Eisbär – wie weiter Teil II: Jagd | Polarjournal
Eisbären standen Jahrtausende eigentlich an der Spitze des arktischen Nahrungsnetzes. Doch mit der Ankunft des Menschen wurde der Platz streitig gemacht, denn die Bewohner der Arktis jagten den König als Nahrung und Felllieferant. Doch damals war die Jagd noch ausgeglichener. Bild: Michael Wenger

Die Bejagung des Eisbären hat eine uralte traditionelle Geschichte – und eine moderne, brutale. Über viele Jahrtausende hinweg spielte das mächtige, starke Tier eine bedeutende Rolle im Überleben der vorgeschichtlichen Völker der Arktis. Den Eskimos am sibirischen Eismeer wie auch den vielen prähistorischen Eskimokulturen im hohen Norden Nordamerikas und in Grönland lieferte der Eisbär Nahrung und Materialien, um damit Kleidung, Waffen und Werkzeug herzustellen.

Diese frühe Jagd diente einzig der Selbstversorgung (Subsistenzwirtschaft). Sobald aber die Europäer in der Arktis auftauchten, erhielt der Eisbär ein weiteres Prädikat: bedrohlich. – Weil sich europäische Walfänger und Entdecker auf ihren Touren entlang der unbekannten Küsten dem König der Arktis ausgeliefert gefühlt hatten, wurde der Eisbär in der Hocharktis ab dem frühen 17. Jahrhundert meistens aus purer Angst oder aus einer Bedrohungslage heraus abgeschossen.

Etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Eisbärenfellen, was die Jäger ankurbelte, noch mehr Bären zu schiessen. Für die norwegische Inselgruppe Spitzbergen / Svalbard in der europäischen Arktis hält die Jagdstatistik deshalb zwischen 1871 und 1910 eine starke Zunahme getöteter Eisbären fest.

Von kommerziell bis spasseshalber

Nicht nur die Gier nach den weissen Fellen liess die Zahlen ansteigen, auch die Intensität der Jagd nahm zu, und die angewandten Tötungsmethoden wurden von Jahr zu Jahr zweckmässiger. Mehr und mehr Trapper in Spitzbergen schworen auf Selbstschussanlagen: Ein Gewehr wurde in eine längliche Holzkiste eingebaut, welche auf Holzbeinen etwas über einen Meter über dem Boden stand. Die Gewehrmündung war auf die eine, offene Seite der Kiste gerichtet – und an der Schnur, welche zum Abzug führte, befestigten die Trapper einen Köder. Der Geruch des Köders lockte den Eisbären an. Indem der Bär seinen Kopf in die Kiste steckte, um den eben entdeckten Leckerbissen heraus zu ziehen, betätigte er durch Ziehen und Reissen an der Schnur ungewollt den Abzugsmechanismus – und schoss sich selbst in die Stirn. Hunderte von Eisbären töteten sich auf diese Weise selbst. Im Winter klapperten die Trapper mit ihren Hundeschlittengespannen – und später mit Motorschlitten – effizient und zeitsparend ihre Holzkisten ab, um die Beute abzutransportieren und die Selbstschussanlage frisch herzurichten.

Heute finden sich noch zahlreiche alte, zerfallene Selbstschussfallen auf der spitzbergischen Tundra – als historische Relikte einer glücklicherweise vergangenen Epoche sind sie heute gesetzlich geschützt.

Ab den 1870er Jahren stieg das Interesse an der Arktis. Expeditionen wie die Koldewey-Expedition 1869 – 70 lieferte nicht nur neues Wissen, sondern oft auch lebende Vertreter der arktischen Tierwelt. Besonders Eisbärenjunge waren begehrt. Bild: aus Koldewey C. „Die zweite Deutsche Nordpolarfahrt in den Jahren 1869 und 1870, unter Führung des Kapitän Karl Koldewey“

Aber auch im Sommer wurden damals Eisbären erlegt, sogar auf dem Packeis. Verwaiste Jungtiere wurden gefangen und auf das Festland gebracht, um sie an Zoos zu verkaufen. Bereits in den 1870-er Jahren begann man in Spitzbergen, lebende Jungtiere zu fangen, allerdings nur in geringer Zahl (bis 2 Tiere pro Jahr). Eine Ausnahme bildete das Jahr 1909, als 31 Jungbären gefangen wurden. Diese Praxis stellte man in Spitzbergen nach 1967 ein, als noch 4 Jungtiere gefangen wurden.

Einige Trapper und Pelztierjäger brachten es innerhalb ihres Berufszweiges dank herausragendem Einsatz zu Ehre und Popularität, zum Beispiel der Norweger Henry Rudi. Seine Landsleute bezeichneten ihn als „Eisbärkönig“. Sein Ruhm gründete nicht nur darauf, dass Rudi 27-mal in Spitzbergen überwintert hatte, sondern auch auf den 713 Eisbären, welche er in den vierzig Jahren zwischen 1908 und 1948 erledigt hatte.

Während die Trapper ihrem kommerziellen Interesse an der Eisbärenjagd nachgingen, gelangte mit dem aufkommenden Tourismus rund um Spitzbergen ab dem Ende des 19. Jahrhunderts eine weitere Bedrohung für den Eisbären in die Region: das lustvolle Abschiessen beim Nachmittagstee vom Deck des Kreuzfahrtschiffes aus, zum Spass und zur Belustigung.

Bereits in den 1920-er Jahren tauchte in Spitzbergen eine neue Art von Jägergruppe auf, für die soziales Prestige und ein starkes Geltungsbedürfnis beim Schiessen auf Eisbären im Vordergrund stand: die Trophäenjäger hatten die Arktis erreicht.

Die Jagd auf die Trophäe namens Eisbär nahm auf Spitzbergen nach dem Zweiten Weltkrieg sogar noch zu und endete erst, als Norwegen den Eisbären ab 1973 unter vollständigen Schutz gestellt hatte. Kein Wunder, war die Anzahl Bären bis dann dramatisch geschrumpft.

Aber nicht nur in der europäischen Arktis, wie Spitzbergen und anderen Regionen, fanden sich Eisbären schon früh als Zielscheibe, etwa in Russland.

Eisbärjagd in Spitzbergen, in Zahlen:

1905: 638 / 1906: 644 / 1907: 888 / 1908: 659 / 1909: 696 / 1910: 511 / 1919: 662 / 1920: 578 / 1924: 901 / 1925: 598, danach jeweils unter 600.

Seit 1973 wurden Bären in Spitzbergen nur noch in Notwehr, aus Sicherheitsgründen, wegen der Gefahr von Sachschäden oder aus humanen Gründen erlegt. Die Zahl schwankte zwischen null (1997, 1999 und 2012) und 9 (1987). Seit 2004 wurden jährlich weniger als 2 Bären geschossen, ausser 2013, als 3 Bären getötet werden mussten, sowie 2016 und 2020, mit je 4 erlegten Tieren. Auch die Wissenschaft fordert ihren Tribut: bei Forschungsarbeiten und bei der Markierung von Eisbären treten manchmal Komplikationen auf, die zum Tod des Bären führen.

Abschuss quer durch Sibirien

Im riesigen Russland begann man vor allem im Osten und Nordosten Sibiriens im späten 18. Jahrhundert dem Eisbären nachzustellen. Ein Jahrhundert später hat die Verfolgung schon überhandgenommen, als manchmal Hunderte von Schiffen, meistens aus Amerika, im Beringmeer und in der Tschuktschensee die dortigen Meeressäuger niedermetzelten. Hinzu kamen jene Eisbären, die traditioneller Weise von indigenen Gemeinschaften auf der Tschuktschen-Halbinsel für ihren Lebensunterhalt gejagt wurden.

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert mussten bereits jährlich an die 150 Eisbären in der russischen Arktis ihr Leben lassen; bis vor dem Zweiten Weltkrieg schwoll diese Zahl auf 250 Tiere an, um sich bis zur Verhängung des rigorosen russischen Schutzstatus im Jahr 1956 bei rund 100 Bären pro Jahr einzupendeln. – Wohlgemerkt: diese Zahlen betreffen nur die Region im äussersten Osten Sibiriens.

Eisbären kommen in Russland aber auch in anderen Gegenden des hohen Nordens vor. Während entlang der Eismeerküste Mittelsibiriens (Laptewsee, Nordküste von Jakutien) weniger als hundert Eisbären pro Jahr erlegt wurden, so stiegen die Abschüsse an der westsibirischen Küste seit dem 18. Jahrhundert bis auf schliesslich 200 Bären oder mehr pro Jahr in den 1920-er und 1930-er Jahren. Auch in Westsibirien, wie an vielen anderen arktischen Destinationen, begann die Eisbärenjagd als ein „Nebenerwerb“ der Walrossjäger, manchmal als purer Zeitvertrieb, oft zum Selbstschutz und später des Geldes wegen.

Bleibt noch der hocharktische Archipel von Franz-Josef-Land, ebenfalls Russland und zudem das nördlichste Landgebiet Eurasiens. Dort lebten die Eisbären unbehelligt – bis zur Entdeckung der Inselgruppe im Jahr 1873. Danach begannen Jäger, Forscher sowie Personal des Militärs und von Forschungsstationen zuerst vereinzelt Bären zu schiessen, bis die Zahl der Opfer jährlich 200 bis 250 Tiere betrug. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Eisbärenjagd in Russland markant ab, nicht nur auf Franz-Josef-Land, auch in den anderen sibirischen Verbreitungsgebieten des „Königs der Arktis“.

„Der Natur entnehmen…“

Die damalige Sowjetunion erliess bereits 1938 erste Jagdbeschränkungen zum Schutz des Eisbären. So wurde etwa das Schiessen vom Deck eines Schiffes ebenso verboten wie das Nachstellen von polaren Forschungsstationen aus. Die Schraube zugunsten des Bären wurde 1950 nochmals angezogen und schliesslich mit einer Verordnung des sowjetischen Ministerrats, datiert vom 21. November 1956, gänzlich verboten.

Die Insel Wrangel ganz im Osten von Russland gilt als Hauptstadt der Eisbären. Nirgends sonst ist die Dichte an Eisbären so hoch wie hier. Die Insel ist ein Naturschutzgebiet, welches von Parkrangern überwacht wird, die den Schutz der Eisbären vor Wilderern garantieren sollen. Bild: Michael Wenger

Ein solches Totalverbot der Jagd war eine vorbildliche Massnahme der Sowjetunion; sie hat sicherlich einigen tausend Eisbären seither ein längeres Leben beschert. Doch ganz ohne Schlupflöcher kam die Schutzverordnung von 1956 nicht aus: für die Wissenschaft sowie für Zoos und Zirkusse durften weiterhin Eisbären „der Natur entnommen“ werden. Davon betroffen waren jedoch weniger als zwanzig Tiere pro Jahr, hauptsächlich von der Wrangelinsel und von Franz-Josef-Land – beides sind heute strikte Naturschutzgebiete (russ.: zapovedniks).

Das heutige Russland steht mit seinem Schutzkonzept für Eisbären, welches das Land von der alten Sowjetunion geerbt und übernommen hat, relativ gut da – gäbe es nicht die Wilderei und dazu passend eine vielerorts lasche Anwendung der Gesetze durch träge oder unfähige Behörden. Wilddiebe machen das riesige Land zum Weltrekordhalter in Sachen gesetzwidriger Eisbärentötungen.

Solche Jagdvergehen – sowie Abschüsse zum Selbstschutz aus Konflikten beim Zusammentreffen von Mensch und Eisbär – haben eine unbekannte Dunkelziffer an Opfern zur Folge. Schätzungen gehen weit auseinander und liegen zwischen rund 100 und 400 Bären pro Jahr.  Der russische Zweig des International Fund for Animal Welfare IFAW nannte im April 2021 eine Schätzung von rund 200 Eisbären, die heute in der russischen Arktis jedes Jahr gewildert werden. Dies sei eine gefährlich hohe Zahl, welche die ohnehin schrumpfende Eisbärenpopulation im Raum Tschukotka-Alaska stark gefährden würde.

Die Wilderei auf Eisbären konzentriert sich im Osten auf die Tschukotka-Halbinsel und im Norden auf die Region um den Ort Dikson auf der westlichen Taimyr-Halbinsel, wird aber auch andernorts im sibirischen Verbreitungsgebiet des Eisbären praktiziert.

Eigentlich könnten russische Eisbären entspannt in die Zukunft schauen, da sie in dem Land geschützt sind. Doch Wilderei ist ein grosses Problem in den abgelegenen Regionen des russischen Fernen Ostens. Bild: Michael Wenger

Russlands Wilderei – dank Kanadas Fellhandel

Inzwischen ist das Problem der Wilderei – nicht nur auf Eisbären, auch auf etliche weitere Tiere, die in Russland auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen, darunter Schneeleopard und Amurtiger – bei Regierung und Parlament angekommen. Anfangs 2021 kritisierte der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Natur- und Umweltschutz, dass das Ausmass der Wilderei den Umfang der legalen Jagd überschritten habe; es sei jetzt an der Zeit, entsprechende Massnahmen zu ergreifen, zum Beispiel die Zahl der staatlichen Jagdinspektoren zu erhöhen. Gleichzeitig wurde die Altersgrenze auf 21 Jahre erhöht, ab welcher in Russland Jagdwaffen gekauft werden dürfen.

Kurz darauf reagierte das Parlament: Im Mai 2021 liess der Sprecher der Staatsduma verlauten, dass der zunehmenden Wilderei auf Tierarten der Roten Liste durch verschärfte Jagdgesetze begegnet werden soll. Es hiess, dass wegen der Jagd auf besonders schützenswerte Tiere allein zwischen 2015 und 2017 an die 3500 Verstösse gemeldet wurden und folglich 2000 Personen verurteilt worden sind. Im Entwurf zur Gesetzesverschärfung wird nun die Höchststrafe für Jagdfrevel an geschützten Arten auf 6 bis 8 Jahre Gefängnis angehoben. Wer mit besonders schützenswerten Tieren handelt, zum Beispiel Eisbärfelle über Medien oder Internet, dem drohen neuerdings 5 statt bisher nur 4 Jahre Gefängnis.

Ein solcher Handel mit Fellen, die von gewilderten Eisbären aus der russischen Arktis stammen, wird durch den gesetzlich abgesegneten Fellhandel in Kanada noch angefacht. Viele russische Wilderer, die oft in Gruppen operieren oder sogar als Naturschutzbeamte und Ranger in Schutzgebieten arbeiten, besorgen sich für den Verkauf ihrer illegalen Beute gefälschte Zertifikate. Solche Fälschungen gaukeln einen legalen Erwerb einer legalen kanadischen Trophäe vor… Für umgerechnet nicht einmal 400 Franken ist ein solches falsches Zertifikat zu haben. Auf diese Art „beglaubigt“, scheuen sich die Wilderer nicht, ihre vermeintlich „kanadischen“ Felle via Internet selbst in der Ukraine, in Aserbaidschan und anderen GUS-Staaten zum Verkauf anzupreisen.

Das Fell eines Eisbären bringt dem Wilderer vor Ort, zum Beispiel auf der kleinen Insel Waigatsch in der südlichen Karasee, umgerechnet an die 3500 Franken. Hat ein Fell einmal eine der grossen Städte erreicht wie Moskau oder St. Petersburg, schnellt der Preis auf dem Schwarzmarkt auf etwa 18’000 bis 25’000 Franken, wie WWF Russland vor ein paar Jahren ermittelte.

Grönlands Inländerquote

Auf Grönland werden Eisbären von der einheimischen Bevölkerung gejagt. Ein Quotensystem soll dabei dafür sorgen, dass die Jagd nachhaltig sei. Doch Schlupflöcher in der Regelung und die Tatsache, dass Bären aufgrund des Klimawandels immer häufiger in Konflikt mit den Menschen kommen, höhlen das System aus. Bild: Michael Wenger

Wieder ganz anders ergeht es dem Eisbären auf Grönland. Auf dieser weltweit grössten Insel regelt ein Quotensystem seit Januar 2006 die Jagd auf Eisbären. Nur Grönländer erhalten eine Quote, deren Total für die ganze Insel aktuell bei 156 Eisbären liegt. Die neueste Jagdstatistik zeigt für das Jahr 2020, dass mit 153 tatsächlich erlegten Tieren die gesetzliche Quote fast ausgeschöpft worden ist, 69 davon gehen auf das Konto von Inuit-Jägern an der Ostküste. Aber trotzdem: Wenn die Grönländer auch „nur“ 153 statt der erlaubten 156 Eisbären schiessen – es sind rund 15 Prozent der jährlich getöteten Eisbären!

Vom Quotensystem – und damit von der Jagd – ausgenommen sind Jungtiere sowie Eisbären-Weibchen, die von Jungen begleitet sind. Ebenfalls verboten ist die Ausfuhr von Jungtieren.

In den zwei Monaten zwischen dem 1. Juli und dem 31. August ist die Eisbärenjagd in ganz Grönland verboten, mit Ausnahme der beiden bewohnten Gebiete an der sonst menschenleeren Ostküste: in Ittoqqortoormiit und Tasiilaq/Ammassalik gilt das Jagdverbot zwar auch für zwei Monate, aber zeitlich leicht verschoben, zwischen dem 1. August und dem 30. September.

Quote zu verkaufen

Ähnlich wie in Grönland geht man in Kanada vor, auf dessen Landesfläche rund zwei Drittel aller Eisbären leben. Aus keinem anderen „Eisbärenland“ werden derart hohe Abschusszahlen gemeldet wie aus Kanada, dank grosszügig berechneten Jagdquoten – aber trotz rigoroser Schutzmassnahmen in anderen Ländern.

Allein etwa 300 Eisbären(-felle) gelangen jedes Jahr ganz legal auf den internationalen Markt – dies sind rund 2 Prozent der kanadischen Eisbärpopulation. Die Regierung betont, dass diese abgeschossenen Bären nicht etwa aus kommerziellen Gründen erlegt werden, sondern aus der Subsistenzjagd stammen, also aus einer Jagd, die den Inuit der kanadischen Arktis zum Selbsterhalt, zum Eigenbedarf dienen soll. Wie aber erklärt es sich dann, dass Felle gehandelt werden dürfen, die ja eigentlich für die Subsistenz, für den Lebensunterhalt, für den Eigenbedarf einer Inuitfamilie wichtig wären…?

Das knapp 3-minütige Video von der Youtube-Seite von Erik Fernström zeigt die Jagd eines Trophäenjägers auf einen Eisbären gemeinsam mit Inuit und wie sie das Tier danach behandeln. ACHTUNG: DAS VIDEO ENTHÄLT EXPLIZITE GEWALTDARSTELLUNG! SENSIBLE PERSONEN SOLLTEN VON EINER BETRACHTUNG ABSEHEN! POLARJOURNAL IST NICHT VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT DES VIDEOS. Video: Youtube-Kanal Erik Fernström

Noch fragwürdiger ist die Tatsache, dass es einem indigenen Lizenzinhaber erlaubt ist, die ihm zugestandene Quote an einen Aussenstehenden (sprich: Trophäenjäger) zu verkaufen, den er aber bei der Jagd begleiten muss.

Die Höhe der Jagdquote ist regional geregelt – allein diejenige Jagdregion in Nunavut, welche für die Eisbärenjagd freigegeben ist, umfasst 12 Gebiete mit je unterschiedlichen Quoten. Je nach zugeteilter Quote erhält der Inhaber einer Jagdlizenz eine gewisse Anzahl Anhänger. Ein solcher „tag“ muss auf dem Fell des erlegten Eisbären zur Kennzeichnung angebracht werden. Für die Jagd auf Eisbären zahlt ein Einheimischer 10 Kanada-Doller pro Anhänger und eine Jagdgebühr von 25 Dollar, ein Ausländer hingegen 50 Dollar für die Markierung und 1200 Dollar Gebühr.

Nach dem Wildlife Act, dem Wildtiergesetz der Provinz Nunavut, darf nur ein Einheimischer, ein Inuk also, auf Eisbärenjagd gehen. Für die Jagd darf nur „ein Schlitten, der von Hunden gezogen wird“ als Transportmittel eingesetzt werden. Weil ein komplettes Jagdarrangement gut und gerne mehrere zehntausend Dollar kostet, verweisen die Behörden gerne auf den wirtschaftlichen Wert solcher Trophäenjagden und das damit verbundene hohe Einkommen für die beteiligten Inuit. Schaut man jedoch genauer hin, bietet nur ein Drittel aller Inuit-Siedlungen solche Jagden regelmässig an – und nicht einmal die Hälfte des Geldes, das Eisbärenjäger für eine Trophäenjagd bezahlen, kommt in den Dörfern an. Umgerechnet auf ein durchschnittliches Einkommen eines Bewohners in einer Inuit-Siedlung, welche Trophäenjagden anbietet, machen die Einnahmen aus dieser Jagd nur etwa 5 Prozent aus.

Alaska: ungenau geschützt

Im US-amerikanischen Bundesstaat Alaska ging die Eisbärenjagd auch nach der pan-arktischen Schutzkonvention von 1973 in eher grossem Stil weiter. Unterdessen regelt das Gesetz zum Schutz der Meeressäuger (Marine Mammal Protection Act) das „Management“ der Eisbären. Das Gesetz verbietet zwar grundsätzlich die Jagd auf Eisbären, macht aber eine eher unspezifische, grosszügige Ausnahme: Einheimische von der Küste dürfen diese Bären jagen, zwar nur für den Eigenbedarf, aber quasi in unbegrenzter Zahl – so lange die „Entnahme“ nicht verschwenderisch ist. Selbst Teile von erlegten Eisbären dürfen verkauft werden, sobald sie bearbeitet und zu Kunsthandwerk umgestaltet worden sind und nicht ins Ausland gehen.

Gejagt trotz Bedrohungen

Die Spur eines angeschossenen Eisbären auf Svalbard. Eisbären können auch nach einer tödlichen Verwundung noch weite Strecken zurücklegen, bevor sie sterben. „Instant kills“ sind enorm selten, auch wenn die Jagdindustrie das Gegenteil behauptet. Bild: Michael Wenger

Für die Welt ist klar, dass die dramatische Abnahme der gesamten Eisbär-Population in den letzten etwa zweihundert Jahren durch eine überbordende jagdliche Nutzung ausgelöst wurde. Heute kommt noch eine grosse Palette „moderner“ Gefahren dazu wie die Erderwärmung oder der Giftstoffeintrag in die Arktis oder die Zunahme industrieller Aktivitäten.

Schliesslich führte dieser masslose Jagddruck, dem der Eisbär in seinem ganzen Verbreitungsgebiet bis in die 1970-er Jahre ausgesetzt war, zu einem pan-arktischen Schutzkonzept, das heute allerdings von Wilderern aus Russland umgangen wird.

Die strengsten Massnahmen verhängten Russland und Norwegen; beide Länder verboten die Eisbärenjagd komplett, Russland bereits 1956, Norwegen zog in Spitzbergen 1973 nach. In Grönland erfand man ein Quotensystem (erst ab Januar 2006 in Kraft), das eine begrenzte Jagd durch Einheimische zu festgelegten Zeiten zulässt.

Die meisten Gefahren, die den Eisbären bedrohen, sind nur langfristig und nur durch die Weltgemeinschaft zu bannen. Die Erderwärmung lässt sich nicht sofort stoppen, und damit verbunden auch nicht das rasante Abschmelzen des Meereises im Arktischen Ozean. Die grosse Zahl an Giftstoffen, welche aus den stark bevölkerten Weltgegenden bis in die Arktis transportiert werden, lässt sich nicht von heute auf morgen reduzieren. Bei der Jagd jedoch wäre ein rasches Eingreifen durchaus möglich, die Entscheide Russlands und Norwegens zeigen dies deutlich. Die Eisbärenjagd, auch in Kanada, könnte durch mutige politische Entscheide ziemlich bald aufhören. Kanada ist jedoch das Traumland für Trophäenjäger, die einen Eisbären im Visier haben. Nur hier können Fremde ganz legal einen weissen Bären schiessen, um ihn dann – von Tierpräparatoren liebevoll gestylt – zuhause im Trophäenzimmer stolz herzuzeigen.

Töten fürs Vergnügen

Lachende Gesichter über toten Eisbären. So stellen sich Trophäenjäger und die Multimillionen-schwere Industrie dahinter gerne auf ihren Webseiten dar. Doch ebenfalls in den sozialen Medien werden sie häufig als „kranke“ Gemüter bezeichnet und auch teilweise öffentlich mit Namen bekanntgemacht. Bilder: Twitter / Change.org / ladbible.com

Trophäenjäger, die es nicht nur auf Eisbären, sondern weltweit auf Dutzende von meist seltenen und oft geschützten Tierarten abgesehen haben, pflegen ein Hobby, das mehr und mehr in die Kritik gerät.

Mit klaren Worten umschreibt die tschechische Webseite „Stolen Wildlife“ die Gründe für die Trophäenjagd: „Bei der Trophäenjagd geht es nicht um Nahrung – sie ist einzig ein Hobby und dient dem Vergnügen. Nur wenige Menschen würden jedoch laut von sich behaupten, dass sie gerne töten – andere könnten sie für sonderbar halten. Viel eher sprechen Trophäenjäger von ihrer Liebe zur Natur und zu den Tieren, von ihrer Fürsorge für Wildtiere, vom Kampf zwischen ihnen als Jägern und ihrer Beute. Der moderne Mensch hingegen ist ein domestiziertes, ziemlich träges Wesen geworden, mit abgestumpften Sinnen, so dass der postulierte „Kampf mit der Beute“ heutzutage aus einer sicheren Entfernung stattfindet – mit Hilfe eines Gewehrs und mit geringem Risiko für den Jäger. Die Attraktivität der Jagd beruht auf der Tatsache, dass der Jäger nicht mehr nur ein Beobachter ist, sondern Macht ausüben kann und Abenteuer empfindet oder sich als aktiver Teil der Natur fühlt.

Die Jägergemeinschaft findet immer schnell einen sachlichen Grund, um ihre Jagd zu verteidigen: die Erhaltung des Wildbestandes, die Beseitigung von Schädlingen, die Tötung alter und „nutzloser“ Individuen, die Verwendung der Jagdgelder zur Förderung des Naturschutzes, die Jagd als Schutz für gefährdete Arten usw. Eine seit Jahrhunderten bewährte Methode von Jägern ist es auch, Angst vor gefährlichen Tieren zu schüren (Rotkäppchen-Effekt).“

Je grösser, desto besser

Zerlegt man genauer, mit welchen Argumenten die Trophäen-Industrie ihr Tun rechtfertigt, stösst man auf viele Fragezeichen. Ein Blick auf eine imposante Trophäensammlung zeigt bereits das Wesentliche: alle Tierteile, die einen von den Wänden und aus den Vitrinen durch ihre glänzenden Glasaugen leblos anstarren, zählten zu Lebzeiten zu den grössten und schönsten. Besitzt ein Tier aussergewöhnliche körperliche Merkmale, ist es grösser als die anderen und noch dazu ein Männchen, sind seine Zähne länger als der Durchschnitt, seine Hörner kräftiger – oder gilt es als gefährlich: alle diese Attribute tragen dazu bei, dass ein solches Prachtexemplar bald tot und ausgestopft das Trophäenzimmer eines Jagdtouristen schmücken wird.

Klar ist, dass wir hier nicht von Igeln, Bibern oder Fledermäusen sprechen. Beim Trophäenkult geht es um Grosses, um Riskantes, zum Beispiel in Afrika um die „Big Five“, die fünf Grossen – sie allein versprechen Abenteuer, Adrenalin und Prestige: Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Jedes Jahr töten in Afrika etwa 18’000 bewaffnete Touristen (sogenannte Grosswildjäger; hauptsächlich aus den USA, Spanien und Deutschland) über 100’000 Tiere, darunter viele Arten, die international als geschützt gelten.

Im Jahrzehnt zwischen 2004 und 2014 fielen weltweit an die 1,7 Millionen Tiere den Trophäenjägern zum Opfer, die Mehrheit davon steht oder hängt nun in amerikanischen Trophäensammlungen.

Schweizer Jäger schiessen mit

Doch bis nach Amerika muss man gar nicht gehen. Rund 1500 Schweizer Jäger lassen es sich nicht nehmen, jedes Jahr im fernen Ausland etwa fünfzig geschützte Tiere zu töten. Aus Deutschland reisen jedes Jahr sogar 15’000 Jäger zur Trophäenjagd ins Ausland.

Nach Auskunft des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV wurde in der Schweiz zwischen 2010 und 2020 nur einmal ein Gesuch gestellt, um Jagdtrophäen von Eisbären einführen zu dürfen (z.B. Deutschland: 6 Einfuhren zwischen 2018 und 2020). Dafür aber stehen viele andere international geschützte Tiere auf der Einfuhrliste der Schweiz, so etwa 40 Braunbären, je 24 Löwen und Leoparden, sogar 2 Breitmaulnashörner und 7 Geparde. Der Bund erteilt bereitwillig Einfuhrgenehmigungen, während viele andere europäische Länder die Einfuhr von Jagdtrophäen etlicher Arten verboten haben.

Jägerträume werden aber nicht nur in Afrika wahr; zahlreiche andere Länder erlauben die Trophäenjagd und bieten zum Töten attraktive Arten in wilder Umgebung wie etwa Kanada, die USA (Alaska), Russland, Iran, Pakistan, Kasachstan, Argentinien, Grönland, die Mongolei, usw. Sogar Neuseeland ist für den Jagdtourismus nicht zu weit.

Die Jagd auf Eisbären ist ein finanziell lukratives Geschäft. Und sie entzweit auch die Länder, denn Kanada erlaubt die Trophäenjagd, andere Länder nicht. Das bringt auch politisch immer wieder Spannungen. Bild: Paul Shoul (via The Japan Times)

Kopfschüttelnd nehmen jagdkritische Kreise zur Kenntnis, dass möglicherweise am Ende doch nicht nur das Jagderlebnis alleine zählt, wie es Trophäenjäger als Argument ihrer Verteidigung gerne anführen. Weshalb ist es denn teurer, einen Elefanten mit imposanten Stosszähnen zu töten als seinen Artgenossen daneben mit kleineren Zähnen? Bedeutet „kleiner“ etwa ein minderwertiges Abenteuer, weniger zum Erzählen zuhause? Zum Beispiel der Steinbock in den Schweizer Alpen, eigentlich geschützt, aber Abschüsse zur „Regulierung“ des Bestandes sind unter Aufsicht des Bundes erlaubt. Im Wallis können Schweizer wie auch ausländische Jäger ein Tagespatent erwerben (rund einhundert Patente pro Jahr!), um einen Steinbock zu schiessen – je nach Grösse des Horns kostet das zwischen 10’000 und 20’000 Franken. Kleineres Horn also kleineres Jagdabenteuer?

Unzählige Reisebüros in Europa sind auf Jagdabenteuer in fernen Ländern spezialisiert. Deren Ausschreibungen sind nichts für jagdkritische Gemüter… Da wird die hundertprozentig erfolgreiche Eisbärenjagd im Frühling per Hundeschlitten garantiert, oder im Herbst per Boot entlang der Küste – auch dies ein totaler Jagderfolg und erst noch kombinierbar „mit Atlantik Walross, das wird ebenso entlang der Ufer gejagt.“ Auf geht’s nach Kanada, dem „einzigen Land, in dem man auf Eisbären jagen kann…, und wo für die Inuit die Möglichkeit besteht, ihre sogenannte Quote an andere Jäger zu vermarkten“, heisst es da sehr ungelenk auf den Webseiten.

Jane Goodall, die weltberühmte Verhaltensforscherin, bringt das Dekadente an der Trophäenjagd in einem Interview mit einer britischen Zeitschrift auf den Punkt: „Ich kann mich einfach nicht in die Gefühle einer Person versetzen, die Tausende von Pfund bezahlt, um schöne Tiere zu töten, nur um sich ihrer Fähigkeiten als Jäger zu rühmen.

In den frühen Tagen des „Weissen Jägers“ gab es manchmal ein Element der Gefahr. Aber heute, wo Tiere mit einem Hochleistungsgewehr aus der Ferne geschossen werden können, sind die Dinge ganz anders. Wie kann jemand stolz darauf sein, diese grossartigen Kreaturen zu töten? Grossartig im Leben, das heisst: Im Tod sind sie nur die traurigen Opfer eines sadistischen Wunsches, die Bewunderung der Freunde zu erregen. Wenn der Jäger nach dem Töten von Begeisterung überwältigt ist und diese Emotion auf Facebook teilt, muss dies sicherlich die Freude eines kranken Geistes sein.“ Zahlen zum Schluss: Geschätzte eintausend Eisbären – gesetzlich geschützt, bedroht, gefährdet – verlieren heute noch jedes Jahr ihr Leben durch Menschenhand, rund 800 davon sterben durch „legale“ Jagd, gut 200 werden von Wilderern getötet. Das macht etwa 3 Eisbären weniger jeden Tag!

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