Hitzewellen über den Polgebieten verblüffen Experten | Polarjournal
Im Arktischen Ozean schmilzt das Meereis immer schneller und stärker durch wärmere Temperaturen von unten und oben weg. Daten zeigen Mitte März Unterschiede von bis zu 28°C über der Durchschnittstemperatur am Nordpol. Symbolbild: Michael Wenger

Die Polargebiete der Erde stehen schon seit Jahren unter dem Druck einer immer stärker werdenden Erwärmung. Dabei sind nicht alle Regionen gleich stark davon betroffen und die Forschung untersucht immer noch die Gründe für die Unterschiede, besonders zwischen Arktis und Antarktis. Doch Mitte März haben nun Messstationen an beiden Enden der Welt Temperaturdaten geliefert, die sogar die hartgesottensten Experten sprachlos werden liessen.

Messdaten der Temperaturen an verschiedenen Stationen in Antarktika zeigten am 18. März einen bis zu zweistelligen Unterschied der zu dieser Jahreszeit üblichen Temperatur an. Die italienisch-französische Station Concordia, die auf über 3’200 Meter über Meer mitten auf dem Dome C des ostantarktischen Eisschildes liegt, verzeichnete eine Temperatur von -11.5°C statt der normalen -50°C an, ein Unterschied von beinahe 40°C. Auch die russische Station Vostok, wo die tiefste Temperatur der Erde gemessen worden war, meldete -17.7°C statt -32°C. Und die Station Terra Nova an der Küste des Rossmeeres meldete sogar +7°C. Auch aus der Arktis kamen Temperaturangaben, die bei den Experten Erstaunen auslösten: Am Nordpol lagen Mitte März die Temperaturen knapp am Gefrierpunkt statt bei den üblichen -30°C, auf Svalbard liessen die warmen Temperaturen starke Regenfälle auf Longyeabyen und Ny Ålesund niederprasseln und auf den östlicheren Inseln waren die Temperaturen auch in den Plusgraden.

Die Grafiken zeigen massive Hitzewellen, die mehrere Tage über der Arktis und Antarktis liegengeblieben waren. Dabei hatten Warmlufteinträge aus Süden, bzw. Norden dazu geführt, dass die Thermometer weit überdurchschnittliche Temperaturen anzeigten. Grafiken: Climate Reanalyzer

Für die Experten waren einerseits die Warmlufteinbrüche, die für die hohen Temperaturen in den Polgebieten gesorgt hatten, nicht überraschend. «Wenn wir auf die letzten Jahrzehnte zurückblicken, können wir deutlich einen Erwärmungstrend erkennen, insbesondere in der ‚kalten Jahreszeit‘ in der Arktis», schrieb Ruth Mottram, Klimawissenschaftlerin am Dänischen Meteorologischen Institut, in einer E-Mail an The Washington Post. Doch die Intensität, mit der die Temperaturen nach oben schossen, verblüffte viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

«Es ist unmöglich, hätten wir noch vor zwei Tagen gesagt. Doch ab heute (18. März) muss die antarktische Klimaforschung neu geschrieben werden», tweetete Stefano Di Battista, Journalist und Meteorologe über die Temperaturen in der Antarktis. Hier lag der Grund dafür bei einem Fluss von warmer feuchtigkeitsgesättigter Luft aus dem Norden in Richtung Ostantarktis. Wie ein Fluss in der Atmosphäre wurden so Unmengen an Feuchtigkeit in die ansonsten trocken-kalte Ostantarktis transportiert. Küstenstationen wie Casey (AUS) und Dumont d’Urville (F) verzeichneten heftige Regenfälle und Schmelzen. Ein darauf folgendes Hochdruckgebiet drückte die Luftmassen weiter nach Süden in Richtung Pol und hielt die feuchtwarme Luft dort, die wie ein Schild die Wärmeabstrahlung des Kontinents wieder zurückwarf und für die hohen Temperaturen sorgte. Diese blieben auch noch Tage, nachdem die Luftmassen endlich wieder abgezogen waren, noch bestehen.

Hoffentlich wird es nicht zur Regel, dass Forscherinnen und Forscher in Antarktika ihre Arbeit in ihren Schwimmsachen durchführen können. Trotzdem eine Abwechslung zu den üblichen Ausrüstungsgegenständen.

Experten glauben, dass dieses Ereignis ein Extrem war und nicht gleich die Regel, zumindest in der Antarktis. Doch sie warnen, dass solche Extremereignisse durch die veränderten Klimabedingungen zunehmen können. In der Arktis sind diese bereits häufiger verzeichnet worden in den vergangenen Jahrzehnten. Für die Antarktis schlagen sie dagegen in beide Richtungen. Denn noch im letzten Winter wurde dort die tiefste jemals gemessenen Durchschnittstemperatur am Südpol verzeichnet: -61°C. Schon bereits im Sommer schmolz das Meereis auf ein Rekordminimum in einigen Teilen entlang Antarktikas. Daher wollen Forscherinnen und Forscher ihre Anstrengungen verstärken und mehr Daten sammeln, um die Klimamodelle noch besser zu machen. Dazu hofft man auch auf die Einblicke aus der Vergangenheit, die in Form der Eisbohrkerne aus den Eisschilden der Ostantarktis und Grönlands vorliegen, plus eine bessere Vernetzung der meteorologischen Beobachtungen und Messdaten von der Erde und aus dem All. Denn die Zeit drängt, wie zahlreiche Forschungsergebnisse und auch der letzte IPCC-Bericht zeigen. Die Expertenteams schreiben darin, dass die Kipppunkte, an denen eine Umkehr der Erwärmung bzw. Veränderung eines Systems nicht mehr möglich ist, näher sind, als bisher angenommen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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