Die Natur beherbergt unzählige Wirkstoffe, von denen viele seit Menschengedenken zur Heilung von Wunden und Krankheiten eingesetzt werden. Einer davon ist Palmerolid A, der in der antarktischen Seescheide Synoicum adareanum gefunden wurde und erfolgreich in der Therapie gegen Melanome, eine der gefährlichsten Hautkrebsarten, eingesetzt wird. In einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift mSphere veröffentlicht wurde, ist es einem US-amerikanischen Forscherteam gelungen, den Ursprung von Palmerolid A zu ermitteln: Ein Bakterium, das in der Seescheide lebt, produziert die Verbindung.
Seescheiden, oder Aszidien, leben festsitzend am Meeresboden und beherbergen, wie auch andere marine Wirbellose, eine Fülle von unterschiedlichsten Mikroben, die mit ihren Wirten über den Austausch von Stoffwechselprodukten in symbiotischer Verbindung stehen. Bereits im Jahr 2006 wurde die Verbindung Palmerolid A erstmals aus der antarktischen Seescheidenart Synoicum adareanum, die um Anvers Island westlich der Antarktischen Halbinsel vorkommt, isoliert. Doch erst jetzt, nach mehr als zehn Jahren Forschung, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Verbindung bis zu ihrer Quelle, der neuen und bisher nicht untersuchten Bakteriengattung Candidatus Synoicihabitans palmerolidicus, zurückverfolgen.
«Wir haben schon lange vermutet, dass Palmerolid A von einer der vielen Arten von Bakterien produziert wird, die in dieser Aszidien-Wirtsart, S. adareanum, leben», erklärt die Hauptautorin Alison Murray, Ph.D., Forschungsprofessorin für Biologie am Desert Research Institute. «Jetzt konnten wir tatsächlich die spezifische Mikrobe identifizieren, die diese Substanz produziert, was einen großen Schritt in Richtung der Entwicklung einer natürlich gewonnenen Behandlung für Melanome bedeutet.»
Nachdem das Forschungsteam in einer früheren Studie bereits die 21 wichtigsten Bakterienarten, die in der Seescheide Synoicum adareanum leben, identifiziert hatte, konzentrierten sich die aktuellen Untersuchungen darauf, mittels genetischer Analysen herauszufinden, welche Arten des Kernmikrobioms Palmerolid A produziert.
«Dies ist das erste Mal, dass wir ein antarktisches Naturprodukt mit der genetischen Maschinerie, die für seine Biosynthese verantwortlich ist, in Verbindung gebracht haben», sagte Murray. «Für die Behandlung von Krebs können wir nicht einfach in die Antarktis fahren und diese Seescheiden massenhaft ernten, aber jetzt, da wir die zugrundeliegende genetische Maschinerie verstehen, öffnet uns das die Tür zu einer biotechnologischen Lösung, um diese Verbindung zu produzieren.»
«Den Produzenten von Palmerolid A zu kennen, ermöglicht seine Züchtung und wir können so endlich eine ausreichende Menge der Substanz für die erforderlichen Studien über ihre pharmakologischen Eigenschaften erhalten», fügte Bill J. Baker hinzu, Professor für Chemie an der University of South Florida.
Einige Fragen bleiben jedoch noch offen, wie beispielsweise die Verbreitung von Synoicum adareanum und seinen Symbionten im Südlichen Ozean oder welche Rolle Palmerolid A in der Ökologie der Seescheide spielt.
Die Entwicklung symbiotischer Beziehungen mit Mikroorganismen ist für Seescheiden und andere marine Wirbellose wie Schwämme und Korallen eine essentielle Überlebensstrategie unter den rauen Bedingungen der Antarktis. Die Mikroben liefern ihren Wirten Lichtschutzpigmente, chemische Abwehrstoffe oder Verbindungen, die Biolumineszenz ermöglichen. Die von diesen Bakterien produzierten Verbindungen können medizinische und biotechnologische Anwendungen haben, die für den Menschen in Wissenschaft, Gesundheit und Industrie nützlich sind. Palmerolid A ist eines von vielen Beispielen, die noch weiter erforscht bzw. entdeckt werden müssen.
«Im Laufe der Entschlüsselung der vielen Genomfragmente der verschiedenen Arten im Mikrobiom entdeckten wir, dass das Genom dieser neuartigen Mikrobe mehrere Kopien der für die Palmerolid-Produktion verantwortlichen Gene zu enthalten scheint», sagte Dr. Patrick Chain, leitender Wissenschaftler und Laborleiter am Los Alamos National Laboratory. «Die Rolle der einzelnen Kopien und deren Regulierung sind jedoch unbekannt. Dies deutet darauf hin, dass Palmerolid wahrscheinlich sehr wichtig für das Bakterium oder den Wirt ist, obwohl wir seine biologische oder ökologische Rolle in dieser antarktischen Umgebung noch nicht verstanden haben.»
«Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Natur der beste Chemiker ist, den es gibt», fügte Murray hinzu. «Die Tatsache, dass Mikroben diese bioaktiven und manchmal toxischen Verbindungen herstellen können, die den Wirten helfen, ihr Überleben zu sichern, ist ein Beispiel für die evolutionären Verwicklungen zwischen Wirten und ihren mikrobiellen Partnern und die chemischen Handschläge, die sich unter unseren Füßen in allen Ecken des Planeten abspielen.»
Julia Hager, PolarJournal