COP26 – Nicht die Konferenz, die die Arktis und die Welt rettete | Polarjournal
Demonstrationen, die den Konferenzteilnehmern die Dringlichkeit, griffige und rasche Massnahmen zum Schutz der Arktis zu beschliessen, zeigen sollten, fanden am Ende nur wenig Gehör. Bild: I. Quaile

Knapp 200 Länder hatten sich während mehr als zwei Wochen in Glasgow zusammengesetzt und über die Umsetzungen des Pariser Klimaabkommens diskutiert. Hoffnungsvoll blickten Millionen von Menschen in die grösste schottische Stadt und warteten auf eine Abschlusserklärung. Auch Journalistin, Polarkennerin und Bloggerin Dr. Irene Quaile-Kersken verfolgte die gesamte Konferenz in ihrer Heimatstadt. Sie fasst die Geschehnisse und Ergebnisse hier zusammen und zeigt, wie nach einem hoffnungsvollen Start am Ende ein Schwanken zwischen Ernüchterung und Silberstreifen auch bei ihr herrscht.

Ich hatte keine hohen Erwartungen an COP26. Das, was notwendig gewesen wäre, war enorm. Aber spätestens, als das G20-Treffen in Rom kurz vorher sich nicht auf ein Netto-Null-Emissionen-Ziel bis 2050 einigen konnte, erschien es sehr unwahrscheinlich, dass die Ländervertreter in Glasgow die notwendigen neuen Klimaversprechen vorlegen würden, samt konkreten Maßnahmen, um das 1.5°C-Ziel tatsächlich zu erreichen.

Eine Gruppe leitender Forscher überreichte während der Konferenz einen Bericht: 10 New Insights in Climate Science 2021 an UN-Klimachefin Patricia Espinosa. Dr. Wendy Broadgate, Direktorin des schwedischen Future Earth Global Hub, appellierte an die Regierungen, im Laufe der Konferenz aggressive Ziele vorzulegen. Eine Reduktion des Treibhausgasausstoßes von 50% bis 2030 und Netto-Null Ziele für 2040 sei unumgänglich. 1,5°C sei noch machbar, aber nur wenn die Weltgemeinschaft umgehend und drastisch handle.

Das ist nicht passiert. Stattdessen wurden die Delegierten, die über unsere Zukunft verhandeln, mit neuen Hausaufgaben nach Hause geschickt und die Anweisung, nächstes Jahr bessere Versprechen zur Konferenz zu bringen. Rückzieher bei der Finanzierung lebensnotwendiger Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern sowie Kompensation für bisherige Schäden ließen die, die von Klimaveränderungen, die sie selbst nicht verschuldeten am schwersten betroffen sind, enttäuscht, frustriert, wütend.

Indigene Demonstranten in Glasgow verlangen Klimagerechtigkeit (Foto: Cop26 Coalition)

Glasgow hat nicht versagt

Ich möchte nicht behaupten, dass die Konferenz in Glasgow insbesondere gescheitert ist. Egal, wo die diesjährige Klimakonferenz stattgefunden hätte – die Ergebnisse wären nicht wesentlich anders gewesen, unter den jetzigen Umständen. Dafür hätten die Parameter andere sein müssen. Die wichtigsten Regierungen hätten bereit sein müssen, nicht nur die notwendigen Maßnahmen zu beschließen, sondern sie auch umzusetzen, um eine globale Erwärmung katastrophalen Ausmaßes zu vermeiden.

Veränderung ist auf jeden Fall in der Luft. Der Welt ist der menschengemachte Klimawandel und die Dringlichkeit unserer Situation noch nie so klar gewesen. (Zumindest theoretisch). Alle haben wir die Auswirkungen gespürt.

Abseits vom mehrfach abgeschwächten Schlusstext gab es tatsächlich Signale, die Hoffnung auf eine grünere Zukunft wachhalten. So unterzeichneten mehr als 100 Länder eine Vereinbarung, um den Methanausstoß bis 2030 stark zu reduzieren. Leider waren allerdings die großen Emittenten China, Russland und Indien nicht dabei. Mehr als 100 Länder versprachen, bis 2030 die Zerstörung der Wälder zu stoppen. Und um die 450 finanzielle Organisationen erklärten die Absicht, Gelder von den fossilen Industrien abzuziehen und in erneuerbare Energien und saubere Technologien zu investieren.

An der Kohlefront

Mehr als 40 Länder vereinbarten eine Abkehr von der Kohle – leider ohne die großen Kohleländer Australien, China, Indien und die USA. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Klimakonferenzen (unglaublich aber wahr) fand das Wort „Kohle“ in dem Schlußdokument Verwendung. Nach einem Drama kurz vor Schluss des bereits wie immer über die Zeit verlängerten Treffens versuchte vor allem Indien, das zu verhindern. Zum Ende ist im Dokument davon die Rede, die Kohle „herunterzufahren“ (phase down) statt wie ursprünglich vorgesehen „auslaufen zu lassen“. (phase out). So lange die Hauptklimasünder USA, China und Indien noch an der Kohle festhalten, wird der Weg zu einem Kohleausstieg wohl noch ein sehr langer sein. Außerdem schwächte man die Erklärung so ab, dass die Verwendung von Kohle noch unter Einsatz von Technologien wie die Kohlenstoffbindung und –speicherung möglich bleiben. Statt Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen, sollen nach der endgütigen Fassung des Dokuments nur „ineffektive“ Subventionen angegangen werden. Da bleibt viel Raum für Interpretation.

Die USA und China erklärten die Absicht, trotz ihrer erheblichen Differenzen, beim Klimaschutz zusammenarbeiten zu wollen.

Solche Entwicklungen außerhalb der formellen UN-Verhandlungen zeigen, dass die Welt langsam beginnt, ihren Kurs zu ändern. Angesichts des jetzigen Zustandes des Planeten passiert das aber viel zu langsam.

Schmelzendes Eis, steigende Meere

Die Wissenschaft dagegen, ist unmissverständlich klar. Nehmen wir die Arktis. Die Region am oberen Ende unserer Welt erwärmt sich dreimal so schnell wie der globale Durchschnitt. Und es ist inzwischen (fast) jedem klar, dass das nicht nur für die Menschen im entlegenen Norden und die symbolträchtigen Eisbären von Bedeutung ist.

Am Anfang von COP26 veröffentlichte die International Cryosphere Climate Initiative (ICCI) ihren ersten State of the Cryosphere Bericht, der den Zustand der eisigen Regionen der Welt beschreibt. Darin wird die Situation kristallklar dargestellt. Die Veränderungen an den Polen könnten zu einem nicht mehr aufhaltbaren und permanenten Zusammenbruch des Klimasystems führen, schreiben die Wissenschaftler. Abschmelzende Eisschilde, verschwindende Gletscher sowie tauender Permafrost werden schnelle, unumkehrbare und katastrophale Auswirkungen auf die Erdbevölkerung haben.

Der anhaltende Zuwachs an menschengemachten CO2-Emissionen wird zu einem irreversiblen Abschmelzen der polaren Eisschilde und damit zu einem nicht mehr aufhaltbaren Anstieg des Meeresspiegels, warnen die Autoren. Viele von ihnen haben auch an den Berichten des Weltklimarats mitgewirkt. Die Auswirkungen der Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahrzehnten werden viele künftige Generationen betreffen, wenn wir nicht sofort anfangen, den Ausstoß drastisch zu reduzieren.

Eisfjord vor Westgrönland. Foto: I. Quaile

Warme Arktis, Extremwetter rund um den Globus

Der steigende Meeresspiegel ist nicht die einzige besorgniserregende Auswirkung. Durch die Veränderungen im hohen Norden ist der Jetstream, der das Wetter –nicht nur in der Arktis – maßgeblich beeinflusst, unberechenbarer geworden.

Lange Trockenperioden, Starkregen, Hitze- oder Kältewellen, Starkregen – solche Extremwetterereignisse scheinen in der Arktis ihren Ursprung zu haben. Und sie werden zunehmend „normal“ werden.

Auch die Zirkulation des Ozeans, ein anderer einflussreicher Faktor, verändert sich, wenn mehr Süßwasser ins salzige Meer fließt.

1,5°C und nicht weiter

Diese globalen Auswirkungen des schmelzenden Eises könnten verlangsamt – oder sogar aufgehalten werden – wenn wir es schaffen, den Temperaturanstieg im Einklang mit dem Pariser Abkommen unter 1,5°C zu halten, so der Bericht zum Zustand der Kryosphäre.

Gemessen daran, sind die Ergebnisse der Glasgower Konferenz hoffnungslos ungenügend. 1,5°C oder eine atmosphärische Konzentration von höchstens 450 ppm seien die obersten Schutzlinien, um eine gefährliche menschengemachte Einmischung in die Kryosphäre und damit das globale Klimasystem zu verhindern, erklärte Julie Brigham-Grette, ehemalige Vorsitzende der US-Polarforschungsbehörde.

Die Welt müsse sich der Realität stellen und akzeptieren, dass man nicht länger andere Faktoren vor Emissionsreduktionen stellen dürfe, sagte ehemalige UN-Klimachefin Figueres. „Mit dem Schmelzpunkt von Eis können wir nicht verhandeln“, sagte sie.

Der Bericht über den Zustand der Kryosphäre wird zukünftig jedes Jahr aktualisiert, um Veränderungen der Eisschilde, Gletscher und des Permafrosts, des Meereises, sowie der Polarmeere, die durch die Aufnahme von CO2 auch zunehmend saurer werden, so die Forscher.

Von der Arktis bis Polynesien

Einer der Autoren und Leitautor des Berichts des Weltklimarats, Dirk Notz von der Universität Hamburg, beschrieb den dramatischen Rückgang des arktischen Meereises in einer Präsentation für COP26-Teilnehmer. Da die Arktis in absehbarer Zeit im Sommer regelmäßig eisfrei sein wird, könne man zum ersten Mal mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, es sei zu spät, um diese beeindruckende Region unseres Planeten zu schützen.

Professor Notz wurde in Glasgow zugeschaltet (Screenshot. I.Quaile)

Die Entwicklungen im hohen Norden dienten als Warnung für andere Teile des Klimasystems, erklärte der Meteorologe. Die Worte “es ist zu spät” würde man immer öfter zu hören bekommen, obwohl man die Situation noch durch Emissionsreduktionen beeinflussen könnte.

Die Präsentation war Teil einer von der Clean Arctic Alliance, organisierten Veranstaltung. Dieser Zusammenschluss von gemeinnützigen Organisationen will die Arktis vor Auswirkungen der Schifffahrt, zum Beispiel durch Rußpartikel, schützen. Neben Vertretern der Inuit-Gemeinden in der Arktis nahm auch ein Vertreter des Inselstaates Tonga im Südpazifik teil. “Korallen und Eis stehen vor der gleichen Zukunft“, erklärte Siaosi Kaho. Er betonte die kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen seinen Landsleuten und den indigenen Völkern der Arktis. Beide wollten im Einklang mit der Natur leben. Beide sähen ihre Lebensgrundlagen durch den Klimawandel bedroht.

“Wenn ein Korallenriff bleicht und stirbt, verlieren wir einen Teil unserer Identität”, so Kaho. Den Arktisgemeinden gehe es ähnlich, wenn das Eis verloren ginge. Er wolle diese Verbindungen betonen, um Schwung in das gemeinsame Handeln gegen den Klimawandel zu bringen.

Es gebe nur noch ein kurzes Zeitfenster, erinnerte er, um das 1,5°C-Ziel einzuhalten. Freiwillige Maßnahmen alleine könnten weder die Korallen noch das Eis erhalten”.

Klimagerechtigkeit nicht in Sicht

Entwicklungsländer, die unter dem Meeresspiegelanstieg, Extremwetter, Fluten, Dürren oder Nahrungsmangel leiden, brauchen finanzielle Unterstützung, um sich an die sich verändernden Klimabedingungen anzupassen und ihre Zukunft zu sichern. Selbst wenn das 1,5°C-Ziel eingehalten werden kann, wird sich die Welt vorerst weiter erwärmen.

Kein Wunder, dass sie mit dem Ausgang der Klimakonferenz unzufrieden sind. Die Finanzierung, die 2020 zur Verfügung stehen sollte, wird nicht vor 2023 vorhanden sein. Das Geld wird bei weitem nicht ausreichen. Die Summe für die Anpassung wird nicht wie ursprünglich vorgesehen verdoppelt, sondern lediglich „erhöht“ werden. Und reiche Länder haben erneut eine Entscheidung über Zahlungen für durch den Klimawandel erlittene Verluste und Schäden vertagt.

Ich selbst habe in diesem Sommer die Zerstörung durch die verheerende Flutkatastrophe hier in Deutschland erlebt und die riesige Herausforderung mitbekommen, die der Wiederaufbau und die Vorbereitung auf weitere Klimaveränderungen für die Gemeinden bedeutet. Ich fühle mit denjenigen in ärmeren und weniger entwickelten Teilen der Welt, die um Geld betteln müssen, um ihre Lebensgrundlagen – ihr Leben selbst – zu sichern. Nach der ersten Woche in Glasgow erweckte die Internationale Energieagentur (IEA) Hoffnung mit ihrer Berechnung, die bisher erfolgten Versprechen und Massnahmen könnten den Temperaturanstieg auf 1,8°C begrenzen, ein großer Schritt in Richtung 1,5°C.

Leider korrigierte die Organisation Climate Tracker kurze Zeit später die Zahl auf ernüchternde 2,4°C.

Ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn meine Geburtsstadt Glasgow zum „neuen Paris“ geworden wäre, zum Ort, wo die Regierungen der Welt die Vereinbarung auf den Weg gebracht hätten, die den Planeten rettete. Leider sehe ich noch keine Anzeichen dafür, dass wir das 1,5°C Ziel tatsächlich einhalten werden. Ja, es liegt Veränderung in der Luft. Die erneuerbaren Energien sind im Kommen. Die Welt fängt vielleicht tatsächlich langsam an, sich von fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Aber der grundsätzliche Wille, unseren Lebensstil, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft umgehend so zu verändern, dass die Welt für zukünftige Generationen erhalten wird – den sehe ich noch nicht. Weder die Regierungen der Hauptverursacher des Klimawandels noch die breite Masse in den wohlhabenden Industrieländern sind bereit auf irgendetwas zu verzichten, oder irgendetwas an ihren komfortablen Lebensweisen zu verändern, um jemand anderem zu einem besseren Leben zu verhelfen.

Laut einer neuen Umfrage sind 78 Prozent der Befragten besorgt über die Klimakrise. Allerdings erklärte fast die Hälfte – 46 Prozent – sie sähen keinen Grund, Ihr eigenes Verhalten zu ändern. Sie warten darauf, dass ihre Regierungen etwas unternehmen. Kann es unter diesen Umständen zu der Wende kommen, die der Klimaschutz dringend braucht? “A hae ma doots”, sagt man bei uns in Schottland. Grob übersetzt: Ich habe da meine Zweifel.


Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:

Aktueller Blog: https://iceblog.org/

Ältere Blogs: http://blogs.dw.com/ice/

Print Friendly, PDF & Email
error: Content is protected !!
Share This