Russlands Isolation erreicht auch die offizielle Arktis | Polarjournal
«Rien ne vas plus / Nichts geht mehr» beim Arktisrat, wie auf seiner Webseite zu lesen ist. Sieben der ständigen Ratsmitglieder haben aufgrund des russischen Einmarsches in die Ukraine die weitere Zusammenarbeit mit Russland auf Eis gelegt. Bild: Screenshot Webseite Arktisrat

Der Arktisrat beschäftigt sich seit 1996 als Gremium mit den Belangen (abgesehen von Sicherheitspolitik) in der Arktis. Die acht ständigen Ratsmitglieder Island, Dänemark/Grönland, Schweden, Finnland, Norwegen, USA, Kanada und Russland kamen regelmässig zusammen, um die Herausforderungen, denen sich die Arktis und seine Bewohner gegenübersehen, gemeinsam zu bewältigen. Der Rat wurde darum seit je her als ein Ort des Dialogs und der Zusammenarbeit betrachtet. Doch dies hat sich nun geändert.

Gestern veröffentlichten die sieben ständigen Ratsmitglieder Kanada, USA, Norwegen, Schweden, Dänemark/Grönland, Finnland und Island eine gemeinsame Erklärung, in der sie bekanntgaben, dass «unsere Staaten die Teilnahme an allen Treffen des Rates und seiner untergeordneten Gremien vorübergehend unterbrechen (…)». Der Grund für die Unterbrechung der weiteren Arbeit des Rates ist die russische Invasion in die Ukraine, die von den Ratsmitgliedern verurteilt wird, und die dadurch entstandenen schwerwiegenden Hindernisse für die internationale Zusammenarbeit, auch in der Arktis. Die sieben Staaten schreiben weiter: «Die Kernprinzipien der Souveränität und territorialen Integrität, die auf dem Völkerrecht beruhen, haben lange Zeit die Arbeit des Arktischen Rates untermauert, eines Forums, in dem Russland derzeit den Vorsitz führt. Angesichts der eklatanten Verletzung dieser Grundsätze durch Russland werden unsere Vertreter nicht zu Treffen des Arktischen Rates nach Russland reisen.»

Die acht ständigen Ratsmitglieder sind allesamt Nationen mit Gebieten in der Arktis. Neben den acht ständigen Ratsmitgliedern sind auch sechs permanente Teilnehmer für die Ureinwohner, sechs Arbeitsgruppen, 13 Beobachterstaaten, 13 zwischenstaatliche und 12 Nicht-Regierungsorganisationen Teil des Rates. Bild: Arctic Council / Linnea Nordstrøm

Der Schritt der sieben Ratsmitglieder, die Zusammenarbeit mit Russland bis auf weiteres sprichwörtlich auf Eis zu legen, ist einerseits überraschend, andererseits aber eine logische Fortsetzung der Isolation Russlands von der restlichen Staatengemeinschaft. Der Arktisrat war seit seiner Bildung 1996 eigentlich als ein Ort des kontinuierlichen Dialogs betrachtet worden, auch in schwierigeren Zeiten. Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und der immer schärfer werdenden offiziellen Rhetorik waren sich viele Experten einig, dass zumindest im Arktisrat die Möglichkeit eines Dialogs weiterhin gegeben sein dürfte. Doch gleichzeitig waren es auch die Regierungen der sieben Staaten, die Russland mit schweren wirtschaftlichen und politischen Sanktionen belegt hatten und auch in anderen Bereichen Russland und Belarus ausgeschlossen hatten. Einer dieser Bereiche war das Treffen des Arktischen Wirtschaftsrates, das Arctic Economic Forum, das im April in St. Petersburg hätte stattfinden sollen. Der Wirtschaftsrat hatte vor einigen Tagen beschlossen, im Hinblick auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine das Treffen dort abzusagen und ein Online-Meeting daraus zu gestalten. Der Ratsleiter des Arctic Economic Councils, Mats Qvist Frederiksen, hatte erklärt, dass der Rat offiziell die Invasion der Ukraine durch Russland verurteile und dass vier der fünf Mitglieder des Vorstandes für diese Verurteilung gestimmt hatten.

Auch kulturell und sportlich wird Russland in der Arktis nun sanktioniert. Die Leiter der «Arctic Winter Games» haben die russische Delegation aus der Region Yamal ausgeladen. Bild: Arctic Winter Games

Nicht nur wirtschaftlich und politisch wird Russland aufgrund seiner Invasion in die Ukraine von zahlreichen Ländern und Organisationen sanktioniert und isoliert, sondern auch kulturell und gesellschaftlich beziehungsweise auf sportlicher Ebene in der Arktis. Das internationale Komitee der Arctic Winter Games gab am 1. März bekannt, dass die russische Delegation aus der Region Yamal bis auf weiteres von der Teilnahme and den Spielen suspendiert ist. Das bedeutet zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass sie nicht an den vom 29. Januar bis 4. Februar 2023 stattfindenden Spielen teilnehmen kann. «Das Internationale Komitee der Arktischen Winterspiele ist zutiefst besorgt über die anhaltenden Ereignisse in der Ukraine und die schwerwiegenden Auswirkungen auf das menschliche Leben», erklärt der Präsident des Internationalen Komitees der AWG, John Flynn. Die Spiele, die alle zwei Jahre ausgetragen werden, sind mit rund 2’000 Teilnehmern aus fast allen arktischen Regionen ein wichtiger kultureller und gesellschaftlicher Event. Sie werden jedes Mal in einer anderen Region ausgetragen. Eigentlich hätten sie in diesem Jahr stattfinden sollen, wurden jedoch aufgrund der COVID-Pandemie auf 2023 verschoben. Die nächste Austragung hätte 2026 dann in Russland in der Nenets-Jamal-Region über die Bühne gehen sollen. Auch dies ist aber momentan fraglich.

Das zweite grosse Polargremium ist das Antarctic Treaty System, in dem 29 konsultative und 25 Nicht-konsultative Mitgliedsländer sich vereinen und über antarktische Belange sprechen. Schon zu Zeiten des Kalten Krieges war dies ein Dialogort zwischen den Westmächten und der damaligen Sowjetunion. Bild: ATS

Bleibt mit dem Unterbruch im Arktisrat die Dialogsoption in den Polarregionen geschlossen? Nein, der Arktisrat war nur einer der möglichen Dialogorte. Das zweite grosse Gremium ist das Antarctic Treaty System ATS. Hier waren schon seit Ende der 1950er Jahre, also am Höhepunkt des Kalten Krieges, die verschiedenen damaligen Blöcke zusammengekommen und hatten trotz ideologischer und politischer Unterschiede miteinander gesprochen. Da das ATS nicht von einem Land präsidiert wird, sondern in einem demokratischen Abstimmungsverfahren Entscheidung getroffen werden, bietet sich vielleicht hier die Möglichkeit, hinter den Kulissen einen Dialog (Stichwort: Wissenschaftsdiplomatie) zu ermöglichen. Denn alle in den gegenwärtigen Konflikt involvierten Parteien sind im ATS vertreten. Und das nächste Treffen ist bereits für die Zeit vom 23. Mai bis zum 2. Juni 2022 in Berlin geplant. Es bleibt zu hoffen, dass das verbindende Element der Antarktis und der Polarregion hier die Parteien an einen Tisch bringt.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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