Kurz vor der UN-Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow schwankt die Stimmung zwischen der verzweifelten Hoffnung auf einen Durchbruch und das Einhalten des 1,5 Grad-Ziels – und der Befürchtung, dass Länder zu den notwendigen Maßnahmen nicht bereit sein werden. Renommierte Polarwissenschaftler schickten nun einen dringenden Appell an die Konferenzteilnehmer: Die Eischilde Grönlands und der Antarktis schmelzen schneller denn je – mit katastrophalen Auswirkungen auf den globalen Meeresspegel und das Wetter. Nur schnelles und umfangreiches Handeln kann das aufhalten.
Ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Am Eisfjord in Ilulissat, Westgrönland, schwimmt ein Eisberg nach dem anderen vorbei. Brocken vom zweitgrößten Eisschild der Welt bilden ein ständig wechselndes Panorama. Bizarre Formen wechseln ihre Farbe im Licht des arktischen Hochsommers, mal tief blau, mal silbern schimmernd, in der hellen Nacht rosa oder orange. Vom Boot aus, an der Gletscherfront, höre ich das Zischen, Knistern und Knacken der kleineren Eisstücke, die zu einem weißen Meer zusammenwachsen. Ein lautes Donnern signalisiert das „Kalben“, wenn größere Brocken vom Gletscher abbrechen und kleine Wolken von Puderzuckerschnee in die Luft schicken, während sie selbst ins Meer stürzen. Im blauen Himmel funken winzige Eiskristalle.
Das beeindruckende Spektakel hat allerdings einen düsteren Hintergrund. Sermeq Kujalleq ist der am schnellsten fließende Gletscher der Welt – und ist zum Symbol des sich beschleunigenden Klimawandels geworden, der die Welt, wie wir sie kennen, bedroht. Einen „Hotspot“ des Massenverlusts des grönländischen Eisschilds, nennt ihn Wissenschaftler Jason Box von GEUS (Geological Survey of Denmark and Greenland). Der riesige Eisschild, über 1.7 Millionen Quadratkilometer, verliert Eis mit einer stetig zunehmenden Geschwindigkeit. Das gilt für alle Eisregionen der Welt, ergänzt sein Kollege, Andreas Ahlstrom.
Wenn der Champagnerkorken knallt –kein Grund zu feiern
Kurz vor der UN-Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow richteten die beiden GEUS-Experten mit zwei Kollegen des Danish Meteorological Institute (DMI) auf einer Pressekonferenz im dänischen International Press Centre (IPC) einen dringenden Appell an die Delegierten: Nur rasches und umfangreiches Handeln könnten das Abschmelzen der Eisschilde und Gletscher aufhalten.
„Im Vorfeld von COP26 gewinnen unsere Beobachtungen an Bedeutung, weil sie zeigen, wie extrem stark die Kryosphäre – die gefrorenen Teile unseres Planeten – auf den verstärkten Treibhauseffekt reagieren“, sagte Box.
Mit seinen Kollegen hat Box in diesen Tagen beobachtet, dass der riesige Sermeq Kujalleq-Gletscher, das Portal, wo das meiste Eis von dem Eisschild ins Meer gelangt, seinen Ausstoß mehr als verdoppelt hat. Er vergleicht das mit dem Knallen eines Champagnerkorken – allerdings ohne jeden Grund zu feiern. 50 Gigatonnen Eis oder 50 Kubikkilometer Wasser flössen nun an dieser Stelle ins Meer, sagt Box. Nach einigen kalten Jahren – eine natürliche Variation, die den allgemeinen Erwärmungstrend nicht verneinen –sei der Gletscher wieder auf sein Minimum von 2015 zurückgegangen und sprühe „wie ein Feuerwehrschlauch“. Neben der Erwärmung von oben spiele wohl auch wärmeres Wasser eine große Rolle. Und die Konsequenzen spüre man rund um den Globus in Form eines steigenden Meeresspiegels.
Seit den 1970er Jahren hat der Verlust von Landeis in allen Regionen der Arktis einen zunehmenden Beitrag zum Anstieg des globalen Meeresspiegels geleistet.
In diesem Sommer fiel mehrmals Regen auf den höchsten Punkt Grönlands, wo sonst nur Schnee herunterkommt. Box und seine Kollegen haben mit neu installierten Geräten den höchsten Regenfluss, der je auf Grönland gemessen wurde, registriert.
Die Experten sehen das Überschreiten von Null Grad Celsius als eine Art Kipppunkt. Aus Schnee wird Regen. Der Regen verdunkelt die Oberfläche, wärmt den Schnee an und trägt dazu bei, dass sich die Arktis dreimal so schnell wie der globale Durchschnitt erwärmt. Und dieser Kipppunkt werde immer öfter überschritten.
Klimamessungen seit 1840
1990 etablierte der Schweizer Wissenschaftler Konrad Steffen “Swiss Camp”, ein Messnetzwerk auf dem grönländischen Eisschild. „Koni“, wie er genannt wurde, verstarb dort bei einem tragischen Unfall im letzten Jahr. Box und seine Kollegen führen seine Arbeit fort und installierten neue Gerätschaften, um die Messungen weiter zu führen. Seit 1990 – also in nur dreißig Jahren – verzeichnen die Daten einen Temperaturanstieg von 1.7°C im Sommer und 2°C im Jahresdurchschnitt.
Eisbohrkerne und Instrumentalmessungen des DMI gehen bis in die 1840er Jahre zurück.
Sie zeigen, dass der Eisschild bis 1900 stabil war. Danach fing er an, Masse zu verlieren. Die einzige Ausnahme wurde in den 1970er Jahren gemessen, vermutlich weil der erhöhte Schwefelanteil in der Atmosphäre das Eis verschattete. Danach dominiert die Erwärmung durch den sich verstärkenden Treibhauseffekt, so Box.
Martin Stendel ist Klimawissenschaftler bei DMI. Das Institut nutzt u.a. Daten von GEUS sowie Satellitenbeobachtungen, um Klima- und Wettermodelle zu erstellen und zu überprüfen. Die Experten messen den Schneefall auf Grönland sowie Schmelzwasser und Wasserabfluss ins Meer, um die Eismassenbilanz zu berechnen. Seit den späten 1990er Jahren verliert die größte Insel der Welt mehr Eis als sie dazugewinnt, so Stendel. Dies bestätigten Satellitenbeobachtungen und Modellberechnungen.
Vor Jahr zu Jahr variiere das zwar stark, erklärt der Forscher. So sei beispielsweise 2018 kälter als normal gewesen. Das heiße aber nicht, dass es den Klimawandel nicht gäbe. Die GRACE –Satelliten und ihre Nachfolger vermessen Veränderungen im Erdgravitationsfeld, die die Modelle bestätigen. Zwischen 2002 und 2020 nimmt die Eismassenbilanz immer mehr ab. In nur 18 Jahren sind 4.200 Gigatonnen oder Kubikkilometer Eis verloren gegangen.
Steigende Meeresspiegel von der Arktis bis zu den Tropen
Thermische Ausdehnung war lange für den höchsten Anteil des Meeresspegelanstiegs verantwortlich. Inzwischen habe schmelzendes Landeis sie überholt, erklärt Ruth Mottram, ebenfalls Wissenschaftlerin beim DMI . Das wird auch so weiter gehen, ist sich die Expertin sicher. Allein vom Abschmelzen kleiner Gletscher sei ein Anstieg von einem halben Meter im Durchschnitt zu erwarten. Wann das passiert, hänge stark davon ab, welchen Emissionspfad unsere Regierungen einschlagen. Die meisten kleinen Gletscher – auch die in den europäischen Alpen – werden bis zum Ende des Jahrhunderts verschwunden sein. Nach einer neuen Studie werden die drei Gletscher Afrikas spätestens 2040 nicht mehr vorhanden sein.
Die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die seit eintausend Jahren existiert, könnte innerhalb von nur 100 bis 200 Jahren einen Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern erleben, so Box.
Der Meeresspiegelanstieg wird nicht überall gleich ausfallen. Obwohl die Industrieländer des globalen Nordens für den Anstieg des Treibhausgasausstoßes und so des Meeresspiegels verantwortlich waren, wird er in den Tropen um 30 bis 40 Prozent höher ausfallen, so die Wissenschaftler. So werde der globale Süden wieder einmal unter dem von den Industrieländern verursachten Klimawandel leiden.
Zurzeit trägt der grönländische Eisschild am meisten zum Meeresspiegelanstieg bei. Das wird sich aber nach Meinung der Klimawissenschaftler ändern. Und das ist keine gute Nachricht. Die Schmelzrate in der Antarktis ist in den letzten Jahrzehnten schneller geworden, berichtet Box. Dabei sei das Eisvolumen im Süden neun Mal so groß wie Grönland.
Es ist extrem schwierig, einen Zeitrahmen für den Meeresspiegelanstieg vorauszusagen. Da es noch viele unbekannte Größen gibt, könnte er auch wesentlich höher ausfallen, als bisher prognostiziert. Das hätte verheerende Folgen für Großstädte rund um den Globus. Ein Meter bis zum Ende des Jahrhunderts sei auf alle Fälle „in der Pipeline“, sagt Box. Man könne aber nicht ausschließen, dass es mehrere Meter sein werden.
Die neuesten Berichte des Weltklimarats zeigen, dass nicht alle Gletscher Grönlands sich gleich verhalten, erinnert Ruth Mottram. Einige gehen stärker zurück als andere. Es gibt eben noch sehr viel, was wir über die Mechanismen unseres Planeten noch nicht wissen. Wie genau der Ozean die Gletscher verändert sei noch sehr unklar, sagt die dänische Expertin. Trotz der Fortschritte in den letzten Jahren habe man immer noch zu wenige Daten. Hier erwartet sie in den nächsten fünf Jahren wichtige Fortschritte.
Schrumpfendes Meereis
Auch das Meereis spielt eine wichtige Rolle beim Klimawandel in der Arktis. Es trägt zwar nicht zum Meeresspiegelanstieg, aber zur allgemeinen Erwärmung bei. Das weiße Eis reflektiert Wärme zurück in den Weltraum. Dieser Albedo-Effekt hilft, die Erde zu kühlen. Heute ist das Meereis in der Arktis dünner geworden. Es löst sich auch früher im Jahr auf, selbst in den nördlichsten Regionen, die als „eisfest“ galten. Das Meerwasser ist dunkler und absorbiert mehr Wärme.
Mottram und ihre Kollegen arbeiten mit Jägern vor Ort zusammen. Sie bringen die Wissenschaftler hinaus aufs Eis, wo sie sie Messungen vornehmen können. Das Meereis ist für die traditionelle Jagd und Fischerei von hoher Bedeutung. Es bietet Eisbären, Walrossen und anderen Spezies die Lebensgrundlage.
Selbst im “letzten Eis” von Nordgrönland gibt es immer öfter offene Wasserflächen. Das Eis wird dünner, es gibt weniger altes Eis und die Windverhältnisse verändern sich. Obwohl der Sommer in diesem Jahr dem Meereis etwas weniger zugesetzt hat als in den zurückliegenden fünf Jahren, sei die Ausdehnung immer noch sehr gering im Vergleich zu 1990, erklärt Mottram. An einer Stelle, wo die Eisdecke in den 1960er Jahren zwei Meter betrug, haben die Wissenschaftler in diesem Sommer eine Eisdicke von lediglich 90 cm gemessen. Zum ersten Mal haben sie Tümpel aus Schmelzwasser auf dem Meereis entdeckt. Sie rechnet mit sehr großen Veränderungen in den kommenden Jahren.
Die Arktis als Ursprung von Extremwetterereignissen
Die Arktis erwärmt sich dreimal so schnell wie der globale Durchschnitt. Und das Ansteigen des Meeresspiegels ist nicht die einzige problematische Auswirkung davon. Die Veränderungen wirken sich auch auf den Jetstream aus, erklärt Box. Der beeinflusst wiederum das Wettergeschehen und betrifft viele Menschen auch außerhalb der Arktis. Anhaltende Trockenperioden aber auch Regenzeiten, extreme Kälte oder Hitzewellen, Rekordtemperaturen von mehr als 40°C selbst in Europa – alle scheinen ihren Ursprung in der Arktis zu haben. Martin Stendel nennt explizit die katastrophale Flut in Deutschland in diesem Sommer.
GEUS-Experte Andreas Ahlstrom warnt auch vor häufigeren Sturmfluten, die öfter zur Überflutung von Küstengebieten führen werden. Auch Starkregen werde häufiger vorkommen. Dänemark, beispielsweise, wäre dann nicht nur vom steigenden Meeresspiegel, sondern auch von einem Anstieg des Grundwasserspiegels betroffen. Solche Wetterextreme werden unser Leben wesentlich früher und öfter beeinträchtigen als der Meeresspiegelanstieg, warnt er:
“Wir bewegen uns weg von einem eher berechenbaren Klima hin zu einem Klima, das von Jahreszeit zu Jahreszeit dramatisch variiert, und auf eine Art und Weise, die wir schlechter vorhersagen können”. Die Anpassung wird uns Menschen große Probleme bereiten, prophezeit der Wissenschaftler.
„Im Verlauf der Geschichte der Menschheit ist Stabilität einer der Schlüssel unseres Erfolgs als Spezies”.
Ruth Mottram erwähnte auch die anhaltende Debatte über die Auswirkungen des schmelzenden Grönlandeises auf die Meeresströmungen, die wiederum das Klima maßgeblich beeinflussen.
Es kommt noch mehr
Nach den neuesten Klimamodellen des DMI wird sich die Arktis in der Zukunft noch weit mehr erwärmen. Es wird zwar auch mehr Schneefall geben. Insgesamt wird aber das Abschmelzen „gewinnen“, prognostiziert Mottram.
Es gibt große Unsicherheit über die Zeitspannen. Das Grönlandeis könnte bereits in tausend Jahren verschwunden sein. Es könnte aber auch wesentlich länger da sein.
Laut Box nimmt das Abschmelzen der Eisschilde gerade erst Fahrt auf.
Im Norden Grönlands beobachten die Wissenschaftler eine Verstärkung der Erwärmung. Sie rechnen mit großen Veränderungen in den kommenden zehn Jahren. Das abschmelzende Meereis wird den Erwärmungstrend verstärken. Gletscher, die zurzeit nur langsam fließen, werden sich voraussichtlich beschleunigen und viel mehr Eis ins Meer entlassen.
Kann COP26 das Eis erhalten?
Kurz vor dem Klimagipfel in Glasgow haben die dänischen Wissenschaftler eine ernüchternde Botschaft. Selbst wenn die Pariser Ziele eingehalten werden, werden die Eisschilde den Meeresspiegel weiterhin in zunehmendem Maße ansteigen lassen. Box spricht von einer “sich entfaltenden Katastrophe”.
Selbst bei Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels rechnet er an der Stelle, wo das meiste Eis von Grönland ins Meer fließt, mit einer Erwärmung von mindestens fünf Grad Celsius im Sommer.
Das bedeutet aber nicht, dass es keinen Zweck mehr hat, den Treibhausgasaustoß zu reduzieren, betonen Box, Mottram und ihre Kollegen. Die Klimakonferenz in Glasgow könne noch eine Schlüsselrolle spielen. Wenn sich die Welt auf das Einhalten der Pariser Ziele einigt, bliebe ein wesentlicher Teil des Eises in der Welt vorhanden.
„Die Botschaft ist nicht, dass es schon zu spät ist“, betont Box. Je stärker wir die Emissionen reduzieren, desto langsamer geht das Eis verloren. Wir ziehen praktisch die Bremsen an – und kaufen uns Zeit“.
Die Eischilde reagierten sehr stark auf Veränderungen unseres Klimaverhaltens, ergänzt Mottram. Je weniger wir ausstoßen, desto weniger erwärmt sich die Arktis – und desto weniger schmilzt das Eis.
„Das Einhalten der Pariser Vereinbarung kann einen echten Unterschied machen“.
Eines der Hauptprobleme dabei ist, dass Politiker Entscheidungen treffen müssen, die unter Umständen bei ihren Wählern nicht gut ankommen und deren positive Auswirkungen erst in Jahrzehnten gespürt werden. Box appelliert an COP26, sich für die gesetzliche Umsetzung der Klimaverträge einzusetzen.
Einer der Hauptgründe für das 1,5 bis 2°C-Ziel war, das Grönlandeis stabil zu halten, gibt Mottram zu bedenken. Immerhin sei man weiter als bei COP15 in Kopenhagen, auch wenn die bisher in Aussicht gestellte Reduzierung der Treibhausgase noch nicht ausreiche.
Sie habe mehr Hoffnung als damals, möchte aber doch „etwas mehr Fortschritt“ sehen.
Zeit, in das Klimageschehen zu intervenieren?
Für Martin Stendel gibt es eine klare Schlussfolgerung: „Wir müssen so schnell wie möglich ganz aufhören, Treibhausgase auszustoßen; vielleicht müssen wir sogar Treibhausgase aus der Atmosphäre herausziehen“.
„Es gibt viel zu viel CO2 in der Atmosphäre“, ergänzt Box. „Unsere Gesellschaft muss überlegen, wie sie um die 500 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre herausholen kann“. Beim jetzigen CO2-Anteil steuern wir auf einem Meeresspiegelanstieg von mehr als zehn Meter, so Box. Angesichts dieser Tatsache müsse man über Geoengineering nachdenken.
Ich fragte den Grönlandexperten, ob er selbst ein Eingreifen in die Klimamechanismen befürworten würde. Seine Antwort fällt ernüchternd aus:
„Wir sind so spät daran und die Konsequenzen wären so folgenschwer, dass ich das Gefühl habe, dass wir mit SRM (solar radiation management) anfangen müssen, das heißt die Sonneneinstrahlung zu beeinflussen, beispielsweise indem wir Aerosole in die Stratosphäre injizieren. (…) Das im notwendigen und bezahlbaren Ausmaß zu realisieren, ist nicht außer Reichweite. Allerdings dürfen wir uns nicht nur darauf verlassen. Wenn wir das täten und dann abrupt aufhören würden, könnte es zu drastischen Entwicklungen kommen. Außerdem lenkt das vom Hauptproblem ab. Wir haben aber den CO2-Anteil bereits dermaßen erhöht, dass wir solche Optionen nicht außer Acht lassen können“, schrieb mir Box in einer Email.
Gleichzeitig müssen wir Ansätze weiterentwickeln, die in den nötigen Massen CO2 der Atmosphäre entziehen kann, so Box weiter.
Was bringen die Gäste nach Glasgow?
Wie stehen die Chancen also kurz vor der Konferenz, die von vielen als letzte Chance gesehen wird, das 1,5–Grad-Ziel am Leben zu halten?
Die Vereinten Nationen haben in einem zusammenfassenden Bericht erklärt, dass die von den Ländern bisher angekündigten Emissionsreduktionen dafür keineswegs ausreichen, und dass wir uns eher auf einem Pfad befinden, der zu einem Temperaturanstieg von 2.7°C bis zum Ende des Jahrhunderts führen könnte.
UN Klimachefin Patrizia Espinosa beschrieb dies als “extrem beunruhigend”. Die Situation sei im schroffen Gegensatz zu den notwendigen, wissenschaftlich begründeten Reduktionen, um die schwersten Klimaauswirkungen zu vermeiden, die vor allem die verletzlichsten treffen würden.
Noch können die Länder ihr Engagement erhöhen. In den letzten Tagen zeigte aber ein vom britischen Sender BBC verbreiteter Bericht , dass Länder wie Saudi-Arabien, Australien und Japan hinter den Kulissen versuchen, die Weltklimaziele abzuschwächen.
Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass vage Versprechen, bis 2050 “CO2-neutral” zu werden, nicht ausreichen, um gefährliche Klimaveränderungen zu vermeiden. Bereits 2030 müssen schon wesentliche Fortschritte erzielt werden. Laut einem detaillierten Vergleich verschiedener Klimamodelle mit nationalen Zusagen, der im September veröffentlicht wurde, werden die Emissionen 2030 fast gleich hoch sein wie heute. Sie müssten aber halbiert werden, um das 2050 Ziel einzuhalten.
Laut der Analyse würden die bisher eingereichten Klimapläne – wenn sie komplett umgesetzt würden – bestenfalls zu einer Erwärmung von 2.4°C führen. Eine der in der Studie benutzten Methoden beziffert die Chancen, die Erwärmung unter 2°C zu halten, auf 50-50, selbst beim konsequenten Anpeilen von „Netto-Null“
Der Leitautor der Studie Niklas Höhne vom Kölner New Climate Institute sagte im Interview mit Yale Environment 360 die 2050-Netto-Null Ziele ermöglichten zum ersten Mal das Einhalten der Pariser Temperaturziele. Allerdings sein kein einziges Land auf einem Kurs, der die dafür notwendigen kurzfristigen Maßnahmen bis 2030 umsetzen würde.
Das 1.5°C-Ziel bliebe aber erreichbar, sollten alle G20-Länder ehrgeizige Emissionsziele für 2030 annehmen und bis 2050 tatsächlich bei “Netto-Null” ankommen.
Das wäre die bestmögliche Nachricht für die Arktis.
Die International Cryosphere Climate Initiative (ICCI) hat anlässlich der Klimakonferenz einen neuen Bericht über den Zustand der Kryosphäre veröffentlicht. Ehemalige UN-Klima-Chefin Christina Figueres sagte bei der Vorstellung des Berichts:
„Die Menschen wissen, dass die Eisschilde abschmelzen. Sie wissen aber oft nicht, dass die Auswirkungen des Eisverlusts aus menschlicher Sicht permanent sein werden – und für die Menschheit katastrophal“.
Auch dieser Bericht, der von 50 leitenden Wissenschaftlern unterstützt wird, stellt fest, dass eine Reduzierung des globalen CO2-Ausstosses um 50 Prozent bis 2030 nötig wäre, um das Abschmelzen des Eises aufzuhalten.
Die Welt müsse die Realität erkennen, so Figueres.
„Wir können nicht zögern oder mit dem Schmelzpunkt von Eis verhandeln“, sagte sie.
Dr. Irene Quaile-Kersken