Die Hitzewelle in den USA und in Kanada schlägt seit Wochen Rekorde um Rekorde. Schuld daran ist nach Angaben der Meteorologen eine ungewöhnlich starke Ausbuchtung im Jetstream, welche die Hitze über dem nordamerikanischen Kontinent festhält. Doch was für die Kanadier eine heisse Katastrophe ist, bedeute etwas weiter östlich einen Gewinn, zumindest für den grönländischen Eisschild.
Nach Angaben von Experten dänischer Forschungsinstitutionen in der Arktis hat der grönländische Eisschild in diesem Juli ungewöhnlich hohe Massenzuwachse verzeichnet. Vor allem der Nordwesten der Insel, im Bereich der Davis-Strasse wurden am 2. Juli Zuwachsmengen von bis zu 30 Millimeter gemessen. Das bedeutet nach Angaben von «Polar Portal», dem Zusammenschluss verschiedener dänischer Forschungseinrichtungen für die Arktis, ein Massewachstum um mehrere Gigatonnen pro Tag netto im Vergleich zum 30-jährigen Durchschnitt.
Auch das europäische Satelliten-Programm «Copernicus», welches mit mehreren Sentinel-Satelliten Erdbeobachtungen unternimmt, meldete am 9. Juli statt Schmelzvorgänge den Zuwachs der Gletscher in Grönland mit einem Bild vom Kangerlussuaqfjord. Dort sollten normalerweise Fluten von Schmelzwasser von den Rändern des Eisschildes abfliessen und sich in den Fjord ergiessen. Doch auf der Aufnahme sind lediglich die üblichen Seen und sehr trockene Flussbette zu erkennen. Auch auf der Eisoberfläche sind kaum Schmelztümpel und- bäche zu sehen.
Der Grund für den ungewöhnlichen Zustand mitten in der Schmelzsaison liegt nach Angaben von Experten an der Hitzewelle, die Kanada bereits seit Wochen im Griff hat. Diese hat ihren Ursprung in einer sehr starken und ungewöhnlichen Ausbuchtung des Jetstreams nach Norden. Dadurch wird aber gleichzeitig kalte Luft über Nordwestgrönland festgehalten, was zu tieferen Temperaturen und mehr Schneeansammlungen über den Gletschern führt, schreibt die ESA-Agentur. Auch die dänischen Forschungsinstitute, zu denen das dänische meteorologische Institu gehört, erklären dieses Phänomen mit der Hitzewelle. Auf Meteo-Karten ist deutlich die Kaltluft über dem Nordwesten von Grönland zu sehen, die sich bis in den Nordosten erstreckt. Dagegen sind Island und Teile von Skandinavien wieder von Warmluftzonen durchzogen. Darunter dann wieder kalte Luft über dem Nordatlantik. Diese ganze Konstellation hat auch zu den heftigen Regenfällen und Hochwasserkatastrophen in Europa geführt.
Bedeutet dies, dass der seit langem bekannte, viel diskutierte und von Skeptikerseiten angezweifelte Gesamterwärmung Grönlands gebremst wird? Wohl kaum, denn obwohl die Temperaturen kälter sind als normal, gilt dies nicht für die Bodentemperaturen. Diese liegen zwischen 3° und 9°C, je nach Bodentiefe, höher als der Langzeitdurchschnitt. Dadurch tauen die Permafrostböden Grönlands noch schneller auf und entlassen zum einen mehr Methan und CO2, zum anderen bleibt die Wärme im nassen Boden gespeichert und auch im Winter werden die Permafrostböden schlechter bis gar nicht mehr gefrieren. Das bedeutet ein riesiges Problem für Tiere, Pflanzen und Infrastruktur. Ein anderes Problem der Situation stellen die Buschbrände in Kanada dar, wo zehntausende von Quadratkilometer in Flammen stehen. Der resultierende Rauch driftet mit den Winden von West nach Ost und ist mittlerweile auch in Norwegen und anderen europäischen Ländern angekommen. Damit sinkt die Luftqualität in den von Sommerhitze betroffenen Orten zusätzlich. Was also vermeintlich gute Neuigkeiten aus Grönland sind, dürfte nicht so in anderen Regionen gesehen werden.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal