«Atlantifizierung» lässt Eiskappen in Russischer Arktis schneller schmelzen | Polarjournal
Satellitenbild von Sewernaja Semlja. Die Inselgruppe liegt in der russischen Hocharktis etwa auf dem 80. nördlichen Breitengrad und umfasst ca. 37.000 Quadratkilometer. Foto: Landsat 8, NASA

Die Nachrichten über massive Eisverluste in der Arktis reißen nicht ab. Nachdem wir Anfang der Woche von beinahe Rekordverlusten vom grönländischen Eisschild berichteten, trägt nun eine am Montag veröffentlichte Studie über die Eiskappen der russischen Archipele Nowaja Semlja und Sewernaja Semlja zur Besorgnis bei. Laut der Forscher der University of Edinburgh verlieren die beiden Inselgruppen jedes Jahr Milliarden Kubikmeter Eis. Demnach war zwischen 2010 und 2018 der Verlust so groß, dass das Schmelzwasser eine Fläche von der Größe der Niederlande einen Meter unter Wasser setzen würde. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Erwärmung des Arktischen Ozeans erheblich zur Beschleunigung des Eisverlusts beiträgt.

Der Ozean erwärmt sich in der Arktis viel schneller als in südlicheren Breiten. Die Barentssee, die unter einem starken atlantischen Einfluss steht, wird als Hotspot der arktischen Erwärmung beschrieben. Neben dem Meereisrückgang machen Wissenschaftler weitere Faktoren wie den Transport warmen Atlantikwassers, die Verschiebung atmosphärischer Sturmpfade und Winde sowie verschiedene Rückkopplungs- und Strahlungsprozesse für die schnellere Erwärmung verantwortlich. Diese nordöstliche Ausbreitung des atlantischen Klimas bezeichnen Wissenschaftler als «Atlantifizierung».

Die Karte links zeigt die eurasische Arktis mit den wichtigsten warmen (rot) und kalten (blau) Meeresströmungen. Zwischen Spitzbergen, Nowaja Semlja und dem russischen Festland liegt die Barentssee, wo im Januar 2016 hier Temperaturanomalien von 7°C im Vergleich zu den Mittelwerten von 1981-2010 gemessen wurden. Karte: Tepes et al. 2021

Für die aktuelle Studie verwendeten die Forscher Daten des Satelliten CryoSat-2, der Veränderungen der Höhe und Masse von Eiskappen und Gletschern überwacht, um die Volumen- und Massenverluste auf den beiden Inselgruppen für die Jahre 2010 bis 2018 abzuschätzen. Diese Ergebnisse verglichen sie mit Klimadaten desselben Zeitraums und ermittelten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den steigenden Luft- und Meerestemperaturen und dem zunehmenden Eisverlust auf Nowaja und Sewernaja Semlja. Den Analysen zufolge verloren beide Archipele zwischen 2010 und 2018 pro Jahr 11,4 Milliarden Tonnen Eis, in etwa so viel wie die riesige grönländische Eiskappe im Sommer 2019 an einem Tag verlor.

Der Eisverlust ist auf Nowaja Semlja mit 9,7 Gigatonnen pro Jahr am größten und wird laut der Studie vor allem durch einen gekoppelten Mechanismus von Oberflächenschmelze und Eisdynamik angetrieben. Auf Sewernaja Semlja findet der Eisverlust hauptsächlich an den ins Meer mündenden Gletscherströmen statt, die vom warmen Atlantikwasser unterspült werden. Eine Kopplung von atmosphärischen und ozeanischen Prozessen konnten die Forscher auf der wesentlich nördlicher liegenden Inselgruppe nicht feststellen, weshalb die Oberflächenmassenbilanz hier noch positiv ist. Die Nordostverschiebung des atlantischen Klimas wird sich allerdings fortsetzen und auch in der eurasischen Hocharktis zu weiteren Verlusten auf den Gletschern und Eiskappen führen. Schon jetzt scheinen die Auswirkungen der Schmelze auf die Gletscher und Eiskappen in der östlichen russischen Arktis erheblich, die das Potential für Regimänderungen mit sich bringen, so das Forscherteam.

Eiskappen sind große, mehrere hundert Meter dicke Eiskörper, die in der Region eine Fläche von bis zu 20.000 Quadratkilometer bedecken. Manche beherbergen bis zu 12.000 Jahre altes Eis, das den Wissenschaftlern wertvolle Langzeitdaten über das arktische Klima liefert. Foto: Heiner Kubny

«Die Russische Arktis ist weitgehend unzugänglich, aber mit Hilfe von Satellitendaten können wir die Veränderungen der Eiskappen und Gletscher beobachten. Wie auch anderswo auf der Welt zu beobachten ist, beschleunigt sich der Eisverlust in dieser Region. Da sich das Klima weiter erwärmt, wird ein erheblicher Eisverlust in der russischen Arktis deutliche Auswirkungen auf den Anstieg des Meeresspiegels haben.»

Dr. Paul Tepes, School of GeoSciences der Universität Edinburgh und Hauptautor der Studie

Die Autoren gehen davon aus, dass anhand der Studie in Zukunft Eisverluste in Regionen, in denen ähnliche Muster bei den Temperaturveränderungen der Atmosphäre und des Ozeans beobachtet werden, vorhergesagt und auch die Prognosen zum globalen Meeresspiegelanstieg verbessert werden könnten.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Paul Tepes, Peter Nienow, Noel Gourmelen. Accelerating Ice Mass Loss Across Arctic Russia in Response to Atmospheric Warming, Sea Ice Decline, and Atlantification of the Eurasian Arctic Shelf Seas. Journal of Geophysical Research: Earth Surface, 2021; 126 (7) DOI: 10.1029/2021JF006068

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