Arctic Century Expedition Blog — die Tage 7 & 8 | Polarjournal

Die «Arctic Century Expedition» ist eine schweizerisch-deutsch-russische Expedition mit dem Ziel, die Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene arktische Ökosysteme zu untersuchen. Das multidisziplinäre Projekt vereint 59 Wissenschaftler aus 17 Nationen und 16 Institutionen an Bord des russischen Forschungseisbrechers «Akademik Tryoshnikov» und während 4 Wochen werden in der russischen Arktis Arbeiten über Land-, Meer- und Gletschersysteme durchgeführt und zahlreiche Daten gesammelt. In einem Blog, der im Original auf der Webseite des Swiss Polar Institutes SPI veröffentlicht wird, informieren die Beteiligten über die Arbeit und das Leben in einer der am wenigsten erforschten Regionen der Arktis. PolarJournal veröffentlicht diesen Blog auf Deutsch in Zusammenarbeit mit dem SPI.

Die Forscher transportieren die gewonnenen Eiskerne vom Helikopter in den Gefrierschrank.

Tag 7 — Hocharktische Inseln in der Kara- und Laptewsee

79.78°N, 66.15°O – Neblig, 2,2°C, Windgeschwindigkeit 6,2 m/s

Die hocharktischen Inseln in der Kara- und Laptewsee liegen zwischen 72° und 84° Nord und sind durch extreme klimatische Bedingungen für lebende Organismen geprägt. Die Inseln sind die meiste Zeit des Jahres von Eis und Schnee bedeckt. Während der kurzen schneefreien Wachstumsperiode im Juli und August bedecken nur wenige Pflanzen spärlich den kahlen Boden in diesen polaren Wüstengebieten.

Die heutigen Landschaften der hocharktischen Inseln wurden durch den eurasischen Eisschild und seine spätpleistozänen Phasen des Vorstoßes und Rückzugs der Gletscher geprägt. Nach dem letzten glazialen Maximum vor etwa 20.000 Jahren schrumpfte der eurasische Eisschild. Die Eiskappen der hocharktischen Inseln bildeten sich später, nach dem Temperaturmaximum im frühen Holozän. Überall dort, wo Landflächen freigelegt wurden, bildete sich Permafrost, und die Bodenbildung begann, so dass die Pioniervegetation in die Region vordringen konnte.

Die russischen arktischen Inseln befinden sich hauptsächlich in der arktischen Klimazone. Gegenwärtig werden zwei Sektoren unterschieden, deren Grenze entlang der westlichen Inseln von Sewernaja Semlja verläuft: Der westliche atlantische Sektor ist milder, beeinflusst durch die Erwärmung der atlantischen Wassermassen; der östliche Sektor ist durch kältere Winter und einen größeren Unterschied zwischen Winter- und Sommertemperaturen gekennzeichnet.

Die terrestrische Feldarbeit der Arctic Century Expedition wird einige der am wenigsten erforschten Aspekte dieser abgelegenen Inseln beleuchten. Das Gefälle der biologischen Vielfalt entlang der Inseln wird von Süden nach Norden und von Westen nach Osten durch die Erfassung von Pflanzenarten und deren Häufigkeit bestimmt, und die mikrobielle Vielfalt des Bodens sowie die Umwelt-DNA werden analysiert. Weitere ökologische Arbeiten konzentrieren sich auf die Sammlung von Makroplastik an der Küste und die Beobachtung von Vögeln. Wasser- und Bodenproben werden entnommen, um den Austausch wichtiger Elemente wie Nährstoffe zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre zu untersuchen. Ein wichtiger Bestandteil der Expedition ist die Entnahme von Eiskernen auf den Eiskappen, um den Klimawandel der letzten Jahrzehnte zu rekonstruieren. Seesedimente und Permafrostprofile werden untersucht, um die nacheiszeitliche Geschichte und die Veränderungen des Ökosystems zu verstehen. Geomorphologische und geodätische Profile werden eine Bewertung der relativen Meeresspiegelschwankungen im Holozän ermöglichen.

Die meisten Arbeiten werden weit im Norden, auf den Inselgruppen Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja, durchgeführt. Der erste geplante Landeplatz befindet sich jedoch auf der Wiese-Insel (auch Vize-Insel). Ihre Existenz wurde von dem russischen Ozeanographen und Arktis-Pionier Wladimir Wiese vorhergesagt. Die Insel ist ca. 30 x 10 km groß und hat eine maximale Höhe von ca. 20 m. Eine hydrometeorologische Station wurde 1945 eingerichtet. Die Vize-Insel ist seit vielen Jahren nicht mehr geowissenschaftlich untersucht worden, und abgesehen von Satellitenbildern gibt es nur sehr wenige Informationen über den geowissenschaftlichen und ökologischen Hintergrund.

Tag 8 — Die ersten glaziologischen Arbeiten an Land wurden erfolgreich abgeschlossen!

79.68°N, 76.83°O – Neblig, 2,2°C

Bohrung des Eiskerns auf dem Gipfel des Kupol Vetreniy. © 2021 Christian de Marliave, alle Rechte vorbehalten

Am Nachmittag des 11. August bohrte ein Team aus fünf russischen, deutschen und französischen Wissenschaftlern zwei kurze Eiskerne auf der Graham-Bell-Insel an der Ostseite des Franz-Josef-Land-Archipels. Gegen Mittag war die gesamte Eiskappe vom Schiff aus sichtbar, so dass das Team mit dem Hubschrauber auf dem Eis abgesetzt werden konnte.

Die Eiskerne wurden auf dem Gipfel des Kupol Vetreniy, auf Englisch „Windy Dome“, in einer Höhe von ca. 515 Meter über dem Meeresspiegel entnommen. Kupol Vetreniy ist eine Eiskuppel, die den südwestlichen Teil der Insel bedeckt.

Die Bohrung dauerte etwa drei Stunden, wurde aber durch weichen und nassen Schnee kurz vor dem Schmelzpunkt an der Oberfläche der Eiskappe und abwechselnde Schichten aus Firn und reinem Eis in einer Tiefe von 1,1 Metern erschwert. Dennoch gelang es dem Bohrteam, zwei Bohrkerne von 5,1 und 2,5 Metern Länge zu entnehmen sowie ein Schneeprofil zu beproben und zu beschreiben.

Der Eiskern im begehbaren Gefrierschrank des Schiffes, gelagert bei -15 °C.

Die Eiskerne werden als Klimaaufzeichnungen dienen. Die Länge des Eiskerns soll die Rekonstruktion des Klimas der letzten fünf bis acht Jahre ermöglichen. Dies kann durch die Analyse der geochemischen Eigenschaften des Eises, insbesondere der stabilen Isotope von Sauerstoff und Wasserstoff, erreicht werden.

Der entnommene Eiskern ist äußerst wertvoll, da an der gleichen Stelle bereits 1997 ein Eiskern entnommen wurde, der das regionale Klima der letzten 800 Jahre aufzeichnet. Die neuen Eiskerne werden es ermöglichen, die jüngsten dramatischen Umweltveränderungen in einen langfristigen Kontext zu stellen.

Text und Fotos: © Swiss Polar Institute, CC BY 4.0

Link zum Swiss Polar Institute: https://swisspolar.ch  

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