Die Auswirkungen des sich verändernden Klimas sind in der Arktis besonders spürbar. An der Front steht dabei Grönland und dessen Bevölkerung. Denn die Effekte bedrohen nicht nur die Lebensweise, sondern ganz real auch das Leben in Form von steigenden Naturgefahren. Das Schweizer Polarinstitut SPI hat nun mehrere Forschungsprojekte gestartet, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Grönländischen Forschungsrat NIS.
Einerseits hat das SPI gemeinsam mit dem Forschungsrat Grönlands NIS im Rahmen des «Koni-Steffen»-Workshops in Nuuk begonnen, Projekte zur Bewertung und Beobachtung von Naturgefahren, wie Lawinen und Erdrutsche, zu entwickeln. Andererseits hat das SPI auch eines seiner zwei neuen Forschungsprogramme, nämlich «GreenFjord» gestartet, welches sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Fjorde in Grönland und deren Bewohner befasst.
Am «Koni Steffen»-Workshop, der nach dem verstorbenen Schweizer Gletscher- und Klimaforscher benannt ist, kamen Schweizer und grönländische Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachbereichen wie Lawinen- und Gletscherforschung, Seismologie, Geophysik, aber auch Risikobewertung und -management und Datenanalyse zusammen und diskutierten über mögliche Ansätze und Konzepte zu den Themen «Lawinen, Erdrutsche und andere Naturgefahren». Denn in bestimmten Regionen Grönlands ist das Risiko solcher Gefahren aufgrund des Klimawandels gestiegen. «Die grösste Gefahr geht zurzeit vom Gebiet ‘Karrat’ aus (ein Gebiet nordwestlich von Ilulissat, Anm. d. Red.)», erklärt Professorin Gabriela Schaepman-Strub, die wissenschaftliche Leiterin des SPI. «In diesem Gebiet sind auch Umsiedlungen ein Thema und entsprechend ist es wichtig, das Risiko eines Erdrutsches und eines resultierenden Tsunamis einzuschätzen und eventuell ein Frühwarnsystem zu installieren. Das zweite Thema war Lawinengefahr. Diese betrifft vor allem lokale und touristische Freizeitaktivitäten wie Skifahren, aber insbesondere auch das Fahren mit Schneemobilen.»
Das Problem ist aber, dass es in Grönland bisher keine systematische Erhebung von Risiken über weite Bereiche gibt, sondern nur dort, wo auch Leute leben. Wenn aber an abgelegenen Orten massive Erdrutsche stattfinden, können diese Tsunamis auslösen, die in den Küstenorten zu Schäden an Menschen und Gebäuden führen. Ein Frühwarnsystem und Risikomanagement plus die Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema sollen hier Abhilfe schaffen. Für Lawinen gilt dies ebenfalls. «Die Lawinengefahr wird zurzeit auch nicht systematisch erfasst und kommuniziert. In Sisimiut wollen sie nun damit beginnen, die Risiken zu erfassen. Dabei konnten am Workshop die Leute des Schweizer Lawinenforschungsinstituts SLF zeigen, wie das System in der Schweiz funktioniert und auch von Erfahrungen in anderen Ländern des Alpenraums berichten. Der Workshop hat dazu gedient, Vertrauen zwischen den grönländischen und Schweizer Experten aufzubauen», erklärt Gabriela Schaepman-Strub weiter.
Die Vorsitzende des NIS, Josephine Nymand, meint weiter: «Wir hoffen, dass unsere neue Zusammenarbeit dazu beitragen kann, den langfristigen Kapazitätsaufbau rund um das Naturgefahrenmanagement in Grönland zu erleichtern. Unsere Schweizer Kollegen sind auf diesem Gebiet sehr erfahren, und die internationale Forschungszusammenarbeit ist für Grönland von entscheidender Bedeutung bei der Entwicklung nationaler Überwachungssysteme und Minderungspläne für Naturgefahren.» Aus den Erfahrungen des Workshops werden nun zwei Vorschläge entstehen für die Bereiche Lawinen und Erdrutsche, die sowohl den Kapazitätsaufbau wie auch einen integralen Austausch zwischen ExpertInnen beinhalten werden.
Naturgefahren sind aber nicht das einzige Thema, an dem das SPI in Grönland arbeitet. Das Forschungsprojekt «GreenFjord», welches im Rahmen der SPI-Flaggschiff-Initiativen gestartet worden ist, wird während der nächsten vier Jahre untersuchen, wie der Klimawandel die Fjorde im Südwesten Grönlands mit ihren Ökosystemen im Meer und an Land beeinflussen wird. Denn die Fjorde sind so etwas wie die Lebenslinien der lokalen Bevölkerung. Das Ziel von «GreenFjord» ist es, diese Systeme besser zu verstehen und Veränderungen besser und genauer vorhersagen zu können. Professorin Julia Schmale von der ETH Lausanne, die das Programm leitet, meint: «Wir wollen ein besseres Verständnis erreichen, wie sich Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe verändern und welche Folgen dies für die Biodiversität in der Atmosphäre, an Land und im Ozean hat. Letztendlich streben wir danach, mehr über die Biodiversität der Mikro- und Makrofauna zu erfahren; das heisst zu verstehen, wie sich das Nahrungsnetz und möglicherweise die Fischbestände in Zukunft verändern könnten.»
Neben den Feldarbeiten zur Untersuchung der Auswirkungen auf die Ökosysteme will «GreenFjord» aber noch einen Schritt weitergehen und auch untersuchen, was dies für die Menschen vor Ort bedeutet und welche Bedürfnisse jetzt und in Zukunft erfüllt werden müssen, um unter den herrschenden und zu erwartenden Bedingungen weiter leben zu können. «Zum ersten Mal wird das gesamte Ökosystem der Region unter dem menschlichen Aspekt untersucht», erklärt Professorin Schmale. «Das macht unser Projekt einzigartig, und es gehört zu unserem disziplinenübergreifenden Ansatz.»
Beide Forschungsbereiche, sowohl der «Koni Steffen»-Workshop wie auch «GreenFjord», könnten der Anfang einer längeren Forschungszusammenarbeit zwischen der Schweiz und Grönland darstellen. «Wir hatten dank dem Workshop die Gelegenheit, viele andere Themenbereiche anzusprechen, die für eine Zusammenarbeit attraktiv wären», sagt Gabriela Schaepmann-Strub. «Wir sehen das Potenzial für hochinteressante Wissenschafts- und Technologieprojekte in Grönland in Zusammenarbeit mit unseren neuen Forschungspartnern.»
Dr. Michael Wenger, PolarJournal