Russland will Drifteisstationen wieder aufnehmen | Polarjournal
Die «Akademik Treshnikov» ist ein russisches Forschungschiff, welches seit der Inbetriebnahme im Jahr 2011 bereits an mehreren Expeditionen teilnahm. Zwischen Dezember 2016 und März 2017 wurde das Schiff für die ‘Antarctic Circumnavigation Expedition’ (ACE) eingesetzt. (Foto: AARI)

Russlands Wissenschaftler werden nach einer jahrelangen Pause die arktischen Studien zu Drifteisstationen wieder aufnehmen. Im September 2022 wird die RSV «Akademik Treshnikov» zur ersten Expedition dieser Art aufbrechen. Bei der geplanten Expedition werden Wissenschaftler Dutzende Projekte durchführen. Dies berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS.

Drifteisstationen sind eine Forschungsplattform auf einer treibenden Eisscholle im Arktischen Ozean. In der Sowjetunion und später in Russland gingen die Drifteisstationen unter der Bezeichnung «Nordpol» (NP) in die Geschichte ein. Die erste Station, «Nordpol-1» nahm 1937 ihre Arbeit auf. Dabei setzte am 21. Mai 1937 eine ANT-6 die Expedition nur zirka 20 Kilometer vom Nordpol entfernt auf einer Eisscholle ab.

Die Drifteisstation «Nordpol-1» wurde von Iwan Papanin geleitet und umfasste außerdem die Wissenschaftler Jewgeni Fjodorow und Pjotr Petrowitsch Schirschow, sowie den Funker Ernst Krenkel. Die Verantwortung für das gesamte Projekt trug Otto Schmidt. Die Drifteisstation legte innert 274 Tagen 2.850 Kilometer zurück. Die Wissenschaftler der Station wurden am 19. Februar 1938 vom Eisbrecher «Taimyr» an Bord genommen.

Die Drifteisstation Nordpol-1 wurde in einer geheimen Aktion in der Nähe des Nordpols gestartet. Bei Expeditionsbeginn besaß die Eisscholle eine Größe von 3200 mal 1600 Metern und war drei Meter dick. (Foto: Archiv)

Einen einzigartigen Rekord hält «Nordpol-22» mit einer Lebensdauer von neun Jahren. Sie legte vom 13. September 1973 bis zum 8. April 1982 eine Strecke von 17.069 Kilometern zurück.

Nicht immer lief alles nach Plan. Das Team der letzten Drifteisstation, NP-40, musste nach nur wenigen Monaten von der auseinanderbrechenden Eisscholle evakuiert werden. Eine saisonale NP-2015-Station war 2015 für eine gewisse Zeit in Betrieb.

Russische Forscher führen seit 1937 Experimente auf Drifteisstationen im arktischen Ozean durch. Das Bild zeigt die Treibeisstation «Nordpols-2015» kurz vor der Evakuierung. (Foto: TASS)

Forschung von Drifteisstationen werden neu aufgelegt

„Wir hoffen, dass diese Expedition im September nächsten Jahres stattfinden wird“, sagte der Direktor der Vertretung der russischen Hydrometeorologie-Universität in Moskau, Yuri Sychev. „Wir werden das Forschungs- und Vermessungsschiff «Akademik Tryoshnikov» ins Eis einfrieren. Das Schiff ist dafür bemerkenswert ausgestattet.“

Während der NP-2022 Expedition wird neben dem im Eis eingefrorenen Schiff ein Camp mit einer Landebahn und einem Hubschrauberlandeplatz eingerichtet. Während der Expedition arbeiten Wissenschaftler und Crew im Schichtbetrieb, bei Bedarf kann zusätzlich Ausrüstung und Material besorgt werden.

Das wissenschaftliche Programm von NP-2022 wurde von den Experten unter der Leitung des Präsidenten der Polar Explorers Association, Russlands Artur Chilingarov, initiiert. Das Programm hat neun Hauptrichtungen, darunter Studien der Atmosphäre, Biologie, Hydroakustik, medizinisch-biologische Studien, Studien des Weltraumwetters sowie Forschung im Bereich Material und Schiffbau.

Aus geologischer Sicht ist der Gakkel-Rücken im Arktischen Ozean wenig erforscht. Der Gebirgszug soll während der Expedition zweimal überquert werden. (Grafik: Geology.com)

Einzigartige Studien

„Das Atmosphärenprogramm dieser Expedition ist in gewisser Weise einzigartig und besser als das Atmosphärenprogramm der europäischen MOSAiC-Expedition“, sagte Alexei Nadykto, Experte der Moskauer Technologieuniversität Stankin.

„Das Programm umfasst eine breite Palette von Studien, die noch nie in der Arktis durchgeführt wurden“, sagte er. „Dies sind zunächst Studien zu Aerosolen, ihren physikalischen und chemischen Strukturen, arktischen und mikrobiologischen Merkmalen. Solche Studien wurden normalerweise in stationären Polarcamps und in eher begrenzter Weise durchgeführt“, meinte Alexei Nadykto weiter.

Laut dem stellvertretenden Direktor des Schmidt-Instituts für Physik der Erde, Alexei Sobisevich sind die Gebiete, über denen die Verdriftung geplant ist, aus geologischer Sicht zu wenig erforscht. Einer von ihnen ist der Gakkel-Rücken im Arktischen Ozean.

Der Wissenschaftler des Zubov State Oceanographic Institut, Sergey Tambiyev, fügte hinzu, dass die Driftroute zweimal den Gakkel-Rücken überqueren wird. Während der westliche Teil untersucht wurde, blieb der östliche Teil praktisch unerforscht, sagte er.

Spezialisten planen auch Ökologiestudien, darunter ein relativ junges Problem für die Arktis, die Verschmutzung durch Plastik und Mikroplastik. Igor Bobrovnitsky, stellvertretender Generaldirektor des Zentrums für strategische Planung und Management medizinisch-biologischer Risiken, sagte gegenüber TASS, die Teilnehmer der Expedition würden Gegenstand der Studien sein. „Während des Driftens wird die Ernährung zur Optimierung der Anpassung sogenannte spezialisierte Lebensmittel umfassen, die die notwendigen Nährstoffe, Vitamine und Mikroelemente enthalten“, sagte er

Bereits ist eine neue Generation von Drifteisstationen im Bau. Die «Serverny Polus» wird nach der Fertigstellung, voraussichtlich ab 2023, im arktischen Ozean einsatzbereit sein. Das Schiff wird bis zu 2 Jahre lang autonom im arktischen Eis operieren können. (Foto: Roshydromet)

Zurück aufs Eis

Der bekannte Polarforscher Fridtjof Nansen äußerte bereits vor mehr als hundert Jahren die Idee, wissenschaftliche Studien an Bord eines im Eis eingefrorenen Schiffes durchzuführen. Er setzte die Idee während der Fram-Expedition um. Die Sowjetunion organisierte wissenschaftliche Camps direkt auf Eisschollen. Ivan Papanins NP-1 besetzte eine Eisscholle von drei mal fünf Kilometern.

Im Jahr 2013 wurde NP-40 wegen einer kritischen Bedrohung der Station selbst und des Personals evakuiert. „Damals war klar, dass die traditionellen Stationen im Papanin-Stil, wenn Menschen auf dem Treibeis blieben, sehr riskant sind, weil das Eis aufgrund der Klimaveränderungen nicht mehr als zuverlässige Plattform angesehen werden konnte“, sagte Yuri Sychev von der russischen Hydrometeorologie-Universität in Moskau.

Nach dem Aussetzen der Drifteisstationen wurde „der Datenfluss aus dem zentralen arktischen Becken abgeschnitten“, fuhr er fort. Dieser Mangel ist in Zeiten großer Klimaveränderungen sehr kritisch.

Die jüngste Idee, Drifteisstationen an Bord eines im Eis eingefrorenen Schiffes zu organisieren, entstand praktisch gleichzeitig in Russland und in der EU. Die Europäer hatten die MOSAiC-Polarexpedition organisiert, während Russland im Jahr 2020 aufgrund der Pandemie keine weitere Nordpolstationsexpedition entsandte.

Heiner Kubny, PolarJournal

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