Die «Arctic Century Expedition» ist eine schweizerisch-deutsch-russische Expedition mit dem Ziel, die Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene arktische Ökosysteme zu untersuchen. Das multidisziplinäre Projekt vereint 59 Wissenschaftler aus 17 Nationen und 16 Institutionen an Bord des russischen Forschungseisbrechers «Akademik Tryoshnikov» und während 4 Wochen werden in der russischen Arktis Arbeiten über Land-, Meer- und Gletschersysteme durchgeführt und zahlreiche Daten gesammelt. In einem Blog, der im Original auf der Webseite des Swiss Polar Institutes SPI veröffentlicht wird, informieren die Beteiligten über die Arbeit und das Leben in einer der am wenigsten erforschten Regionen der Arktis. PolarJournal veröffentlicht diesen Blog auf Deutsch in Zusammenarbeit mit dem SPI.
Tag 21 — Verstehen des organischen Kohlenstoffkreislaufs in der Kara- und Laptewsee
79.55°N, 101.43°O – Bewölkt, -2.8°C, Windgeschwindigkeit 1.6 m/s
Im Rahmen der Arctic Century Expedition haben sich wissenschaftliche Teams aus Russland, Deutschland und der Schweiz zusammengeschlossen, um die biologischen Prozesse zu untersuchen, die am Kohlenstoffkreislauf entlang der Nahrungskette in der Kara- und Laptewsee beteiligt sind. Anders als in den meisten anderen marinen Ökosystemen spielen Meereis und niedrige Wassertemperaturen in der Arktis eine entscheidende Rolle, da diese Merkmale kurze Zeiträume definieren, in denen Pflanzen im Meer wachsen können, und das natürliche Recycling von organischem Material verlangsamen. Diese Teams werden anhand der entlang der ozeanographischen Transekte gesammelten Daten die regionalen Besonderheiten der Wiederverwertung und Umwandlung von Kohlenstoff untersuchen.
Die Untersuchung des regionalen Kohlenstoffkreislaufs beginnt in der sonnenbeschienenen oberen Schicht des Meeres, wo das Phytoplankton, kleine schwebende einzellige Algen, gedeihen kann, indem es Sonnenlicht und mineralischen Kohlenstoff in einem Prozess namens Photosynthese in organische Stoffe umwandelt. Das Phytoplankton ist der Hauptproduzent von organischem Kohlenstoff, der in die regionale Nahrungskette eingespeist wird. Die nächste trophische Ebene im Meer ist das Zooplankton. Diese kleinen Tiere treiben im Wasser und ernähren sich von Phytoplankton. Sie sind wiederum die Hauptlieferanten von organischem Material und Energie für alle größeren Tiere, die in und von der Kara- und Laptewsee leben, wie z. B. Fische, Walrosse, Vögel und Eisbären. Die Messung der Menge (Biomasse) und der Produktivität von Phyto- und Zooplankton sind wichtige Aspekte, die während der Expedition untersucht werden, um die interne Versorgung des organischen Kohlenstoffkreislaufs im System zu bewerten und seine künftigen Veränderungen abzuschätzen.
Eine weitere Quelle für organischen Kohlenstoff in der Region sind Flüsse wie der Ob und der Jenissej, die gelöstes organisches Material vom russischen Festland mit sich führen und in die Karasee entwässern. Mit dem zunehmenden Auftauen des Permafrostes könnte mehr organisches Material in die Flüsse fließen, so dass diese in naher Zukunft zu einer immer bedeutenderen Quelle für organischen Kohlenstoff werden könnten. Ein Teil dieses Kohlenstoffs wird von Bakterien zersetzt und in die marine Nahrungskette gepumpt, während die Reste auf den Meeresboden sinken und die sehr reichhaltige und vielfältige benthische Biota mit Nahrung versorgen.
Veränderungen im regionalen Kohlenstoffkreislauf, die durch Klima- und Umweltveränderungen hervorgerufen werden, könnten wiederum zu einer Zunahme des Fischbestands und der Fischvielfalt führen, die bisher noch sehr gering ist. Die laufenden Veränderungen werden durch die Analyse des genetischen Materials im Meerwasser untersucht, da die Fischkonzentration derzeit zu gering ist, um mit herkömmlichen Fischereimethoden effizient gemessen zu werden.
Die Untersuchung all dieser Aspekte wird unser Verständnis der Rolle des Meereslebens im Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf der Kara- und Laptewsee verbessern. Die Quantifizierung dieser Flüsse wird Aufschluss darüber geben, ob die Kara- und Laptewsee eine Kohlenstoffquelle für die Atmosphäre darstellt oder als Senke fungiert, indem sie Kohlenstoff in den Meeressedimenten bindet. Diese Informationen sind entscheidend für die Verbesserung der bestehenden globalen Klimamodelle. Die verschiedenen wissenschaftlichen Teams, die an diesen Fragen arbeiten, tragen alle Teile zu diesem komplexen Puzzle bei.
Text & Fotos: © Swiss Polar Institute, CC BY 4.0
Link zum Swiss Polar Institute: https://swisspolar.ch