Unter Polarfüchsen in der kanadischen Arktis kommt es seit Jahrzehnten immer wieder zu Tollwutausbrüchen. Die Schwankungen in der Häufigkeit der praktisch immer tödlich verlaufenden Viruserkrankung hängen eng mit den Populationsschwankungen bei Lemmingen und Wühlmäusen zusammen — je mehr Beutetiere es gibt, umso größer ist die Fuchspopulation und umso mehr Tollwutfälle gibt es unter ihnen. Die Bevölkerung in den arktischen Gemeinden hat sich daran gewöhnt und weiß im Allgemeinen damit umzugehen. Dennoch arbeiten Wissenschaftler daran, ein Vorhersagemodell für zukünftige Tollwutausbrüche im arktischen Kanada zu entwickeln.
Wir berichteten vor kurzem von einer größeren Zahl infizierter Polarfüchse in Nunavut in diesem Winter, die auch in mehreren Gemeinden auftauchten und Hunde angriffen. In Igloolik wurde sogar eine Frau von einem tollwütigen Fuchs gebissen.
Gegenüber der News-Plattform Eye on the Arctic erklärt Brian Stevens, Wildtierpathologe bei der Canadian Wildlife Health Cooperative, dass es sich «um eine enzootische Krankheit handelt, die also immer in arktischen Fuchspopulationen vorkommt». Laut Stevens treten lokale Tollwutausbrüche in einem Zyklus von 10 bis 15 Jahren auf.
Ben Kovic, ehemaliger Naturschutzbeauftragter in Nunavut und ehemaliger Vorsitzender des Nunavut Wildlife Management Board, relativierte gegenüber Eye on the Arctic den Tollwutausbruch von diesem Winter. Er sei sich nicht sicher, ob der aktuelle Ausbruch schwerer ist als vorangegangene. Stevens und andere Wildtierforscher vermuten dennoch, dass die Population der Polarfüchse in diesem Winter einen Boom erfährt und sich damit auch die Tollwut stärker ausbreitet.
Unabhängig vom Ausmaß des diesjährigen Ausbruchs arbeiten viele Wissenschaftler daran, die periodischen Häufungen von Infektionen in Zukunft vorhersagen zu können. Abgesehen von der Populationsentwicklung der Beutetiere müssen die Forscher einen weiteren Aspekt in ihre Vorhersagemodelle einbeziehen — den Klimawandel.
«Der Klimawandel wird die Dynamik der Tollwut unter Polarfüchsen wirklich beeinflussen», sagt Dr. Emily Jenkins, Professorin für Veterinärmikrobiologie an der Universität von Saskatchewan, gegenüber Eye on the Arctic.
Normalerweise durchstreifen Polarfüchse die Hocharktis auf der Suche nach Nahrung, vor allem über das Meereis, und legen dabei beeindruckende Distanzen zurück. Jenkins nimmt an, dass verschiedene Fuchspopulationen stärker isoliert werden könnten, wenn das Meereis zurückgeht und sich die Füchse nicht mehr so frei und so weit bewegen können. Dadurch könnte die Ausbreitung der Tollwut insgesamt zurückgehen.
Andererseits bleiben die Füchse vermehrt an Land, wenn das Meereis verschwindet, und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie mit Menschen und Hunden in Kontakt kommen.
Ein weiterer Aspekt, der die Vorhersagen über Tollwut in der Arktis erschwert, ist das Vordringen der Rotfüchse in Richtung Norden. Noch sind die Auswirkungen auf die Polarfüchse nicht klar, Jenkins vermutet jedoch, dass die neue Konkurrenz nachteilig für sie sein könnte. «Wilde Caniden [Canidae – Familie der Hunde, Anm. d. Red.] vertragen sich in der Regel nicht besonders gut, sie konkurrieren um dieselbe Beute und töten sich gegenseitig», so Jenkins.
Funktionierende Vorhersagemodelle würden eine Art Frühwarnsystem für Tollwut ermöglichen, wodurch die Bevölkerung und die Gemeinden früh reagieren könnten, indem beispielsweise die Hunde geimpft werden. Zudem zieht Jenkins in Betracht, auch die Polarfüchse mit Hilfe von Ködern gegen Tollwut zu impfen, ähnlich wie in Europa die Rotfüchse.
Die Entwicklung der Vorhersagemodelle ist in Arbeit, allerdings fehlen den Forschern bedingt durch die Covid-19-Pandemie die Daten der letzten zwei Jahre, in denen sie die geplanten Feldsaisons nicht durchführen konnten. «Das bedeutet, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Veränderungen im Laufe der Zeit zu verfolgen, was natürlich eine der wichtigsten Fragen in Bezug auf die Arktis ist, insbesondere in der westlichen kanadischen Arktis, wo der Klimawandel dreimal so schnell voranschreitet wie weltweit», so Jenkins.
Julia Hager, PolarJournal