In Europa gibt es nur wenige Regionen, in denen Wölfe (Canis lupus) wieder ein unbeschwertes Leben führen können. In den vergangenen Jahrhunderten wurden sie gnadenlos gejagt, teils sogar ausgerottet. Nachdem sie vielerorts unter Schutz gestellt wurden, kehren sie nun langsam wieder zurück, was jedoch nur bei einigen Menschen Freude auslöst. Auch in Skandinavien sind sie wieder auf dem Vormarsch — sehr zum Unmut von Jägern, Bauern und Rentierhaltern. Um die Wolfspopulation nicht zu groß werden zu lassen, genehmigen die Regierungen von Norwegen und Schweden jedes Jahr den Abschuss einer bestimmten Anzahl Tiere. Nach sieben Jahren Pause hat in diesem Jahr auch Finnland wieder Lizenzen vergeben. Insgesamt sollen in Skandinavien im laufenden Winter 96 Wölfe erlegt werden.
Die Argumente der Befürworter der Wolfsjagd sind immer gleich: Wölfe reißen das Vieh und Menschen haben Angst vor Wölfen. Aber statt konstruktive Lösungen wie Herdenschutz und Sensibilisierung der Bevölkerung anzustreben, rufen Jagd- und Bauernverbände und andere Wolfsgegner meist nach Abschuss. Deren Einstellung verhindert oft genug, dass sich durch die Anwesenheit von großen Raubtieren wieder ein ökologisches Gleichgewicht einstellen kann.
In Norwegen und Schweden hat die alljährliche Lizenzjagd am 1. Januar begonnen, wobei in Schweden in den ersten Tagen der Jagd bereits fast alle der 27 freigegebenen Wölfe erlegt wurden. Obwohl der Wolf in Norwegen vom Aussterben bedroht ist und auf der Roten Liste steht, wurden 51 Wölfe vom Ministerium für Umwelt und Klima zum Abschuss freigegeben, von denen 25 innerhalb der Wolfsschutzzone leben. Insgesamt gibt es zwischen 109 und 114 Wölfe im Land, wobei etwas mehr als 50 im Grenzgebiet zu Schweden leben und auf beiden Seiten der Grenze nachgewiesen wurden.
In Schweden gibt es der letzten Zählung im Winter 2020/2021 zufolge 395 Wölfe, die Population gilt als gefährdet.
Die Natur- und Tierschutzorganisationen WWF Norwegen, NOAH und FVR (Verein Unsere Raubtiere) reichten Klage gegen die Tötung der Wölfe in der Schutzzone ein, da die Jagd im Schutzgebiet gegen das nationale Biodiversitätsgesetz und die Internationale Berner Konvention zur Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume verstoße. Immerhin, sie erreichten einen vorläufigen Stopp der Jagd in dem Gebiet noch bevor sie beginnen konnte. Der lokale Bauernverband hingegen zeigte sich erschüttert über den Jagdstopp und befürchtet, dass sich die Wölfe im kommenden Sommer weiter ausbreiten. Die endgültige Entscheidung wird das Gericht Ende Januar fällen.
Außerhalb der Wolfszone ist die Ansiedlung von Wölfen in Norwegen nicht erwünscht und alle 26 Tiere, die in vier Rudeln leben, sollen abgeschossen werden, um den Schutz der Weidetiere zu sicherzustellen.
«Es ist eine schreckliche Situation», sagt Siri Martinsen, Geschäftsführerin von NOAH. «Norwegens Wolfsmanagement ist außer Kontrolle geraten, und sie schießen Wölfe nur, weil einige Leute sie nicht mögen. Es ist ungeheuerlich, eine Tierart auf einem kritisch gefährdeten Niveau zu halten.»
Christian Anton Smedshaug, Staatssekretär des norwegischen Ministers für Klima und Umwelt, entgegnete: «Bei der Bewirtschaftung von Großraubtieren in Norwegen geht es in erster Linie darum, die Weidehaltung von Nutztieren mit möglichst geringen Verlusten aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus trägt die Tierhaltung auch zu Gemeingütern wie Kulturlandschaften und biologischer Vielfalt bei.»
In Schweden blieben die Versuche von Naturschutzverbänden, die Jagd zu unterbinden, erfolglos. Auf der anderen Seite fordern Jagd- und Bauernverbände eine viel stärkere Reduzierung der Population um einhundert Wölfe. In drei schwedischen Bezirken sollen ihrer Ansicht nach gar alle Rudel abgeschossen werden.
«Schweden hat der EU versprochen, dass wir nicht unter 300 gehen sollten – das ist das absolute Minimum», sagt Magnus Orrebrant, Vorsitzender der Organisation Svenska Rovdjursföreningen. «Wir haben die EU darüber informiert, dass 300 viel zu wenig ist. Wir haben Lebensraum, der mehr als 1.000 Wölfe beherbergen könnte.»
«Der gemeinsame Nenner in Norwegen, Schweden und Finnland sind die starken Jagdverbände, die die Politiker beunruhigen», fügt Orrebrant hinzu. «In der Nähe einiger der Rudel, die sie in diesem Winter jagen, gibt es keine Bauernhöfe. Die Wölfe haben keinerlei Probleme verursacht, aber es ist ein wichtiger Ort für die Elchjagd, und die Jäger wollen einen großen Elchbestand.»
In Finnland findet zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder eine Lizenzjagd auf Wölfe statt, bei der von insgesamt etwa 300 Tieren ab 1. Februar in maximal vier Gebieten 18 Wölfe, jeweils alle Tiere eines Rudels, getötet werden dürfen.
«Durch die Jagd sorgen wir dafür, dass sich die Menschen überall in Finnland sicher fühlen können, auch in Gebieten, in denen es Wölfe gibt. Unser Ziel ist es, das Wachstum der Wolfspopulation zu regulieren, Schäden zu verhindern und die Akzeptanz von Wölfen zu verbessern», sagte der Minister für Land- und Forstwirtschaft Jari Leppä in einer Pressemitteilung.
Eine genetisch gesunde Wolfspopulation liegt einer Berechnung des Natural Resources Institute Finland zufolge bei 500 Tieren. «Das langfristige Ziel ist es, die genetische Lebensfähigkeit der Wolfspopulation zu erreichen», so Sami Niemi vom finnischen Ministerium für Land- und Forstwirtschaft. «Als wir das Ziel für die Management-Jagd festgelegt haben, haben wir berücksichtigt, dass wir keine Populationsreduzierung anstreben. Das Ziel der Management-Jagd ist es, die Toleranz gegenüber der Wolfspopulation zu erhöhen, insbesondere bei den Menschen, die ihre Umwelt mit Wölfen teilen.»
Sami Säynevirta von Luonto-Liitto, einem finnischen Naturverband, hält dagegen: «Wir brauchen eine andere Einstellung gegenüber Wildtieren. Es ist wichtig, über die Vorteile der Wölfe zu sprechen – sie spielen eine Schlüsselrolle in einem gesunden Ökosystem, aber die Nachrichten über Wölfe konzentrieren sich fast ausschließlich auf die negative Seite.»
Naturschutzverbände in Finnland und Schweden haben bei der EU-Kommission Beschwerde gegen das Vorgehen ihrer Regierungen eingelegt, da aus ihrer Sicht die aktuelle Lizenzjagd auf Wölfe gegen die EU-Habitat-Richtlinie verstößt.
«Der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Bericht über den Zustand der Natur zeigt, dass die Natur ständig verarmt. Es ist wichtig, dass die Kommission in Finnlands laufende Versuche eingreift, Wege zu finden, um mit der Wolfsjagd zu beginnen. Die Jagd auf einen stark gefährdeten Wolf verstößt gegen die strenge Schutzpflicht der Habitat-Richtlinie und sendet die falsche Botschaft an die Gesellschaft», sagt Francisco Sánchez Molina, Leiter von Luonto-Liitto.
Währenddessen gibt es auch in Mitteleuropa wieder neue Sichtungen von Wölfen. In der Schweiz kam es im Wallis und in Graubünden in jüngster Zeit zu Begegnungen zwischen Mensch und Wolf, wobei die Wölfe keine Angst gezeigt haben sollen. Einem Graubündner Wolf wurde sein «problematisches Verhalten» zum Verhängnis — er wurde heute erschossen.
Ein Wolf streift seit geraumer Zeit auch durch Oberbayern und nachdem er mehrere Schafe gerissen hat, gab ihn die Regierung von Oberbayern vor wenigen Tagen zum Abschuss frei. Eine Klage von Naturschutzverbänden ist in der Vorbereitung. Man kann für den Wolf nur hoffen, dass diese Erfolg hat oder er den Weg in den Nationalpark Berchtesgaden findet — dort wäre er sicher.
Julia Hager, PolarJournal