Seit vergangenem Jahr hielt Kanada als Schutzmassnahmen gegen die Pandemie seine Grenzen geschlossen. Touristische Reisen waren praktisch ausgeschlossen. Auch die arktischen Regionen blieben für den Tourismus zu, um die lokale Bevölkerung vor zu grossen Infektionswellen zu schützen. Nun hat die Regierung in Ottawa angekündigt, seine Grenzschliessungen schrittweise aufzuheben. Doch die Regierungen in den Nordwestterritorien und Nunavut sind noch zögerlich, sich den Schritten anzuschliessen.
In einer Pressemitteilung liess die Regierung verlauten, dass zuerst ab dem 9. August 2021 die Einreise für US-Amerikaner, danach ab dem 7. September 2021 auch für internationale Reisende wieder möglich sein soll. Dies jedoch nur, wenn es die heimische epidemiologische Lage erlaubt. Ausserdem sind die Einreisebedingungen klar geregelt: Alle Einreisenden müssen sich vor der Reise via «ArriveCAN» registrieren und müssen nachweislich, also zertifiziert, von Kanada akzeptierte Impfstoffe in der vollen Dosis mindestens zwei Wochen vor Einreise erhalten haben. Desweiteren müssen alle Einreisenden einen negativen molekularen COVID-Test in Englisch oder Französisch vorweisen, Selbst-Isolationspläne im Falle einer Infektion nachweisen und zufällig ausgewählt an einen molekularen Test nach der Einreise teilnehmen. Die Einreise muss über einen von neun internationalen Flughäfen erfolgen: Montréal, Toronto, Calgary, Vancouver, Halifax, Québec, Ottawa, Winnipeg und Edmonton oder über die offiziellen Grenzübergänge zu den USA.
Seit fast 1.5 Jahren sind die Grenzen Kanadas für «nicht-essentielle Reisen» geschlossen gehalten worden, um die Bevölkerung Kanadas vor ungebremsten Infektionswellen zu schützen. Kanada verzeichnete rund 1.43 Millionen Infektionsfälle, von den 26’504 Menschen starben (Stand: 19. Juli 2021). Zurzeit sind noch etwas mehr als 4’600 aktive Fälle bekannt. Knapp 44 Prozent der Gesamtbevölkerung ist komplett geimpft, weitere 25 Prozent haben eine erste Impfung mit einem der zugelassenen Impfstoffe erhalten. Gesundheitsministerin Patty Hajdu erklärt zu den Öffnungsschritten. «Die Gesundheit und Sicherheit von Kanadiern steht über allem. Mit den Impfraten und den sinkenden Fallzahlen in Kanada können wir nun damit beginnen, die Grenzschliessungen zu erleichtern. Ein gradueller Ansatz der Wiedereröffnung wird es unseren Gesundheitsbehörden erlauben, die COVID-19-Situation hier und im Ausland zu überwachen. Die Kanadier haben hart gearbeitet und viel füreinander geopfert und dank dem Aufwand können wir diese nächsten Schritte sicher angehen.»
Gemäss den Angaben der zuständigen Regierungsbehörde wurden bei der Planung der Öffnungsschritte auch die Bedürfnisse und Pläne der indigenen Bevölkerung, u.a. in den arktischen Territorien Nunavut und Nordwestterritorien miteinbezogen. «Die Zusammenarbeit mit Provinzen, Territorien, indigenen Partnern und anderen, um Kanadier zu ermutigen, sich impfen zu lassen und den Ratschlägen zur öffentlichen Gesundheit zu folgen, ermöglicht es uns, mehr Reisende in Kanada willkommen zu heissen», erklärt Minister Dominic LeBlanc in der Pressemitteilung. Gute Neuigkeiten also für die arktischen Gebiete, deren Tourismussektor ein massgebender Einkommenszweig der Bevölkerung und Regierungen darstellt. Auch die Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Melanie Joy, begrüsst die Öffnung: «Die Lockerung der kanadischen Grenzmassnahmen ist eine willkommene Nachricht für Tourismusunternehmen im ganzen Land, die Tausenden von Kanadiern, die in der Branche beschäftigt sind, und die Gemeinden, die darauf angewiesen sind.»
Doch von Seiten der Regierungen in Iqaluit und Yellowknife waren bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine eigenen Schritte veröffentlicht worden. Beide Regionen verzeichnen seit einiger Zeit keine neuen Ansteckungsfälle mehr. Doch in Nunavut gilt noch bis zum 22. Juli der Gesundheitsnotfall und in den Nordwestterritorien sind immer noch die Reiseverbote in Kraft. Diese sollen erst gelockert werden, wenn alle Richtwerte unterschritten sind. Das sind (Stand 10. Juli 2021): 75 Prozent der NWT-Bevölkerung vollständig geimpft (noch nicht erfüllt), 66 – 75 Prozent der gesamten kanadischen Bevölkerung vollständig geimpft (nicht erfüllt) und der 7-Tage Durchschnitt der Neuinfektionen unter 1’000 (nicht erfüllt).
Die Öffnung des Landes ist aufgrund der Zahlen in Kanada selbst nachvollziehbar. Auch andere Länder hatten angesichts sinkender Zahlen und steigender Impfraten eine Öffnung und vermehrtes Einreisen wieder erlaubt. Doch gleichzeitig steigen in einigen der Länder die Infektionszahlen vor allem aufgrund der Deltavariante des Virus wieder massiv an. Wichtige Partnerländer Kanadas wie Grossbritannien und die USA zählen zu diesen Ländern. Und die USA haben eben erst wieder die Warnstufe für Grossbritannien auf die höchste Stufe gesetzt und raten von Reisen dorthin dringend ab, auch für vollständig geimpfte Personen. Es stellt sich also für Kanada die Frage, wie die Regierung auf allfällig steigende Zahlen reagieren wird und ob sich der arktische Norden den Schritten anschliessen oder doch noch abwarten wird, nachdem man das Virus gerade eben erst wieder in den Griff bekommen hat.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal