Die Auswirkungen des Klimawandels sind in der Antarktis viel schwieriger zu erfassen als in der Arktis. Dies hängt nicht zuletzt mit der Grösse des antarktischen Kontinents und der fast doppelt so grossen Fläche der Antarktis insgesamt zusammen. Um mehr über die Auswirkungen zu erfahren, setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher immer mehr auch auf tierische Helfer. Ein südafrikanisches Projekt will nun gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme auf und unter dem Meereis untersuchen und gleichzeitig endlich mehr über die geheimnisvollste Robbenart der Antarktis erfahren, der Rossrobbe.
Das Projekt unter der Leitung von Professor Trevor Mcintyre von der Universität Südafrika und Doktor Mia Wege von der Universität Pretoria will die Jagd- und Ernährungsstrategien der Rossrobben im Bereich der Packeisrandzone untersuchen und so nicht nur über die Robbe selbst, sondern auch über deren Beutetiere und das Nahrungsnetz herausfinden. Unterstützt werden sie dabei vom südafrikanischen Antarktisprogramm. Denn Rossrobben sind ziemlich einzigartig in vielerlei Hinsicht im Vergleich zu ihren Verwandten wie Weddell- oder Krabbenfresserrobben. Man weiss kaum etwas über ihre Populationsgrösse und die Tiere sind sehr schwer zu entdecken.
Eine im Mai veröffentlichte Studie von Mia Wege konnte zeigen, dass Rossrobben im antarktischen Sommer weit in den offenen Ozean ziehen, um zu jagen. Wenn dann im Winter das Meereis nach Norden wächst, bleiben die Robben ihrem Standort treu und jagen vom Eisrand aus. «Rossrobben bevorzugen es, in Gewässern, die zwischen -1 und +2°C Wassertemperatur liegen, wo die Strömungen langsam sind und weg vom Eisrand im offenen Ozean zu jagen», schreiben die Autoren der Studie. Auch die Tiefe der Sprungschicht, wo sich verschiedene Wassermassen mischen, spielt eine Rolle.
Die Erkenntnisse, die Mia Wege und das Team in der Studie gewonnen haben, zeigen, dass Rossrobben einerseits von den Veränderungen, die durch den Klimawandel beim Packeis entstehen, profitieren könnten, da sich die Packeisgrenze nach Süden zurückzieht und die Sprungschicht sich nach oben bewegt. Dadurch müssten die Robben nicht mehr so viel Zeit für die Jagd aufwenden, was ein Energiegewinn bedeutet. Doch gleichzeitig warnen die Forscher, dass sich die Strömungen beschleunigen und die Wassertemperaturen steigen, was sich negativ auf die Robben und ihre Beute auswirken könnte.
Um mehr über die Gewohnheiten beim Tauchen und die physiologischen Vorgänge zu erfahren, wollen die südafrikanischen Forscher Rossrobben mit Sendern versehen, die Daten aufzeichnen sollen. Ausserdem wollen die Forscher Gewebeproben sammeln, um mehr über die Beutetiere herauszufinden. Bisher ist lediglich bekannt, dass die Tiere zeitweise kleine antarktische Dorschartige jagen, besonders wenn sie im Fellwechsel sind. Auch Tintenfische stehen auf dem Speisezettel. Doch genaueres ist nicht bekannt. Vor allem fehlen Ganzjahresdaten, was mit dem neuen Projekt gefüllt werden soll. Ausserdem ist nicht bekannt, ob die Robben ein breites oder enges Beutespektrum haben. Sollten sich die Prognosen in Bezug auf die Veränderungen in den antarktischen Gewässern bewahrheiten und die Robben nur ein enges Spektrum haben, könnten die Tiere in Schwierigkeiten geraten.
Rossrobben haben von allen antarktischen Robben die grössten Augen gemessen an ihrem Körper. Doch über die Tauchgewohnheiten ist kaum etwas bekannt. Professor Mcintyre und Mia Wege wollen mit ihrem Projekt nun herausfinden, wo die physiologischen Limiten der Tiere liegen und ob sie diese bei ihren Tauchgängen erreichen. Sollten sie dies tun, könnten die Tiere weniger flexibel auf die Veränderungen in den antarktischen Gewässern reagieren. Insgesamt hoffen die Projektleiter, möglichst viel über die geheimnisvolle Rossrobbe und ihre Umwelt zu erfahren, bevor die Tiere vielleicht auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal