Noch vor einigen Monaten schien die Welt auf einem Pfad aus der Pandemie zu sein. Regierungen lockerten ihre Massnahmen, Geschäfts- und Kulturleben erlebten ihre Wiedereröffnung und Menschen reisten wieder in die Welt. Auch für die Polarregionen im Norden und Süden schien sich die Lage zu bessern. Expeditionsreisen wurden wieder gestartet, nationale Polarforschungsprogramme lanciert und in den arktischen Regionen freute man sich über Null Infektionen. Doch dann kam die Omikron-Variante.
Viele der Orte, die in den arktischen Regionen liegen, melden mittlerweile stark ansteigende Infektionszahlen. Beispielsweise sind im arktischen Bereich Kanadas in den Territorien Nunavut und Nunavik kaum noch Gemeinden, die keine Infektionen zu vermelden haben. Der Gesundheitsverantwortliche von Nunavut, Dr. Michael Patterson, meldete, dass bereits 18 von 25 Gemeinden in Nunavut COVID-Fälle aufwiesen. Auch Nunavik, der arktische Teil der Provinz Québec meldete nur noch eine Gemeinde, die keine Fälle verzeichnete.
Und in Grönland sieht es auch nicht besser aus: Alle Regionen mit Ausnahme des Nationalparks, wo keine Ortschaften liegen, melden steigende Infektionszahlen, neun der Fälle liegen im Krankenhaus. Dabei sind aber noch nicht alle Orte innerhalb der Gemeinden betroffen. Besonders die grossen Orte sind betroffen und das prominenteste Opfer ist der Premierminister Múte B. Egede.
Auch in Alaska steigen die Zahlen im vierstelligen Bereich jeden Tag und in Longyearbyen auf Svalbard, der letzten arktischen Region, in der das Virus Einzug gehalten hatte, wurden per 13. Januar 2022 auch 13 COVID-Fälle gemeldet. Tendenz aber wahrscheinlich noch steigend, da noch nicht alle Testresultate ausgewertet worden waren.
Auch in den südamerikanischen Eingangsorten in die Antarktis sieht die Lage nicht mehr so rosig aus, wie noch im November, als die Expeditionssaison nach der Zwangspause wieder begann. Zahlreiche Anbieter von Expeditionsreisen schickten ihre Schiffe nach Punta Arenas und Ushuaia, wo dank zahlreicher Massnahmen und hoher Impfquoten kaum noch Fälle aufgetreten waren. Vor den Reisen und an Bord der Schiffe wurden strikte Schutz- und Hygienemassnahmen umgesetzt und es schien, als ob die Rechnung aufging. Doch dann meldete die erste Reederei offiziell einen COVID-Ausbruch an Bord und die Rückkehr in den Starthafen. Von da zeigte ein Blick auf die Karte von MarineTraffic.com, dass in den vergangenen Tagen und Wochen einige Schiffe eine auffallend lange Zeit in den Häfen von Punta Arenas und Ushuaia vor Anker verbracht hatten. Dabei war es teilweise so voll dort, dass Schiffe auch am Eingang des Beagle-Kanals bleiben musste statt in den Hafen zu fahren. Auch in den Orten selbst steigen die Fallzahlen wieder an. Ein erster Anbieter hat nun die Notbremse gezogen und seine Saison vorzeitig beendet. Das erste Schiff ist bereits auf dem Rückweg in den Heimathafen, das andere wird bald folgen.
Auch die nationalen Antarktisprogramme sind mittlerweile gefährdet. Zwar war der Ausbruch auf der belgischen Princess Elisabeth Antarctica Station die einzige offizielle Meldung aus dem Bereich. Ob aber die Quarantäne und Isolationsmassnahmen, die von den Programmen vorgeschrieben und durchgeführt werden, ausreichend sind, ist mehr als fraglich. Das Virus hat sich diesbezüglich als sehr schwierig einzudämmen erwiesen.
Zwar ist der Krankheitsverlauf bei einer Omikron-Infektion von zahlreichen Experten als meist mild verlaufend beschrieben worden. Trotzdem melden zahlreiche Länder, in denen die Omikronvariante wütet, dass die Krankenhäuser und das Personal an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Auch in Alaska kommt man mittlerweile an die Kapazitätsgrenzen in Sachen Betten und Personal. Denn neben der Belegung ist auch der Ausfall des erkrankten Personals ein besonders grosses Thema dort. In den übrigen Regionen ist die Lage zwar noch nicht so schlimm. Doch da die Kapazitäten in den meisten arktischen Regionen sowieso schon sehr gering sind, kann sich dort die Situation noch viel schneller verschärfen und andere Erkrankungen und Unfälle nicht mehr behandelt werden. Für die Antarktis gilt sogar, dass man das Virus unter allen Umständen draussen behalten will. Denn die meisten Station sind zwar mit einer Krankenstation ausgerüstet. Aber man will schon gar nicht das Risiko von Evakuierungen im Falle eines schweren Verlaufs bei den Überwinterungsteams eingehen.
Um die Situation in den Regionen und Orten in den Griff zu bekommen, setzen die Behörden auf die gleichen Strategien, wie sie in den meisten anderen Teilen der Welt zum Einsatz kommen. Obwohl Omikron viel ansteckender ist, empfiehlt man der Bevölkerung, so schnell wie möglich eine Boosterimpfung durchzuführen, die Zahl der Kontakte zu reduzieren und bei allen Möglichkeiten, bei denen ein Abstand einhalten nicht möglich ist, eine Maske zu tragen. Gerade bei den Boosterimpfungen will man so viele Leute erreichen, wie möglich. Denn das Boostern erhöht zu Beginn die Chance, sich weniger wahrscheinlich anzustecken, oder zumindest unterstützt es einen milderen Verlauf bei einer Erkrankung. Trotzdem dürfte, wie praktisch überall auf der Welt, die Lage zuerst noch schlimmer werden, bevor es danach besser wird.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal