Die größten Tiere der Erde — Blauwale, Finnwale und andere Bartenwale — ernähren sich von den kleinsten. Dabei nehmen sie große Mengen Wasser mit in ihr riesiges Maul auf und trotzdem ertrinken sie nicht. Wissenschaftler der University of British Columbia haben jetzt untersucht, welcher Mechanismus dahinter liegt und wie die Wale es schaffen, nur die Beutetiere zu schlucken, nicht aber das Wasser. Ihre Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.
Wale haben im Laufe ihrer Evolution ganz unterschiedliche Mechanismen und Strategien der Nahrungsaufnahme entwickelt. Während Zahnwale meist einzelnen, relativ großen Beutetieren nachjagen, haben es die Bartenwale auf sehr viel kleinere Beute abgesehen, die sie aus dem Wasser herausfiltern, z.B. Krill und kleine Fische. Eine ganz spezielle Technik der Furchenwale — eine Familie der Bartenwale, zu denen z.B. Blauwale, Finnwale und Buckelwale gehören — ist das sogenannte «Lunge Feeding», bei dem die Wale eine große Menge Wasser in ihr Maul aufnehmen, das dann durch die Barten gefiltert wird. Das Wasser wird wieder abgegeben und die Beute bleibt in den Barten hängen und wird hinuntergeschluckt.
Die Forscher untersuchten insgesamt 19 Finnwale und fanden heraus, dass die sie eine fleischige Wölbung in ihrem Maul haben, eine Art Pfropfen, der die oberen Atemwege während der Nahrungsaufnahme abdichtet. Gleichzeitig schließt sich ihr Kehlkopf, um die unteren Atemwege zu blockieren. So wird verhindert, dass bei der Nahrungsaufnahme Wasser in die Lunge gelangt.
«Es ist vergleichbar mit dem Zäpfchen eines Menschen, das sich nach hinten bewegt, um die Nasengänge zu blockieren, und mit der Luftröhre, die sich beim Schlucken von Nahrung schließt», sagt die Hauptautorin Dr. Kelsey Gil, Postdoktorandin in der Zoologischen Fakultät an der University of British Columbia.
Bei ihren Untersuchungen fanden die Forscher heraus, dass sich der Pfropfen in der Mundhöhle zum Hinterkopf und nach oben bewegen muss, um die Nasengänge beim Schlucken zu blockieren. Gleichzeitig verschließt sich der Kehlkopfeingang und der Kelhkopfsack bewegt sich nach oben, um die unteren Atemwege zu verschließen, so Dr. Gil. «Wir haben diesen Schutzmechanismus bei keinem anderen Tier und auch nicht in der Literatur gesehen. Ein Großteil unseres Wissens über Wale und Delfine stammt von Zahnwalen, deren Atemwege vollständig getrennt sind, so dass über Furchenwale ähnliches angenommen wurde.»
Die besondere Anatomie und der Mechanismus, mit dem die Atemwege abgedichtet werden, sind der Schlüssel zur Entwicklung des Lunge Feeding, das wiederum erst die enorme Größe der Wale ermöglicht, erklären die Forscher. «Das Filtern von Krillschwärmen ist hocheffizient und die einzige Möglichkeit, die enorme Energiemenge zu liefern, die für eine so große Körpergröße erforderlich ist. Ohne die besonderen anatomischen Merkmale, die wir beschrieben haben, wäre dies nicht möglich», sagt Dr. Robert Shadwick, Professor an der Zoologischen Fakultät der University of British Columbia und Senior-Autor der Studie.
Mehr über die Anatomie von Walen zu erfahren, ist keine leichte Aufgabe. Das Töten von Walen für wissenschaftliche Zwecke ist keine Option und so sezieren Wissenschaftler oft gestrandete Wale vor Ort. Da die Wale aufgrund ihrer Größe jedoch nicht bewegt werden können, bliebt den Forschern immer nur wenig Zeit, da die Untersuchungen vor der nächsten Flut abgeschlossen sein müssen. Für die aktuelle Studie arbeiteten die Forscher daher mit einer kommerziellen Walfangstation in Island zusammen, von der sie Gewebe erhielten, das nicht als Nahrung verwendet wurde.
Am liebsten aber würden die Forscher das Lunge Feeding an lebenden Walen in Echtzeit untersuchen: «Es wäre interessant, eine winzige Kamera in das Maul eines Wals zu stecken, während er frisst, um zu sehen, was passiert, aber wir müssten sicherstellen, dass das Material gefahrlos geschluckt werden kann und biologisch abbaubar ist», sagt Dr. Gil.
Es gibt auch noch viele andere Fragen zu beantworten, z.B. ob Wale husten, Schluckauf haben oder rülpsen. «Buckelwale geben Blasen aus ihrem Maul ab, aber wir wissen nicht genau, woher die Luft kommt – es könnte sinnvoller und sicherer sein, wenn die Wale aus ihren Blaslöchern rülpsen», so Dr. Gil.
Die Forschung werden sie in jedem Fall fortsetzen und versuchen, so viel wie möglich über die Ernährung der Wale herauszufinden, um sie und ihre Ökosysteme besser schützen zu können.
Julia Hager, PolarJournal