Geben und Nehmen im Seilziehen um US-Arktische Ölförderung | Polarjournal
Das grösste US-amerikanische Naturschutzgebiet in der Arktis, das Arctic National Wildlife Refuge, war seit Jahrzehnten Schauplatz eines Hin und Her in Sachen Ölförderung. Nun hat die US-Regierung die von der Trump-Administration verkauften Förderrechte wegen rechtlichen Mängeln auf Eis gelegt. Bild: C. Paxson-Woelber, CC-BY SA 3.0

In der Politik ist die Kompromissfindung einer der Grundpfeiler eines demokratischen Systems. Dieser Grundsatz scheint nun auch wieder in der US-amerikanischen Energiepolitik Einzug zu halten. Denn die gegenwärtige Regierung unter Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris hat in den letzten sieben Tagen gleich zwei Entscheidungen in Bezug auf Öl- und Gasförderungen im Norden von Alaska gefällt, die einen Kompromiss zwischen Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung der Region darstellen.

Gestern machte US-Innenministerin Deb Haaland die Ankündigung, dass das von der vorherigen Regierung Trump erstellte Leasing-Programm zur Förderung von fossilen Brennstoffen im Arctic National Wildlife Refuge ANWR «mehrfache rechtliche Mängel» aufweise. Aus diesem Grund setze das Ministerium bis auf weiteres alle Aktivitäten aus, die im Zusammenhang mit den verkauften Lizenzen stehen. Gemäss der Meldung müsse erst eine «neue, umfassende Analyse der möglichen Umweltauswirkungen des Öl- und Gasprogramms erstellt werden». Der vorherigen Regierung Trump wurden eklatante Mängel bzw. unzureichende Analysen und Versäumnisse bei der Untersuchung von Alternativen bei der Erstellung des Leasingprogrammes vorgeworfen.

Das umkämpfte Gebiet am North Slope, der Arktisküste von Alaska, ist zweigeteilt. Auf der einen Seite liegt das grösste Naturschutzgebiet der USA in der Arktis. Daneben liegt das National Petroleum Reserve, in welchem schon seit Jahrzehnten Öl und Gas gefördert werden. Hier soll das neue Willow-Projekt von ConocoPhllips bis zu 300 Millionen Fass Öl fördern. Umweltschützer und Inupiatverbände sind enttäuscht. Karte: US Geological Survey

Doch diese guten Neuigkeiten aus dem ANWR östlichen Teil des Alaskan North Slopes werden relativiert durch eine Meldung, die nur wenige Tage vom US-Justizministerium veröffentlicht worden war. Darin wird nämlich die Unterstützung eines grossen Förderprojektes der Firma ConocoPhillips im weiter westlich gelegenen National Petroleum Reserve Alaska (NPRA) zugesagt. Dieses Projekt war unter der Vorgängerregierung erlaubt worden, trotz zahlreicher Einsprachen von Umwelt- und lokaler Einwohnerverbände. Diese gaben grosse Bedenken bei den Umweltverträglichkeitsstudien an und hatten von der Regierung Biden einen Rückzug erhofft. Doch das Justizministerium und auch Innenministerin Deb Haaland erklärten, dass die zuständigen Behörden vor der Zustimmung durch die Regierung Trump sämtlichen Umweltschutzgesetzen gefolgt waren und alles richtig gemacht hätten. Das Brisante an der Sache: Innenministerin Haaland hatte, damals noch Abgeordnete im Kongress, gegen das Projekt stark protestiert und den betroffenen Ureinwohnerverbänden, die gegen das Projekt waren, ihre volle Unterstützung zugesichert.

Die drei Schlüsselfiguren in der ganzen Geschichte: Die beiden Senatoren von Alaska, Lisa Murkowski und Dan Sullivan (links, mitte) und die US-Innenministerin Deb Haarland. Die beiden Senatoren hatten die Nominierung Haarlands als erste indigene Ministerin der USA unterstützt, trotz der Opposition Haarlands in ihrer Zeit als Kongressabgeordnete bei den beiden Projekten, die für die beiden Senatoren eine Herzensangelegenheit geworden sind. Bilder: US Government via Wikicommons

Bei beiden Entscheidungen der Regierung gibt es nun sowohl Zustimmung und lobende Worte wie auch Kritik und Enttäuschung. Auf der einen Seite kommen lobende Worte für den Entscheid im NPRA nicht nur von der Wirtschaft, sondern viel wichtiger, von Seiten der republikanischen Senatoren Lisa Murkowski und Dan Sullivan. Beide sind grosse Kritiker der Regierung Biden, hatten aber entgegen der Mehrheit ihrer Parteikollegen die Ernennung von Deb Haarland als erste indigene Ministerin unterstützt. «Dies ist ein guter Tag für Alaska», hatte Senatorin Murkowski gegenüber der Zeitung Anchorage Daily News nach der Entscheidung letzte Woche noch erklärt. Nun aber meinte sie gegenüber den Medien, dass der Entscheid zwar nicht überraschend, aber dennoch ungeheuerlich sei. Ihr Kollege Dan Sullivan musste sich diesbezüglich nicht gross wenden. Bereits letzte Woche hatte er zwar das o.k. für das Willow-Projekt begrüsst, aber gleichzeitig wieder vor dem Ausblick gewarnt, dass die Biden-Administration «hinter den Jobs der Alaskaner her sei».

Der North Slope von Alaska ist ein enorm wichtiges Wildtierrefugium für die arktische Fauna. Neben den stark unter Druck stehenden Eisbären der Beaufortsee-Population und den Grönlandwalen entlang der Küste, sind es vor allem die Wasservögel und die riesigen Rentierherden, die im Sommer in den Gebieten grasen. Die Rentiere sind ein wichtiger Faktor bei den lokalen Inuit als Nahrungs- und als Kulturgut. Bild: USFWS

Auch von Seiten der lokalen Ureinwohnerverbände gibt es Kritik und Lob. Während die Gwich’in, im ANWR den Entscheid der Biden-Administration begrüssen und feiern, fühlen sich Inupiat-Vertreter im Gebiet des NPRA von der Regierung hintergangen, nicht zu Unrecht. Denn Joe Biden hatte sich während des Wahlkampfes klar gegen die Förderung von fossilen Brennstoffen in der US-Arktis gestellt und auch jetzt immer wieder die Öl- und Kohlepolitik seines Landes an den Pranger gestellt. Als eine seiner ersten Amtshandlungen erliess er als neuer Präsident einen Stopp aller Aktivitäten im ANWR, damit die von seinem Vorgänger Trump noch in den letzten Wochen seiner Amtszeit verkauften Förderechte nicht umgesetzt werden konnten. Doch das «Willow»-Projekt von ConocoPhillips, immerhin rund 300 Millionen Fass gross, könnte mit der Entscheidung letzte Woche nun leichter endgültig durchgehen. Geplant sind fünf Bohrstellen, hunderte von Kilometern von Pipelines und Strassen, eine Raffinerie und sogar eine Kiesmine. Die Inupiatverbände, die ihre Heimat in Gefahr sehen, haben bereits angekündigt, gegen den Entscheid vor Gericht zu ziehen. Auf der anderen Seite sind die Gesichter der Firmen und der Befürworter der Förderung im ANWR sehr lang geworden. Denn mit der gestrigen Entscheidung könnte ein wichtiger Schritt gemacht worden sein, den jahrzehntelangen Kampf um die Förderung im grössten arktischen US-Naturschutzgebiet endlich zu beenden. In jedem Fall zeigt sich klar, dass trotz aller guten Absichten und markigen Worte die Realität komplexer und in der Regel voller Kompromisse ist. Zum Guten oder zum Schlechten hängt dabei von der Perspektive ab.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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