Das Leben des Richard Evelyn Byrd verlief in geordneten militärischen Bahnen: Geboren 1888 in Winchester, Virginia, USA, in eine der reichsten Familien des Gliedstaates, absolvierte er die Militärschule und stand während des Ersten Weltkriegs als Marineoffizier in den kanadischen Gewässern im Einsatz. 1917 begann Byrd mit dem Flugtraining und wurde zum begeisterten Flieger. 1925 reiste er als Leiter der McMillan-Expedition zum ersten Mal in die Arktis, wo er mit seinem Team fast 80’000 Quadrat Kilometer Eis und Land kartographierte.
Kein Wunder, kam er eines Abends auf die Idee, als erster Mensch überhaupt per Flugzeug den Nordpol zu erobern – angeblich während eines heiteren Abendessens mit Roald Amundsen in Spitzbergen, der dasselbe vorhatte. Tatsächlich brach Byrd zusammen mit seinem Copiloten Floyd Bennet am 9. Mai 1926 mit einer dreimotorigen Eindecker-Fokker in Richtung Nordpol auf: drei Tage, bevor sein Freund Amundsen und dessen Copilot Lincoln Ellsworth mit demselben Ziel abflogen. Letztere erreichten den Pol und dokumentierten im Gegensatz zu Byrd ihren Erfolg. Byrd behauptete zwar, er sei als Erster dort gewesen, doch seine Leistung ist bis heute umstritten.
Machte nichts. Ein Jahr später überflog Richard Byrd den Atlantik von New York nach Paris, konnte dort aber wegen schlechter Sicht nicht landen und legte in der Normandie eine saubere Notlandung hin.
Machte auch nichts: Die beiden unglücklich verlaufenen Pionierflüge spornten den Amerikaner an, sein nächstes Vorhaben zu einem richtig grossen Abenteuer werden zu lassen: Der allererste Flug über den Südpol. Byrd verkaufte im Voraus die Exklusivrechte für die Berichterstattung der «New York Times», die Magazinrechte erhielt das «National Geographic» und die Filmrechte erwarben die Paramount-Studios, Byrd liess sich überdies von John D. Rockefeller und Edsel Ford sponsern. Er brach schliesslich im Herbst 1928 mit einem gigantischen Tross auf in Richtung Ross-Schelfeis. Ausrüstung: Vier Schiffe, drei Flugzeuge, eine mobile Werkstatt, ein Fotolabor, Funk- und Radiotechnik, 500 Tonnen Material, 5000 Einzelteile. In der Mannschaft: ein Flugteam, ein Kommunikationsteam, Geologen, Meteorologen, Ingenieure, Physiker, Ärzte, ein Hundeteam mit 100 Schlittenhunden und natürlich die Schiffscrews. In der Redaktion der «New York Times» lagen übrigens bereits die Nachrufe der wichtigsten Expeditionsteilnehmer parat, sollte etwas schief gehen.
Nach einigen Probeflügen gelang am 28. November 1929 der Überflug tatsächlich: Mit einer Ford Trimotor sahen Richard Evelyn Byrd, sein Pilot, sein Funker und sein Kartograph nach fast neun Stunden Flug als erste Menschen den Südpol von oben. Diese Leistung war nicht wegen der Technik bahnbrechend, sondern wegen der Perspektive: Bisher erfolgten Antarktis-Expeditionen ausschliesslich auf dem Land. Nun verschaffte sich die Menschheit zum ersten Mal einen Überblick.
Byrd war von diesem allerdings nur mässig begeistert. In seinem Bericht zuhanden der Regierung schrieb er: «Der Pol lag im Zentrum einer endlosen Ebene. Keine Berge waren sichtbar. Das ist, kurzgefasst, alles, was es zum Südpol zu sagen gibt. Man kommt an. Mehr gibt es da nicht zu erzählen.» Immer hin: Sein Kartograph hatte die 2570 Kilometer lange Strecke beim Hin- und Rückflug aus führlich von oben fotografiert.
Wie abenteuerlich diese Pioniertat trotzdem war, zeigt der Flug, denn Byrd konnte die Höhe der Berge nur schwer einschätzen. Unterwegs musste die Crew 125 Kilo Ballast abwerfen, um es im letzten Moment über die Passlinie des Liv-Gletschers zu schaffen.
Byrd erntete öffentlichen Ruhm und militärische Ehre, die «New York Times» musste keinen einzigen Nachruf drucken. 1934 leitete er erneut eine Expedition in die Antarktis und überwinterte alleine in einer Wetterstation. Von 1939 bis 1941 richtete er im Auftrag der US-Regierung zwei weitere Stationen ein. 1946 leitete er die militärische Aktion «Highjump», in der 13 Schiffe, 4 Helikopter und 13 Flugzeuge einem Kältetest unterzogen werden sollten. 4500 Menschen waren im Einsatz. Die Aktion wurde nach wenigen Wochen abgebrochen, bis heute ohne offizielle Begründung.
Der Admiral flog noch zwei weitere Male über den Südpol. Er starb am 11. März 1957 in Boston.
Greta Paulsdottir