Am 6. Januar startete das Forschungsschiff Polarstern vom südafrikanischen Kapstadt aus zu einer rund achtwöchigen Expedition in die Antarktis. Umfangreiche Präventionsmaßnahmen erlauben es dem Alfred-Wegener-Institut, trotz der Corona-Pandemie die wichtigen Forschungsarbeiten zu ehemaligen Instabilitäten des ostantarktischen Eisschildes anzugehen, die in den kommenden Jahren auf zwei weiteren geplanten Expeditionen fortgeführt werden. Interessierte können diese und folgende Polarstern-Expeditionen live in einer neuen App mitverfolgen.
Wie der ostantarktische Eisschild und der ihn umgebende Südliche Ozean zukünftig auf die menschengemachte Erwärmung reagieren werden, ist derzeit mit vielen Unsicherheiten behaftet. Zu wenig verstanden sind die dortigen Eis-Ozean-Atmosphären-Rückkopplungen und die damit verbundenen Änderungen im Tempo des Meeresspiegelanstiegs und der Fähigkeit des Südlichen Ozeans, Wärme und atmosphärisches CO2 aufzunehmen. Aufgrund seines einzigartigen Strömungsmusters wirkt der Südliche Ozean als Puffer gegen den Klimawandel: Obwohl er nur ein Drittel der Fläche des Weltozeans einnimmt, absorbiert der Südliche Ozean bis zu 75 % der Wärme und 40% des CO2, hat somit eine große Bedeutung. Er absorbiert bis zu 75 % der überschüssigen Wärme und etwa 40 % der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen, die von den Weltmeeren aufgenommen werden. Ob der zunehmende Wärmetransfer in die Antarktis und die damit ansteigenden Abschmelzraten einen kritischen Grenzwert überschreiten könnten, der die Zirkulation unterbricht, die Pufferkapazität reduziert und den Klimawandel beschleunigt, ist eine der Hauptfragen der Expedition.
Daher begibt sich ein etwa fünfzigköpfiges internationales Forschungsteam mit der Polarstern in den Südlichen Ozean, um tief in die Vergangenheit einzutauchen: Sie ziehen meterlange Kerne aus den Sedimenten am Meeresboden, aber auch aus den Sedimenten von küstennahen Seen. Dazu wird ein Landteam mit dem Hubschrauber ausgeflogen und 14 Tage später wieder abgeholt. Die Gruppe der Geophysik erlaubt mit ihren Methoden sogar Einblicke in noch tiefere Sedimentschichten und ihre Strukturen und damit noch weiter zurück in die Erdgeschichte. Die heutigen Bedingungen werden über Messungen und Beprobungen in der Wassersäule erfasst. Die Kombination der unterschiedlichen Forschungsansätze erlaubt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu rekonstruieren, wie instabil der ostantarktische Eisschild in der Vergangenheit war. Hier liegt der Fokus vor allen Dingen auf Zeiten, in denen es wärmer als heute war. Ein besseres Verständnis dieser Zeiträume bildet die Grundlage für verlässlichere Vorhersagen zukünftiger Klimaänderungen.
„Unsere Arbeiten konzentrieren sich auf den antarktischen Kontinentalhang und die Küstenregion zwischen dem Weddellmeer und der weiter östlich gelegenen Kooperationssee“, berichtet Prof. Ralf Tiedemann, Meeresgeologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Leiter der Expedition. „In der Kooperationssee werden heute große Mengen an antarktischem Bodenwasser gebildet. Das antarktische Bodenwasser versorgt den unteren Teil der globalen ozeanischen Umwälzzirkulation. Es belüftet den tiefen Ozean und bindet Wärme und Kohlenstoff auf einer Zeitskala von mehreren Dekaden bis zu Jahrtausenden. Wir werden sowohl die Wassersäule als auch die Sedimentarchive am Meeresboden beproben, um die gegenwärtigen und vergangenen Änderungen und Prozesse in der Bildung von Antarktischem Bodenwasser zu erfassen“, erläutert der AWI-Wissenschaftler. Ralf Tiedemann weiter: „Darüber hinaus interessiert vor allem die Aufsetzlinie des Eisschildes, also die Stelle, wo der Gletscher landseitig auf festem Untergrund aufliegt, bevor er seeseitig auf dem Ozean schwimmt. Diese Stelle ist besonders anfällig für den Einstrom warmer Tiefenwassermassen, da diese dort zu erhöhten Abschmelzraten und in der Folge zu Instabilitäten des Eisschildes führen können.“
Besonderes Augenmerk richtet sich auf das Ekström Schelfeis unter dem die Kolleginnen und Kollegen mit akustischen Methoden nahe der Neumayer-Station III eine bis 1000 Meter tiefe Kaverne, also einen unterirdischen Hohlraum, entdeckt haben sowie Sedimentarchive, die vielleicht bis in die Kreidezeit zurückreichen: „Mit unseren geplanten Messungen verlängern wir Profile bis in den marinen Bereich. So können wir die präglazialen und glazialen Sedimentationsprozesse sowohl im Ozean vor als auch unter dem Schelfeis analysieren. Eine tolle Verknüpfung der land- und seegestützten Forschung,“ freut sich der AWI-Geologe auf die bevorstehenden Aufgaben. Die gewonnenen Sedimentkerne bearbeiten die internationalen Fachleute aus Mariner Geologie, Mikropaläontologie und Geochemie teilweise direkt an Bord. Ein weiterer Teil der schlammigen Fracht wird sicher verpackt und später in den Heimatlaboren der beteiligten Institute noch eingehender analysiert. In der Antarktissaison 2023/24 sind zwei weitere Polarstern-Expeditionen in den Sektor des Südlichen Ozeans vor der Ostantarktis geplant, um die Forschung fortzuführen. Die aktuelle Expedition soll planmäßig am 28. Februar in Kapstadt enden.
Die Forschenden fiebern jetzt der Wissenschaft entgegen, darunter auch das neue Überwinterungsteam der Neumayer-Station III, das auf der Anfahrt ins Untersuchungsgebiet bei einem Zwischenstopp in der Atkabucht aussteigen wird. Dafür haben die Expeditionsteilnehmenden einiges auf sich genommen: Bereits am zweiten Weihnachtstag reisten die vollständig Geimpften und Geboosterten nach Kapstadt, wo sie sich bis zum Auslaufen in eine strenge Einzelquarantäne begeben hatten. Nur wer fünf negative Corona-PCR-Tests absolvierte, kann an der Fahrt teilnehmen. Die letzten negativen Testergebnisse für alle trafen am Montag ein.
Was sie jetzt auf der Expedition erleben, berichten die Teilnehmenden mehrmals wöchentlich in der neuen Polarstern-App, die sich Interessierte unter dem Link https://follow-polarstern.awi.de auf ihr mobiles Endgerät laden oder auch am Computer ansehen können.
Pressemitteilung AWI