Norwegische Höhle beherbergt 100.000 Jahre alte Eisbärenknochen | Polarjournal
Die Norcemgrotta in der Gemeinde Narvik ist eine der beiden Höhlen, die das Forschungsteam genau auf Spuren von prähistorischen Tieren untersucht. Foto: Marius Robu

Archäologische Funde von der Tierwelt in hohen Breitengraden aus der Zeit vor der letzten Eiszeit sind wegen der Erosion durch die mächtigen Gletscherextrem rar. Dennoch machte Stein-Erik Lauritzen, Professor für Höhlenforschung, vor 30 Jahren eine einzigartige Entdeckung: er fand in einem Höhlensystem unter dem Dorf Kjøpsvik in Nordnorwegen die Überreste eines mindestens 70.000 Jahre alten Eisbären. Ein äußerst überraschender Fund, denn die letzte Eiszeit in Nordeuropa dauerte von etwa 115.000 bis 12.000 Jahre vor heute. Welche weiteren archäologischen Schätze sich in dem Höhlensystem verbergen, soll das «EvoCave»-Projekt aufdecken, das im September mit einer ersten Ausgrabung startete.

Nach vielen Jahren der Antragstellung erhielten Forscher der Universität Oslo, der Universität Bergen und von weiteren Universitäten und Instituten nun 12 Millionen Norwegische Kronen (ca. 1.2 Millionen Euro) für ihr dreijähriges «EvoCave»-Projekt mit dem Ziel, die bis zu 122.000 Jahre alten Sedimente aus dem Höhlensystem genau zu untersuchen. Die erste vierwöchige Grabung in den Karsthöhlen «Norcemgrotta» und «Nygrotta» auf 68°50’N im nordnorwegischen Narvik hat das interdisziplinäre, internationale Team aus Archäologen, Geologen, Biologen und anderen bereits abgeschlossen und ist fündig geworden. Dieses Höhlensystem wird als weltweit einzigartig beschrieben.

Mehr als 1000 Eimer Sediment haben die Forscher in knapp vier Wochen gesiebt und dabei viel Knochenmaterial zutage gefördert. Foto: EvoCave, Universität Oslo

Die Forscher arbeiteten sich in den Höhlen sorgfältig durch die zahlreichen Sand- und Kiesschichten, von denen jede eine Epoche der Vorgeschichte repräsentiert. Die Sedimente siebten sie und extrahierten Knochenmaterial und andere Spuren. In den oberen Sedimentschichten fanden sie zahlreiche kleine Wirbel, Schwanzknochen, Kiefer mit und ohne Zähne und sogar einige Schädel von kleinen Säugetieren, die noch identifiziert werden müssen. In fünf bis sechs Meter Tiefe wurden die Funde spannender: hier stießen die Forscher auf weiteres Knochenmaterial — winzige Stückchen — die laut Trond Klungseth Lødøen, Archäologe am Universitätsmuseum in Bergen und Leiter der Feldarbeit in den Höhlen, bis zu 100.000 Jahre alt sein können. Die genaue Bestimmung der Tiere und die Datierung wird im Labor erfolgen. Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass das Material mindestens 80.000 bis 90.000 Jahre alt ist. Laut Lødøen könnte es aber auch bis zu 122.000 Jahre alt sein. Doch wie kommt es, dass aus dieser Zeit so viele tierische Spuren zu finden sind? Nordeuropa lag damals unter einem dicken Eispanzer, jedenfalls nach dem gegenwärtigen allgemeinen Verständnis. 

Die neuen Funde zeigen, dass es während der sogenannten Weichsel-Eiszeit mehrere warme Phasen mit einer vielfältigen Tierwelt gegeben haben muss, so Lødøen. Offenbar war die Ausdehnung des Eises zeitweise geringer, sodass sich Tiere ansiedeln konnten. Damit wäre auch die Auffassung widerlegt, dass die kilometerdicken Gletscher alle Spuren von Leben verwischt haben. Allerdings sind die Sedimente in den Höhlen unter dem Ort Kjøpsvik, die die Spuren prähistorischen Lebens gut erhalten haben, eine Ausnahme. Daher sei in den nordischen Ländern über die Artenvielfalt vor mehr als 100.000 Jahren nur sehr wenig bekannt, wie Lødøen erklärt. Die wohl spektakulärsten Funde von Knochenmaterial, die die Forscher bisher machten, stammen von prähistorischen Wölfen, Eisbären, Robben, Kabeljau und Trottellummen.

Die Biologin Sanne Boessenkool vom Department of Life Sciences der Universität Oslo hofft anhand des genetischen Materials aus den Knochen herauszufinden, wie sich die DNA der Tiere bei Eintritt in eine Warmphase verändert hat. Dies könnte ihnen Antworten darauf geben, was mit dem genetischen Material von Tieren passiert, die heute mit dem Klimawandel konfrontiert sind, sagt sie. 

Das interdisziplinäre Team besteht aus Archäologen, Geologen, Biologen und anderen, die nun bis zur nächsten Ausgrabung in 2022 die ersten Puzzleteile im Labor zusammensetzen. Foto: Trond Klungseth Lødøen

Mit der Erkundung der Höhlen, von denen es in der Region Zehntausende gibt, haben die Forscher auch die Möglichkeit, mehr über die Bedingungen während der Eiszeit und die Artenvielfalt und Lebensweise der Tiere zu erfahren. Und mit diesen Informationen lassen sich Aussagen über das damalige Klima treffen, die für den heutigen Klimawandel relevant sein könnten. «Durch das Verständnis der Veränderungen der biologischen Vielfalt in früheren Zeiträumen mit Kälte- und Wärmezyklen, werden wir heute wichtige Erkenntnisse über die Widerstandsfähigkeit von Arten und Ökosystemen gegenüber Klimaänderungen gewinnen», erklärt Lødøen.

Nach dieser ersten Grabung haben die Forscher nun viel Arbeit in ihren jeweiligen Laboren. Der Archäologe Lødøen hofft insgeheim, auch Spuren von Menschen zu finden. In einem Blog-Eintrag berichteten die Forscher von kleinen Stückchen Holzkohle, die ein Hinweis auf menschliche Besiedlung sein könnten. Im nächsten Jahr führt das Team eine zweite Grabung durch, bei der auch das Höhlengebiet Fauske untersucht werden soll. 

Julia Hager, PolarJournal

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