Mögliche Erklärung für paradoxes Meereisverhalten um Antarktika | Polarjournal
Viele Teile des Kontinents können nur mit schweren Eisbrechern erreicht werden, weil das Meereis rund um den Kontinent eine beinah komplett zusammenhängende Fläche bildet. Bild: Michael Wenger

In der Arktis ist der Verlust des Meereises eine der sichtbarsten Effekte des Klimawandels. Dabei folgen die Messungen und Beobachtungen ziemlich genau den Vorhersagen der wissenschaftlichen Modelle. Doch in der Antarktis sieht das Ganze anders aus. Das Verhalten des antarktischen Meereises folgt nicht den Vorhersagen der bisher angewandten Modelle. Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts AWI hat nun eine mögliche Erklärung dafür geliefert.

Das Verhalten des antarktischen Meereises, konstant zu bleiben statt abzuschmelzen, was auch als «Antarktis-Paradoxon» bekannt ist, könnte viel stärker durch Ozeanwirbel beeinflusst werden, als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie, die von Forschern des AWI, des russischen Shishov-Instituts für Ozeanologie, der Jakobsuniversität in Bremen und der Universität Bremen durchgeführt worden ist. «Dieses sogenannte antarktische Meereis-Paradoxon beschäftigt die wissenschaftliche Gemeinde schon länger“, sagt Studien-Erstautor Thomas Rackow vom AWI. «Die gängigen Modelle können das Verhalten des antarktischen Meereises noch nicht korrekt abbilden, etwas Entscheidendes scheint zu fehlen. Mit unserer Studie liefern wir nun einen neuen Ansatzpunkt, der die Zukunftsprojektionen in der Antarktis deutlich verlässlicher machen könnte.»

In vielen Teilen rund um den antarktischen Kontinent sind die Meereiskonzentrationen trotz der Erwärmung konstant geblieben, statt, wie von den Modellen vorhergesagt, zurückzugehen. Die Überkompensierung von Wirbeln im Südpolarmeer könnte das paradoxe Verhalten erklären, heisst es in der Studie des AWI. Bild: Michael Wenger

Das Forschungsteam benutzte ein am AWI etabliertes Klimamodell, das AWI Climate Model (AWI_CM), um dem Geheimnis des paradoxen Verhaltens auf die Spur zu kommen. Dieses Modell hat, im Gegensatz zu vielen anderen, den Vorteil, regional viel detailliertere Simulationen laufen zu lassen. Damit können auch kleine Veränderungen miteingebaut werden, in diesem Fall Verwirbelungen des Meerwassers, auch «Eddies» genannt, die nur 10 – 20 Kilometer Durchmesser aufweisen. «Bei unseren Modellläufen haben wir verschiedenste Konfigurationen angewandt. Dabei stellte sich heraus, dass nur Simulationen mit einem hoch aufgelösten Südlichen Ozean rund um die Antarktis zu einem ähnlich verzögerten Meereis-Schwund führen, wie wir ihn in der Realität beobachten», erklärt Thomas Rackow in der Pressemeldung des AWI weiter.

Die Ergebnisse der Studie liefern einen möglichen Grund für die Verzögerung. Es bestehen jedoch noch andere Theorien, die gegebenenfalls miteinwirken. Weitere Forschungsarbeiten und Modellierungen mit besseren Computern könnten das Geheimnis bald endgültig lüften. Bild: Michael Wenger

Seit Jahren diskutieren und untersuchen Wissenschaftsteams die Gründe für das Antarktische Paradoxon. Theorien wie ein verstärkter Süsswassereintrag, der wie ein Deckel an der Oberfläche das Meereis überzieht, oder die verstärkten Westwinde rund um den Kontinent, die das Eis weiter verteilen, werden ebenfalls in Betracht gezogen und fliessen in die Simulationen der Modelle ein. Doch die Verwirbelungen, so das Forschungsteam, wurden bisher nur grob aufgelöst betrachtet. Konkret: Wärme aus der Atmosphäre wird durch den Südlichen Ozean nach Norden verdriftet und so aus dem System entfernt. Dieser Transport hängt mit der Zirkulation der Durchmischung der Wassermassen in den obersten 1’000 Metern zusammen. Massgebend dabei sind Winde und Verwirbelungen im Wasser. In den bisherigen Modellen wurde deren Beitrag überkompensiert und die Wärme in Richtung Antarktis als zu hoch eingeschätzt. Das AWI-CM zeigt aber, dass bei einer höheren Auflösung die Wirbel aber neutral bleiben und damit die Menge an Wärme, die nach Norden transportiert wird, höher ist und damit nicht das antarktische Meereis so rasant schmelzen lässt. Das Südpolarmeer erwärmt sich also nicht so schnell wie bisher vorhergesagt, das Eis bleibt länger bestehen.

Das antarktische Meereis ist, wie sein arktisches Gegenstück, ein wichtiger Lebensraum für die Tierwelt und das Phytoplankton, besonders an offenen Bereichen. Denn hier ist die Produktivität sehr hoch und liefert genügend Nahrung für Pinguine und andere Arten. Bild: Michael Wenger

Bedeutet das nun, dass das antarktische Meereis der globalen Erwärmung standhält? Nicht wirklich, so die Autoren. «Wenn wir das Modell weiter in die Zukunft rechnen lassen, bleibt die antarktische Meereisbedeckung selbst bei einem sehr ungünstigen Treibhausgasszenario noch bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend stabil. Danach jedoch zieht sich das Eis dann ähnlich rasant zurück, wie es in der Arktis schon seit Jahrzehnten der Fall ist,» sagt Thomas Rackow weiter. Das bedeutet also, das Pinguine und die anderen Organismen, die vom antarktischen Meereis abhängig sind, nur einen Aufschub erhalten, keine Begnadigung.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Rackow, T., Danilov, S., Goessling, H.F. et al. Delayed Antarctic sea-ice decline in high-resolution climate change simulations. Nat Commun 13, 637 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-28259-y

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