Swiss Camp Grönland – Das Ende einer Ära | Polarjournal
Das Swiss Camp lag rund 80 Kilometer von der Stadt Ilulissat mitten auf dem grönländischen Eisschild. 30 Jahre lang wurde hier u.a. der Einfluss des Klimawandels auf die Kryosphäre untersucht, bis dieser Einfluss nun auch das Camp kostete. Bild: Capricorn4049 via Wiki Commons

Als Alfred de Quervain 1912 seine Forschungsarbeit in Grönland durchführte, startete er damit auch die Schweizer Polarforschung auf der grössten Insel der Welt. Ein Highlight der Schweizer Polarforschung war 1990 die Errichtung des Swiss Camp durch den im letzten Jahr dort verstorbenen Kryosphären-Forscher Konrad «Koni» Steffen. Doch der Einfluss des Klimawandels, der dort von so vielen Forscherteams untersucht worden ist, nagte auch an der Basis des Camps. Daher wurde beschlossen, das Camp abzubauen.

Die Schweiz ist bekannt dafür, viele Dinge in Ruhe und Bescheidenheit zu unternehmen. In diesem Sinne wurde auch das Swiss Camp, die einzige feste Schweizer Polarforschungseinrichtung in Grönland, in diesem Jahr demontiert. Dies, nachdem auch schon der Gründer des Camps, der verstorbene Leiter der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Professor Koni Steffen, erkennen musste, dass der Aufwand, das Camp an der Stelle weiter zu betreiben, nicht mehr rentabel war. Zu stark setzten die Auswirkungen der Erwärmung, die Steffen mit seinen Kollegen dort während 30 Jahren untersucht hatte, dem Camp zu. Zwei Mal waren die Stützen, auf denen ein Teil der Gebäude des Camps gestanden hatten, zusammengebrochen, zuletzt 2012. Immer wieder mussten die Forscher selbst das Camp aufbauen und weiter verstärken. Letztes Jahr dann der endgültige Todesstoss: Die Plattform mit den beiden Hauptgebäuden war erneut zusammengebrochen. Der Klimawandel hatte schliesslich doch gesiegt.

Neben den Zelten am Boden waren die Hauptgebäude des Swiss Camps auf einer Plattform errichtet worden, um den klimatischen Bedingungen Rechnung zu tragen. Denn oft genug fanden Steffen und sein Team die Station entweder fast eingeschneit oder, ab den 2000er Jahren, fast freischwebend vor. Drei Mal musste das Camp komplett neu errichtet werden. Bild: Simon Steffen

Zwei seiner Assistenten, Dr. Derek Houtz vom WSL und Simon Steffen (heute bei einer externen Firma), die schon seit 2013 bzw. 2011 mit Koni Steffen immer wieder im Swiss Camp waren, wurden mit dem Abbau beauftragt. Sie waren bereits letztes Jahr dort gemeinsam mit Koni Steffen auf der Expedition gewesen und hatten vor dem Unfall einen ersten Augenschein genommen. Gemeinsam mit den erfahrenen Polarforschern Alain Hubert und Nighat Johnson-Amin von der belgischen International Polar Foundation, machten sie sich an die Arbeit und organisierten die Expedition. Doch noch bevor mit den Arbeiten begonnen werden konnten, trafen die beiden auf ein grosses Hindernis: das grönländische Bewilligungsverfahren. «Wir benötigten eine Expeditionsbewilligung der Behörden, um unsere Arbeit durchführen zu können,» erklärt Derek Houtz im Interview mit PolarJournal. «Das war keine einfache Sache, obwohl wir schon 5 Monate im Voraus die Anträge gestellt hatten.» Am Ende erhielten sie die Bewilligungen und die Erkenntnis, dass Koni Steffen nicht nur ein Meister in der grönländischen Kryosphärenforschung, sondern auch in deren Behördendschungel war. «Bis zu diesem Jahr dachten wir, dass der Prozess nicht so schwierig sein dürfte. Bei Koni sah das immer sehr einfach aus», meint Simon Steffen. «Doch die Realität war ganz anders und bis zuletzt waren wir nicht sicher, ob wir überhaupt loslegen können.»

Vom Camp war in diesem Jahr nicht mehr viel übriggeblieben. Ungewöhnlich viel Schnee und andere Wetterextreme hatten dem Camp seit letztem Jahr massiv zugesetzt. Übrig war mehr ein Trümmerfeld als eine Forschungsstation. Bild: Derek Houtz

«Wir konnten kaum glauben, was wir sahen»

Simon Steffen, Expeditionsteam
Meterhoher Schnee hatte die Überreste der bereits 2020 kollabierten Plattform fast vollständig zugedeckt. Im Hintergrund fliegt einer der gecharterten Hubschrauber an. Video: Simon Steffen

Als die Formalitäten geklärt gewesen waren, spielt das Wetter nicht mit. Die drei Männer und eine Frau mussten zwei Tage von insgesamt knapp sieben Tagen in Ilulissat ausharren, bevor es endlich mit gecharterten Hubschraubern aufs Inlandeis ging. Und was die vier Expeditionsteilnehmer dort vorfanden, liess ihnen das Blut gefrieren (trotz ungewöhnlich hoher Temperaturen): Wo einst zumindest die Grundstrukturen des Swiss Camps gestanden hatten, blickten sie auf ein Trümmerfeld. Begraben unter meterhohem schwerem Nassschnee, umgeben von zahlreichen Schmelzwassertümpeln und Seen, war von den Schlafzelten und den Hauptgebäuden auf der Plattform kaum mehr etwas zu sehen. Das Küchengebäude war praktisch ganz weg. Unter dem Schnee war eine fast 30 Zentimeter tiefe Wasserschicht, bevor dann das Eis kam. «Wir konnten kaum glauben, was wir sahen», sagte Simon Steffen. «Wir waren ja schon oft dort gewesen und mussten das Camp immer wieder reparieren und unterhalten. Doch das jetzt war einfach unglaublich.» Und Derek fügt an: «Früher, wenn wir mit Koni hergekommen waren, meinte er nur schelmisch, dass wir halt jetzt viel zu tun hätten und hätte einfach gelacht.» Auch für Alain Hubert dürfte der Anblick des zerstörten Camps schmerzhaft gewesen sein. Denn er war am letzten Aufbau 2012 zusammen mit Koni Steffen beteiligt und war auch sonst eng mit ihm befreundet.

Mit gecharterten Hubschraubern wurde da abgebaute Material, darunter auch die Schneescooter, nach Ilulissat transportiert. Man konzentrierte sich besonders auf die potentiellen Gefahrenstoffe wie Batterien, Schneescooter, Propanflaschen und Metalle. Video: Derek Houtz

Doch trotz der Verwüstung und der Tatsache, dass man nur zu viert mitten auf dem grönländischen Eisschild war mit nur noch 4.5 Tagen Zeit, machten sich die vier Leute an die Arbeit. «Wir arbeiteten rund 12 Stunden am Tag,» erinnert sich Derek Houtz. «Wir sind uns schwere Arbeiten im Feld durchaus gewohnt. Doch ich war noch nie so fixfertig wie bei diesem Projekt.» Auch für Simon Steffen war es ein Knochenjob: «Alles war nass vom übersättigten Schnee. Die Stiefel hielten das Wasser, in dem wir standen, kaum mehr ab. Wir mussten alles ausgraben und transportbereit machen. Das war eine der härtesten Arbeiten, die ich je unternommen hatte. Wir haben etwa 4- 5 Tonnen Material weggeschickt.»

Das ganze Material war tief im Schnee vergraben und musste mühsam von Hand freigeschaufelt werden. Die Anstrengungen sind Simon Steffen (im Bild) ins Gesicht geschrieben. Bild: Derek Houtz

Während der Aufräumarbeiten musste die Gruppe auch die Augen offenhalten: Neue Spalten konnten unter dem Schnee lauern. Einer solchen war wahrscheinlich Koni Steffen letztes Jahr zum Opfer gefallen. Ausserdem war auch die Gefahr von Eisbären ein ständiger Begleiter, etwas, dass sich weder Derek noch Simon in früheren Jahren hatten vorstellen können. «Wir hatten ein Gewehr dabei, was wir früher nie mussten. Doch die Behörden haben das für die Bewilligung gefordert», erklärt Simon. Ein weiteres Zeichen dafür, wie sich das Klima auf Grönland verändert hat.

Seit dem Start des Swiss Camps wurde dort eine der längsten Klima- und Gletscherdatenreihe mithilfe von automatischen Stationen aufgenommen. Diese werden nun vom Denmark Geological Survey GEUS weiterbetrieben und modernisiert. Bild: Capricorn4049 via Wiki Commons

Auch die automatischen Messtationen, die um die Station aufgestellt waren, schauten nur noch stellenweise aus dem Schnee, eine war ganz verschwunden. Das Ende einer der längsten kontinuierlichen Datenreihen über Klima und Eis? «Nein», erklärt Derek Houtz. «Die Denmark Geological Survey GEUS übernimmt die Messungen und die Stationen. Da sie aber schon älter sind, sollen neue, modernere Stationen in das Netzwerk von GEUS integriert werden. Die Datenerhebung wird weitergehen.» Auch die Forschung in Grönland wird mit dem Verlust des Camps nicht beendet sein. «Man wird in Zukunft auf mobile Camps setzen, die bei Bedarf errichtet und danach wieder abgebaut werden», fügt Simon an.

Nicht alles Material wurde mit dem Hubschrauber zurückgeschickt. Das Holzfundament und einiges des brennbaren Materials wurde in einem grossen Haufen verbrannt. Auch ein Denkmal an Koni Steffen von Simon (links) und Derek (rechts) und Alain und Nighat (nicht im Bild). Foto: Simon Steffen

Trotz der ganzen widrigen Umstände gelang es dem Team, die Arbeiten zu beenden und das meiste an Material zurück nach Ilulissat zu bringen. «Fast alle, was wir zurückgeschickt haben, wurde in Ilulissat wiederverwendet», sagt Simon. «Sogar die ganzen Utensilien wie Messer, Löffel und Geschirr werden wieder gebraucht.» Einige der Messgeräte, die von Koni Steffen und seinem Team dort verwendet worden waren, kamen zusammen mit einigen von Konis Sachen zurück nach Zürich. «Es gab schon ein paar komische Momente, als wir zusammengepackt haben», sagt Derek. «Besonders traurig ist die Tatsache, dass mit dem Ende des Camps auch die Lehre und die Bildung vor Ort über den Klimawandel und die Kryosphäre zu Ende geht. Das war für Koni sehr wichtig.» Für Simon war der Abbau auch emotional, aber weniger als er angenommen hatte. «Das ganze Holzmaterial, das Fundament der Hauptgebäude, haben wir dort verbrannt», sagt er. «Zum einen ist das CO2-mässig ein viel geringerer Abdruck, als es mit dem Hubschrauber nach Ilulissat zu transportieren. Zum anderen haben wir so ein letztes Mal Koni an der Stelle geehrt, an die er so gerne immer wieder zurückgekommen war.» Ein stilles, aber würdiges Ende für ein Stück Schweiz mitten in Grönland.

Mach’s gut, Swiss Camp und danke, Koni (mitte) für 30 Jahre hochkarätige Forschung in Grönland!

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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