Die Arktis steht mittlerweile nicht nur aufgrund schmelzender Eismassen und extremer Wetterphänomene im Fokus der Welt. Auch wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und ideologisch stehen sich hier die Staaten der Welt gegenüber, auf einem schmelzenden Untergrund, dem Permafrostboden, notabene. Ein internationales Team hat nun dazu aufgerufen, die einzelnen nationalen Projekte und Daten über den Verlust des Permafrostbodens in ein internationales Netzwerk zusammenzuführen und damit gleichzeitig die Kommunikation zwischen den Staaten zu verbessern.
Die Studie, die in der Fachzeitschrift Land im Juni erschienen ist, argumentiert, dass die Veränderungen des Permafrostbodens staatenübergreifend sind und daher die Problematik und auch die Lösungen besser gemeinsam gesucht werden müssen. Zwar existieren verschiedene internationale Programme zur Überwachung und dem Sammeln von Permafrostdaten aus den einzelnen Regionen, aber: «Die Systeme und Programme liefern keine Echtzeit-Daten für eine solide und ausgeprägte Analyse, um Naturkatastrophen in den Permafrostregionen vorherzusagen», erklärt Ekaterina Uryupova, Gastfellow am renommierten Arctic Institute und Mitautorin der Studie, in einer Mail an PolarJournal. «Die Projekte sind grossartig in ihrer Art. Doch wir brauchen grössere Anstrengungen von der internationalen Gemeinschaft, um sie effektiver und effizienter zu gestalten.» Das Team kommt zum Schluss, dass der Verlust von Permafrost und die damit einhergehenden Probleme ein globales Problem sind, das auch nur global gelöst werden kann.
Gemäss dem Forschungsteam steigern viele Länder ihre Anstrengungen bei der Permafrostforschung zwar in grossem Masse, da unter anderem die Zahl der Schäden an der Infrastruktur in den arktischen Regionen immer weiter ansteigt. Diese Schäden verursachen Kosten in Milliardenhöhe. Ausserdem bedeutet der auftauende Permafrost grössere Investitionen in neue Infrastrukturprojekte, da die technischen Herausforderungen durch den instabileren Untergrund viel höher und schwieriger zu lösen sind. Gerade Länder wie Russland, die USA und Kanada investieren in neue Erschliessungs- und Rohstoffförderprojekte, die bereits ohne die zusätzlichen Schwierigkeiten durch den aufgetauten Boden hohe Investitionen verlangen. In anderen Ländern, die Permafrostböden auf ihren Territorien aufweisen (in Hochgebirgen beispielsweise) und die weniger wirtschaftsstark sind, bedeutet diese eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung, von der Rohstoffförderung bis hin zum Tourismus. Damit erhält das Thema auch eine wichtige politische Bedeutung und eine multinationale Zusammenarbeit würde die Lösungsfindungen erleichtern. Dazu müssten aber «die zuständigen Stellen gemeinsam die gesichertsten und vertrauenswürdigsten wissenschaftsbasierten Informationen ermitteln, aus denen Entscheidungsträger und Politiker unilateral beraten werden können», schreibt das Team in ihrer Arbeit.
„Auftauende Permafrostböden bedeuten einen Schwachpunkt in der Entwicklung von strategisch wichtigen Orten und Infrastrukturen in der Arktis.“
Ekaterina Uryupova, Visiting Fellow The Arctic Institute
Doch hier liegt auch ein grosses Problem. Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist nach Einschätzung der Autoren sehr anfällig auf eine Marginalisierung durch die politischen Entscheidungsträger, weil eine Fragmentierung der Anstrengungen und der Datenerhebung auch durch Konkurrenz entsteht. Zum einen die Konkurrenz unter den Wissenschaftlern selbst, ihre Modelle, Berechnungen und Vorhersagen als möglichst akkurat und gesichert zu präsentieren gegenüber den anderen. Zum anderen aber auch unter den zahlreichen Ländern, die mit restriktiven nationalen Gesetzen verhindern, dass sensible Daten über die Auswirkungen des Auftauens von Permafrostböden veröffentlicht werden. Denn auf Permafrostböden stehen nicht nur die touristisch interessanten Orte in den Hochgebirgen, sondern auch wirtschaftlich und strategisch wichtige Infrastrukturen. «Da stecken zum einen Sicherheitsgründe dahinter», erklärt Ekaterina Uryupova. «Denn auftauende Permafrostböden bedeuten einen Schwachpunkt in der Entwicklung von strategisch wichtigen Orten und Infrastrukturen in der Arktis. Und die nationalen Sicherheitskonzepte stehen im Zentrum der Restriktionen, wenn es um das Teilen von nationalen Permafrostdaten mit auswärtigen Forscherinnen und Forschern geht.»
Doch wer sollte ein internationales Netzwerk von Permafrostmonitoring und -daten überwachen und betreiben? Nach Meinung von Ekaterina Uryupova könnte eine UN-Organisation das Konzept einer solchen Datenbank beaufsichtigen. Doch die Erstellung der effektiven Datenbanken könne nur über eine gemeinsame Anstrengung aller betroffenen und interessierten Ländern erreicht werden. «Das Ganze ist ein aufwendiges, kostspieliges und auch heikles Arrangement. Deswegen müssen alle zuerst ihre existierenden Datenbanken auf den neuesten Standard bringen», erklärt Ekaterina Uryupova. «So wird eine solide Basis für eine gemeinsame internationale Datenbank geschaffen.» Damit könnte auch die Grundlage für mehr Dialog zwischen den Arktisstaaten in Sachen Sicherheitspolitik geschaffen werden. Denn Wissenschaftsdiplomatie hat in der Vergangenheit immer wieder die politischen und ideologischen Grenzen überwunden und konkurrierenden Staaten die Möglichkeit zur Kooperation geboten. Dies glauben auch die Forscherinnen und Forscher der Studie. Denn Permafrost kennt keine Grenzen… und sein Auftauen auch nicht.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal