Das Jahr 2020 ist für viele wohl das Jahr, «das es nicht gab». Denn die Pandemie hatte alles im Griff und der Versuch, das Virus und seine Mutationen fernzuhalten, liess viele Bereiche des Lebens stillstehen. Auch die Forschungssaison in der Antarktis war davon betroffen. Die nationalen Forschungsprogramme wurden auf das Minimum heruntergefahren, Stationspersonal musste Tests und lange Quarantänen durchlaufen, um zu den Forschungsstationen zu gelangen. Die kommende Saison steht nun vor der Tür und die Koordinatoren der Programme planen eine Rückkehr zur Normalität. Doch es stehen enorme Herausforderungen in vielen Bereichen an, die nicht so einfach zu lösen sind.
An ihrem alljährlichen Treffen liessen die COMNAP-Mitglieder (Gremium der Leiter nationaler Antarktisprogramme) verlautbaren, dass sie beabsichtigen, ihre Aktivitäten in der Antarktis in der kommenden Saison wieder zu erhöhen und ein «nahes Level wie vor der Pandemie» zu erreichen. Besonderes Augenmerk, so heisst es in einer Pressemitteilung, solle auf die verstärkte Unterstützung des wissenschaftlichen Personals gelegt werden. Das heisst, mehr Personal sollen wieder zu den Stationen gebracht werden, um die Fortsetzung von Forschungsprogrammen, Langzeitbeobachtungen und den kontinuierlichen Fluss von wichtigen Daten zu gewährleisten. Ausfälle und Datenlücken, die nach der vergangenen Saison teilweise entstanden sind, sollen diese Saison vermieden werden. Dabei wollen die COMNAP-Mitglieder die strengen Sicherheits- und Gesundheitsprotokolle weiterführen und erneuerte dazu seine entsprechenden Regeln.
Die Regeln der COMNAP, die dafür sorgen sollen, dass das Virus in dieser Saison keinen Weg nach Antarktika findet, sind nur ein Teil eines komplexen Vorgangs. Die nationalen Antarktisprogramme haben neben den COMNAP-Regeln auch noch eigene Protokolle und müssen zusätzlich den Protokollen und Massnahmen in den sogenannten «Gateway»-Ländern, wie beispielsweise Neuseeland, folgen. Von diesen Ländern aus werden die meisten Flüge und auch Versorgungsfahrten mit Eisbrechern gestartet, um Zeit, Geld und Energie zu sparen. Und nun stellen diese Länder einen «Flaschenhals» dar, der die Logistik der nationalen Forschungsprogramme vor grosse Herausforderungen stellt. Und COVID ist nur ein Teil der Probleme.
Neuseeland hat seine Grenzen seit Beginn der Pandemie dicht gemacht. Nur mit Sondergenehmigungen ist eine Einreise möglich. Und selbst dann müssen alle Einreisenden in Quarantäne in einer MIQ (Managed Isolation and Quarantine)-Einrichtung. Diese vom Staat eingerichteten Zentren sind Hotels, in denen Einreisende 14 Tage in Quarantäne müssen, unabhängig davon, ob man Impfungen bzw. einen negativen PCR-Test oder eine durchgemachte COVID-Erkrankung zertifiziert hat. Ausserdem müssen die Plätze selbst bezahlt werden. Soweit, so gut. Doch das Problem ist, dass nicht genügend Plätze für die Antarktisprogramme zur Verfügung stehen, wie Recherchen einer neuseeländischen Zeitung gezeigt haben. Die Plätze seien ausgebucht und weitere Plätze zu eröffnen liege in der Entscheidungsgewalt der Regierung, erklärt die MIQ-Verantwortliche Rose King gegenüber der Zeitung. Freie Plätze, die über ein Belegsystem gebucht werden können, sind nach eigenen Recherchen gegenwärtig bis Ende November nicht verfügbar. Das ist ein riesiges Problem, denn einige Länder hatten geplant, ihr Personal ab Christchurch nach McMurdo einfliegen zu lassen. Beispielsweise hatten Italien und Südkorea insgesamt 230 Leute für Oktober und November geplant. Auch die USA, die McMurdo betreiben, haben mehrere hundert Personen für den Start der Antarktissaison ab Neuseeland geplant.
Diesen logistischen Flaschenhals wollen einige Länder umgehen und haben bereits angekündigt, auf andere Gateways auszuweichen. Doch für die Ostantarktis stehen nur noch Hobart auf Tasmanien und Kapstadt in Südafrika zur Verfügung. Und diese beiden Länder kämpfen ebenfalls mit Problemen: Die Einreise nach Australien ist COVID-bedingt zurzeit nur mit Ausnahmegenehmigungen und langen Quarantänezeiten möglich, die ebenfalls teuer sind. Und in Südafrika hat sich neben COVID auch noch die politische Lage in den letzten Wochen verschlechtert und Krawalle, Plünderungen und Gewalt sind gegenwärtig an der Tagesordnung. Ob sich die Situation in den nächsten Wochen wieder entspannt, ist zurzeit noch nicht abzusehen. Doch für die Planungssicherheit der Programme bedeutet dies zusätzliche Probleme. Bleiben noch die beiden südamerikanischen Gateways Ushuaia und Punta Arenas. Beide dienen als Startpunkte für die Versorgung der Stationen entlang der antarktischen Halbinsel und im westlichen Weddellmeer. Auch hier spielt die COVID-Situation in Chile und Argentinien die wesentliche Rolle. Zwar haben beide Länder ihre Impfkampagnen gestartet und bereits Erfolge erzielen können. Doch mit Auftreten der Delta-Varianten sind Lockerungen wieder rückgängig gemacht worden und besonders Argentinien hat sich wieder vom Flugverkehr abgeschottet. Ushuaia und Punta Arenas versuchen zurzeit, Ausnahmen für internationale Flüge zu erhalten, auch mit Blick auf die kommende Tourismussaison, deren Start ebenfalls noch in den Sternen steht.
Als letzte Möglichkeit in Richtung Antarktis bleiben noch die Falklandinseln oder teure und schwierige Langstreckenflüge direkt nach Antarktika. Die Falklands hatten bereits letztes Jahr für die deutschen und britischen Antarktisprogramme eine wesentliche Rolle als Startpunkt gespielt und mithilfe von Versorgungsschiffen und aufwändigen Rekordflügen ab Europa konnten Material und Menschen zu den Stationen gebracht werden. Norwegen dagegen liess sein Stationspersonal direkt nach Antarktika fliegen, um das Sommerteam mit dem Überwinterungsteam auszuwechseln. Solche Flüge dürften jedoch dieses Jahr wieder nur die Ausnahme sein. Sicher ist, dass die Planer der nationalen Antarktisprogramme in den kommenden Wochen vor grossen Herausforderungen stehen werden, um ihr Personal sicher auf den weissen Kontinenten bringen zu können.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal