WEG_RE – Die Wegener Wiederbelebungs-Expedition | Polarjournal
Auszug aus „Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt“ Bild: Aus „Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt“, Brockhaus, Leipzig 1940

Das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) kürzlich bewilligte Projektansuchen von APRI-Mitglied Jakob Abermann, Universität Graz, hat Einzigartiges vor: einen Bogen über nahezu hundert Jahre grönländischer Klimatologie und Glaziologie zu spannen durch die Kombination von Alfred Wegeners originalen Messdaten von 1929 bis 1931 mit vergleichbaren modernen Messungen von denselben Punkten und darüber hinaus.

Alfred Wegener war als Geowissenschaftler nicht nur der Vater der Kontinentalverschiebungstheorie, sondern auch Meteorologe und Polarwissenschaftler, und als Professor an der Universität Graz ab 1926 tätig. Seine wichtigste und leider letzte Grönlandexpedition 1929 bis 1931 diente der Eisdickenmessung des grönländischen Inlandeises, sowie einer umfassenden Erfassung von meteorologischen Daten an drei unterschiedlichen Orten an Grönlands Westküste, in der Eismitte und im Osten, zur Erforschung des Inlandeises und seines Klimas, die er kontinuierlich über ein ganzes Jahr messen wollte. Sie sollten seine Erkenntnisse aus den beiden früheren Expeditionen (Danmark Expedition 1906 bis 1908 und 1912 bis 1913 mit J.P. Koch) mit einbeziehen. Mit den Eisdickemessungen an verschiedenen Punkten auf dem Inlandeis sollte die Frage beantwortet werden, ob sich die grönländische Landmasse seit der letzten Eiszeit isostatisch hebt.

Wegeners Höhenprofil des grönländischen Inlandeises. Bild: Aus „Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt“, Brockhaus, Leipzig, 1940

Deshalb waren auch Schwerkraftmessungen geplant und an an den Orten Qaamarujup-Fjord an der Westküste, in der Mitte des Inlandeises und am Scoresby Sund an der Ostküste wurden ganzjährige meteorologische Messungen vorgenommen. Für die damalige Zeit ein unglaubliches Unterfangen!
Vermutlich ist Wegener auf dem Rückweg von der Station Eismitte zur Station an der Westküste an Erschöpfung und Herzversagen gestorben. Sein grönländischer Begleiter Rasmus Villumsen hatte ihn noch begraben, blieb aber selbst verschollen und damit auch das letzte Tagebuch von Wegener.

Die Wegener-Expedition 1929 – 1931 (dicker Strich). Bild: aus „Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt“, Brockhaus, Leipzig, 1940

Das Projekt „WEG-RE“

Jakob Abermann und sein Team treten damit bewusst in die Fußstapfen von Wegener und haben mit dem Projekt „WEG_RE – Centennial Climate Drivers of Glacier Changes in Greenland“ vor, einen klimatologischen und glaziologischen Bogen über fast hundert Jahre zu spannen: Die Kombination von Wegeners originalen Messdaten aus 1930/31 mit neuen Messungen von denselben Messpunkten ist einzigartig und gibt dem Projekt hohe Bedeutung. Grönlands Eismassen erfahren derzeit durch den menschengemachten Klimawandel besonders starke Veränderungen. Die üblichen beobachteten Zeitreihen von atmosphärischen Bedingungen und den Auswirkungen auf die Gletscheroberfläche sind jedoch auf die letzten Jahrzehnte beschränkt. Eine längere Perspektive ist aber besonders wichtig, um eine realistische Rekonstruktion der Vergangenheit und eine Modellierung der Zukunft erreichen zu können.

Die Kombination von Wegeners originalen Messdaten aus den Jahren 1930/31 mit modernen Messungen von denselben Punkten ist einzigartig und verleiht dem Projekt eine hohe Bedeutung.

Jakob Abermann, Austrian Polar Research Institute

Das Projekt soll in einem interdisziplinären Ansatz das Verständnis zwischen Gletscherveränderungen und den zugrundeliegenden klimatologischen Treibern verbessern. Die Grundlage bilden die Daten der legendären Expedition, auf die Abermann und sein Team aus den Archiven der Universität Graz zugreifen können.

Klimatologisch sind Wegeners Daten von besonderer Relevanz, da sie aus einer kurzen Warmphase stammen (WEG), in der die Lufttemperaturen ähnlich den derzeit beobachteten lagen (WEG_RE). Außerdem stehen sie in einer für die Zeit einzigartigen zeitlichen Auflösung zur Verfügung. Fast ein Jahrhundert später wird das Team an genau den gleichen Messstandorten von Wegerns „Weststation“ und unter ähnlichen atmosphärischen Bedingungen, allerdings unter fundamental geänderten geometrischen Randbedingungen, dieselben Parameter wieder über drei Jahre hinweg beobachten und das Monitoring, auf modernen Methoden basierend, mit künstlicher Intelligenz und innovativen Prozessstudien erweitern.

Stationen der Wegener-Expedition 1929 – 1931 an der Westküste. Bild: aus „Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt“, Brockhaus, Leipzig, 1940

Modernste KI-Forschungsmethoden

Mittels Modellierungen und Ansätzen aus dem Bereich „Deep Learning“, die von Andreas Trügler am KnowCenter Graz geleitet werden, werden atmosphärische Muster miteinander verglichen und Rückkopplungsmechanismen auf lokaler Skala quantifiziert. Dynamische Modelle werden dann in einem nächsten Schritt dazu verwendet, Sensitivitätsstudien durchzuführen. Damit können die entscheidenden Faktoren bestimmt werden, die die beobachteten Veränderungen hervorrufen, und wie sich die Systeme Gletscher und Atmosphäre gegenseitig beeinflussen. Die Ergebnisse erhalten dadurch eine weitere räumliche Relevanz, da die geometrische Konfiguration des Untersuchungsgebiets repräsentativ für weite Teile des grönländischen Zehrgebiets ist. Eine wichtige Komponente des Projekts wird auch die Interaktion und Einbindung der grönländischen Bevölkerung sein. Lokale Operatoren werden bei der Logistik unterstützen, und am Projektende werden die Ergebnisse der Forschung in den benachbarten Siedlungen präsentiert werden. Das Projekt wird in einer Zusammenarbeit zwischen der Universität Graz, dem KnowCenter Graz, der Universität Fairbanks, Alaska, und GEUS, Dänemark, durchgeführt.

Am Land terminierender Gletscher an Grönlands Westküste sind gute Indikatoren für klimatisch bedingte Veränderungen

Link zur Website des Austrian Polar Research Institute

Der Autor: Dr. Christoph Ruhsam ist ein leidenschaftlicher Landschaftsfotograf, der sich seit Jahrzehnten auf die Arktis und die Kryosphäre spezialisiert hat. Neben seinen Aufgaben in einem IT-Unternehmen ist er als Medienverantwortlicher des Österreichischen Polarforschungsinstituts APRI tätig.

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