Als zu Beginn des Jahres 2020 das Schreckgespenst COVID seinen globalen Siegeszug antrat und ein Land nach dem anderen traf, herrschte in der Expeditionsreisebranche gerade Goldgräberstimmung. Über 70’000 Gäste, die auf die eine oder andere Weise in die Antarktis gereist waren und volle Buchungslisten für die kommende Saison sorgten für Champagnerlaune und grosse Pläne in den Chefetagen der Anbieter. Doch es kam alles anders: das kleine Virus legte alles lahm und in der Saison 20/21 herrschte Besucherruhe in den antarktischen Pinguinkolonien. Alle hofften (und bangten), dass in dieser Saison wieder alles besser werden würde. Mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt.
Seit Anfang November sind immer mehr Schiffe wieder ab Chile und Argentinien unterwegs in Richtung antarktische Halbinsel und die subantarktischen Inselwelten der Südorkneys und Südgeorgien. Den Auftakt machten dabei Silversea und National Geographic/Lindblad Expeditions, die ab Chile und Argentinien ihre Schiffe wieder in den Süden losschickten. Mittlerweile gesellen sich immer mehr Anbieter wieder dazu wie beispielsweise Quark Expeditions, die ihr neuestes Schiff, die Ultramarine nun endlich einsetzen können. Auch Polar Latitudes konnte endlich ihre Seaventure mit Gästen auf die Fahrt schicken. In den sozialen Medien sieht man überall fröhlich winkende Gäste und Guides, die nach 20 Monaten Warten endlich polare Luft wieder atmen können. Ein ähnliches Bild dürfte bald in Kapstadt herrschen, einem weiteren Tor in die Antarktis, wo sich White Desert bereit macht, Gäste in ihre Camps in Antarktika zu fliegen (auf die nachhaltigste Weise, die zurzeit möglich ist).
Auch die subantarktischen Inseln der Südshetlands, Südorkneys und Südgeorgien stehen auf dem Programm der Anbieter, gemeinsam mit den Falklandinseln, genauso wie früher. Und trotzdem ist eines klar: Die Art und Weise, wie die Expeditionsreisen durchgeführt werden, unterscheidet sich markant von der Vergangenheit. Strikte Gesundheits- und Sicherheitsprotokolle soll dabei verhindern, dass sich das SARS-CoV2-Virus in einem der besuchten Gebiete einnisten kann: Impfungen mit Zertifikat, ein Testregime vor, während und nach der Reise, rigorose Reinigungen an Bord plus Abstände / Masken und klare Regeln der betroffenen Länder, was die Schiffsbetreiber und Anbieter unternehmen müssen, um anlanden zu dürfen. So müssen Schiffe, die auf den Falklandinseln anlanden wollen, einige Bedingungen erfüllen wie beispielsweise sich 10 Tage lang nur in COVID-freien Gebieten oder auf See aufgehalten haben und genügend medizinische Einrichtungen und Testmöglichkeiten an Bord zu haben. Allen ist klar, dass es keinerlei Spielraum für die persönliche Auslegung der Regeln gibt. Denn weder die Anbieter noch die Länder und Gebiete wollen eine Wiederholung der Situation von 2020. Die Gäste und die Guides sollen sich sicher fühlen können und sich auf die Schönheiten der Antarktis konzentrieren. Die Konzepte gehen auch auf und einige der Anbieter haben bereits ihre zweiten Abfahrten angetreten.
Viele der Anbieter haben gleich zu Beginn der Saison ein Highlight auf dem Programm, welches sie schon seit Jahren den Gästen angeboten haben: eine totale Sonnenfinsternis in der Antarktis. Dabei sich wird am 4. Dezember der Mond zwischen Erde und Sonne schieben und im Bereich des Weddellmeers den Tag zur Nacht machen. Ein einmaliges Spektakel in der Region, welches im Vorfeld für volle Schiffe gesorgt hatte. Es bleibt auch zu hoffen, dass diese Verdunkelung die einzige am antarktischen Himmel in dieser Saison sein wird. Denn die Pandemie hängt immer noch wie eine drohende Wolkendecke über der Welt und in vielen Ländern, aus denen die Gäste der Anbieter von Expeditionsreisen stammen, kämpfen mit wieder steigenden Fallzahlen, strengeren Massnahmen bis hin zu weiteren Lockdowns und neuen Quarantäneregeln. Und das Letzte, was die Industrie nun gebrauch könnte, wären Fälle an Bord eines Schiffes oder grosse Ausbrüche in den Gateway-Ländern. Zumindest gegenwärtig scheint aber der Neustart der touristischen Antarktissaison so glatt wie ein lang polierter Eisberg über die Bühne zu laufen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal