Im Pleistozän fraßen Schwertwale noch keine Meeressäuger | Polarjournal
So stellt sich die Wissenschaft den fischjagenden Orca-Vorfahren Rododelphis stamatiadisi vor aufgrund der Fossilfunde, die das internationale Team entdeckt hat: Bild: Rossella Falen

Die heute lebenden Großen und Kleinen Schwertwale (Orcinus orca und Pseudorca crassidens) sind bekannt dafür, dass sie sich auch von anderen Meeressäugetieren ernähren. Orcas, die Großen Schwertwale, machen sogar Jagd auf die größten Lebewesen der Erde — Blauwale. Ein aktueller Fossilfund eines frühen Schwertwals, der im Pleistozän lebte, soll nun zeigen, dass die großen Delfine damals vor eineinhalb Millionen Jahren Fische erbeuteten und nicht andere Meeressäuger. Die Studie, die Wissenschaftler der Universität Pisa, Italien, und des College of Osteopathic Medicine am New York Institute of Technology, USA, durchführten, wurde in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.

Bisher wurden nur sehr wenige Fossilien von frühen Schwertwalen gefunden und entsprechend spärlich ist das Wissen über die Evolution der beiden zu den Delfinen zählenden Arten. Umso erstaunlicher ist der Fund von Überresten eines bisher unbekannten Delfins auf der griechischen Insel Rhodos im Jahr 2020, der schätzungsweise vor eineinhalb Millionen Jahren im Pleistozän lebte. Sie sollen den ersten eindeutigen fossilen Beweis für die Ursprünge des Kleinen Schwertwals liefern. Die neu entdeckte, längst ausgestorbene Art bekam den wissenschaftlichen Namen Rododelphis stamatiadisi, nach ihrem Fundort Rhodos und ihrem Entdecker, dem Paläontologen Polychronis Stamatiadis.

Ein Vergleich des Teilskeletts von Rododelphis mit der Anatomie von Orcas und Kleinen Schwertwalen sowie mit dem einzigen bekannten fossilen Verwandten der Orcas, Orcinus citoniensis, ergab, dass Rododelphis mit einer Länge von knapp vier Metern und einem Gewicht von etwa 500 Kilogramm ungefähr so groß ist wie die heute lebenden Kleinen Schwertwale. Die Wissenschaftler konnten sogar einen Rückschluss auf seine letzte Mahlzeit ziehen, die den fünf Otholithen (Steinchen im Ohr von Fischen) neben dem Fossil zufolge aus Blauem Wittling (Micromesistius poutassou) bestanden haben muss. 

Die Rekonstruktion des Schädels von Rododelphis zeigt, dass den Tieren die charakteristische Wölbung der heutigen Schwertwalen fehlte. Trotzdem könnte die Art die Melone zur Orientierung und Kommunikation gehabt haben können. Grafik: Bianucci et al. 2022

Anders als bei den heute lebenden Schwertwalen, die sich je nach Population von anderen Meeressäugern, Fisch oder Tintenfisch ernähren, wiesen die Zähne von Rododelphis und Orcinus citoniensis nur feine Kratzer und kaum Absplitterungen auf, was darauf hindeutet, dass sich diese beiden Arten von Fisch ernährten. Die Zähne moderner Schwertwale dagegen zeigen größere Kratzer und Absplitterungen, die häufig beim Verzehr von Beutetieren mit knöchernem Skelett entstehen. 

Davon ausgehend, dass die weniger starke Zahnabnutzung bei den beiden fossilen Skelettfunden auf alle Vertreter der damals lebenden Arten zutrifft, stehen die Erkenntnisse aus dieser Studie im Widerspruch zu der Annahme, dass die großen Bartenwale (z.B. Blauwale, Finnwale, etc.) diese enormen Körpergrößen entwickelten, um Raubtiere zu vermeiden. Die ersten riesigen Wale traten von 3,6 Millionen Jahren auf. Laut der Autoren deuten ihre Ergebnisse daraufhin, dass Schwertwale erst viel später Jagd auf andere Meeressäuger machten. Sie nehmen an, dass Orcas vor in den letzten drei Millionen Jahren mit der Jagd auf andere Wale begannen und Kleine Schwertwale in den letzten eineinhalb Millionen Jahren. 

Orcas sind heute in fast allen Weltmeeren zuhause, auch in den Polarregionen. Dort jagen sie neben Fischen auch Robben, Pinguine und Wale, je nachdem zu welchem Subtyp sie gehören. Entsprechend sind Waljäger (Subtyp A) auch grösser als der Fisch-jagende Subtyp B (im Bild). Bild; Michael Wenger

In einem Bericht des New York Institute of Technology (NYIT) über die Studie sagt Jonathan Geisler, Professor am College of Osteopathic Medicine des NYIT, Experte für die Evolution von Meeressäugern und Co-Autor der Studie: «Die Diversifizierung der Familie der ozeanischen Delfine fand innerhalb der letzten fünf Millionen Jahre statt, aber fossile Belege aus dem Pleistozän sind äußerst selten. Mit Rododelphis beginnen wir nun, diese Lücke zu schließen und die wiederholte Evolution von Nahrungsanpassungen bei ozeanischen Delfinen besser zu verstehen – mit anderen Worten, wie Orcas und Kleine Schwertwale getrennt voneinander eine ähnliche Schädelanatomie und das Verhalten, sich von anderen Meeressäugern zu ernähren, entwickelt haben.»

Die Autoren hoffen, in Zukunft weitere Ausgrabungen nach fossilen Skeletten in Griechenland und Italien durchführen zu können, um ihre Forschung fortzuführen.

Julia Hager, PolarJournal 

Link zur Studie: Giovanni Bianucci, Jonathan H. Geisler, Sara Citron, Alberto Collareta. The origins of the killer whale ecomorph. Current Biology, 2022; DOI: 10.1016/j.cub.2022.02.041

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