Die Arktis lockt nicht nur mit schönen Motiven oder als Forschungsplatz für Klimawandelfolgen. Auch wirtschaftlich richten sich die Augen auf die zahlreichen Ressourcen und die kurzen Transportwege zwischen den grossen Märkten Asiens, Europas und Nordamerika. Doch damit steigt auch die Gefahr von Katastrophen mit fossilen Treibstoffen und Rohöl, wie die Vergangenheit eindrücklich gezeigt hat. Die klimatischen Bedingungen und mangelnde Infrastrukturen verhindern dabei eine effiziente Bekämpfung bei solchen Unfällen. Kanadische Mikrobiologen und Gewässerforscher haben nun Bakteriengemeinschaften entdeckt, die dabei mithelfen könnten, dies zu ändern.
Die Studie, die an der Küste von Labrador in Ostkanada durchgeführt worden war, fand mehrere Bakteriengattungen in Sedimenten, die dort natürlich vorkommen und die Fähigkeit haben, sowohl Diesel wie auch Rohöl abzubauen. Dabei zeigte sich, dass verschiedene Gattungen unterschiedliche Vorlieben haben in Bezug auf die Ölprodukte. Der Abbau von Ölprodukten wurde zusätzlich stimuliert, als die Forscher Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor hinzugefügt hatten. «Die Bakterien könnten Schlüsselfiguren in der Antwort auf arktische Meeresverschmutzungen durch Ölprodukte darstellen», erklärt Studienleiter Dr. Casey Hubert, ausserordentlicher Professor für Geomikrobiologie an der Universität von Calgary. «Ausserdem bestätigt die Studie, dass durch zusätzliche Nährstoffe der biologische Abbau von Kohlenwasserstoffen unter niedrigen Temperaturen verbessert werden kann.»
Die Forschungsgruppe liess in ihrer Studie in Flaschen eine Miniatur-Ölkatastrophe entstehen und setzte künstliches Meerwasser (um Unreinheiten und Abweichungen zu vermeiden) und Sedimente von der Küste Labradors stammend (aus rund 140 Meter Tiefe) entweder Diesel oder Rohöl aus. Zusätzlich wurden die Proben mit verschiedenen Nährstoffen in unterschiedlichen Mengen versetzt. Das Ganze wurde unter nah-arktischen Bedingungen, bei 4°C Wassertemperatur und über mehrere Wochen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Bakterien nicht nur Vorlieben für entweder Diesel oder Rohöl haben, sondern dass sie auch eine Toleranzgrenze besitzen, die von der Art des Ölproduktes abhängig ist. Der Abbau von Rohöl stoppte bei 10-mal niedrigerer Menge als bei Diesel, was auf die höhere Toxizität von Rohöl zurückzuführen sein dürfte, vermutet das Team. Trotzdem können durch Zuführen von Nährstoffen die Abbauraten von Ölprodukten bereits kurz nach einem Unfall mit Erdöl oder Diesel in kalten Bedingungen massiv gesteigert werden, schlussfolgert das Team in ihrer Arbeit, die in der Fachzeitschrift Applied and Environmental Microbiology veröffentlicht wird.
Das Studiengebiet, die Küste von Labrador, ist nicht zufällig ausgewählt worden. Entlang der Küste verläuft eine der wichtigsten Transportrouten von den Ballungszentren an der Ostküste Kanadas in den Norden und die Nordwestpassage. Ausserdem plant die Provinzregierung einen Ausbau des Erdölsektors in der Region bis 2030. Weil der Erstautor der Studie, der Doktorand Sean Murphy, aus der Region stammt und von den Vor- und Nachteilen dazu weiss, suchte er Möglichkeiten, Bekämpfungsstrategien bei Ölkatastrophen zu entwickeln.
Die Ergebnisse der Arbeit sind ein weiterer Schritt, um bei einem möglichen Unfall mit Ölprodukten in den sensiblen Arktischen Regionen möglichst rasch einzugreifen. «Da der Klimawandel die eisfreien Perioden verlängert und in der Arktis eine zunehmende industrielle Aktivität stattfindet, ist es wichtig zu verstehen, wie das arktische marine Mikrobiom reagiert, wenn Öl oder Treibstoff auslaufen», sagte Dr. Hubert. Weil gleichzeitig die Grösse und Abgeschiedenheit der Gebiete eine schnelle Reaktion verhindern und mangelnde Infrastruktur Säuberungsmassnahmen verkomplizieren, sind neue und leicht einzusetzende Möglichkeiten gesucht. Denn der Unfall des Tankers Exxon Valdez am 24. März 1989 in Alaska zeigte klar diese Schwierigkeiten und Grenzen der Rettungsmassnahmen auf. Dies führte dazu, dass mehr als 2’000 Kilometer Küstenlinie derart stark verschmutzt wurden, dass die Auswirkungen auch heute noch, mehr als 30 Jahre später, spür- und sichtbar sind.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal