort wurde erstellt, mit verherrendem Resultat: selbst bei einer Begrenzung auf 1.5°C würde der Meeresspiegel bis 2100 um über 40 Zentimeter ansteigen und es besteht sogar eine Wahrscheinlichkeit, dass es über 56 Zentimeter gehen könnte. Das würde die Möglichkeiten, die Auswirkungen des Anstieges massiv einschränken, kommen die Autorinnen und Autoren zum Schluss. Das bedeutet, dass die Politik ihr Hochwassermanagement sehr flexibel halten muss, bis genauere Daten aus der Antarktis vorliegen.

«Die Gletscher könnten sich bis 2070 – 2080 stabilisieren und in eine Gleichgewichtsphase gelangen, in der sie sich an das neue Klima angepasst haben.»

Professor Matthias Huss, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie, ETH Zürich

Dieses Problem besteht bei den Gletschern weniger. «Wir erwarten bei den Gletschern keinen Knalleffekt in Bezug auf die Antwort auf die Klimaerwärmung», meint Matthias Huss. Im «Best-Case»-Szenario, wenn also die Staaten am bevorstehenden Klimagipfel in Glasgow im November ihre Zusagen massiv verbessern und sofort umsetzen würden, wäre sogar etwas Positives für die Gletscher drin. «Die Gletscher könnten sich bis 2070 – 2080 stabilisieren und in eine Gleichgewichtsphase gelangen, in der sie sich an das neue Klima angepasst haben», sagt Professor Huss. «Doch dazu müsste die Politik jetzt handeln.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Edwards, T.L., Nowicki, S., Marzeion, B. et al. Projected land ice contributions to twenty-first-century sea level rise. Nature 593, 74–82 (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-03302-y

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