Mikroplastik im Arktischen Ozean stammt aus Europas Flüssen  | Polarjournal
Man sieht es weder dem Ozean noch dem Meereis an, doch Mikroplastik ist überall in der Arktis nachweisbar. Foto: Julia Hager

Der Plastikeintrag in die Umwelt seit Beginn der Kunststoffproduktion in den 1950er Jahren ist so massiv, dass Plastik, vor allem Mikroplastikpartikel, in jedem Lebensraum der Erde nachweisbar sind: in der Tiefsee, auf dem Mount Everest und im Eis der Polarregionen. Auch der Arktische Ozean ist stark belastet mit Mikroplastikpartikeln. Über deren Herkunft rätselten Wissenschaftler allerdings bislang. In einer neuen Studie, die in der Nature-Zeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurde, konnte ein norwegisches Forschungsteam jetzt anhand von Modellen die Wege des schwimmenden Mikroplastiks nachzeichnen.

Unter Mikroplastik versteht man Plastikpartikel bis zu einer Größe von fünf Millimetern. Zu den primären Quellen des Mikroplastiks zählen die Industrie, Haushalte (Kleidungsfasern, Kosmetik u.a.) und der Straßenverkehr (Reifen- und Bremsenabrieb). Die winzigen Partikel entstehen aber auch, wenn größere Plastikpartikel durch Umwelteinflüsse wie Sonneneinstrahlung und Salzwasser zerfallen. Über Flüsse und die Atmosphäre werden sie dann über den gesamten Planeten verteilt.

Menschen und Tiere nehmen Mikroplastik über die Nahrung oder über die Luft auf. Für Tiere ist die Aufnahme nachweislich gesundheitsschädlich oder gar tödlich. Über die gesundheitlichen Folgen für den Menschen ist noch immer wenig bekannt.

Meeresströmungen in der Arktis und europäische Flüsse als Quellen für Mikroplastik, die mehr als eine Tonne Mikroplastik pro Jahr in die offene See entlassen, sortiert nach dem Ausmaß des Mikroplastikeintrags: A–Ob, B–Rhein, C–Vistula, D–Jenissei, E–Oder, F–Elbe, G–Neman, H–Weser, I–Seine, J–Daugava, K–Themse, L–Neva, M–Meuse, N–Trent, O–Dvina, P–Ems, Q–Pregolya, R–Scheldt, S–Lielupe, T–Mersey, U–Severn. Karte: Huserbråten et al. 2022

In der Arktis wurden in einer früheren Studie in der Grönlandsee zwischen Nordostgrönland und Svalbard bis zu 166 Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter Wasser gefunden. Auf welchem Weg die Partikel in den Arktischen Ozean gelangen, war jedoch bisher nicht bekannt. In der aktuellen Studie ermittelte das Team unter der Leitung von Mats Huserbråten vom Institut für Meeresforschung in Bergen, Norwegen, anhand von Modellen, wie sich an der Wasseroberfläche schwimmende Mikroplastikpartikel im Arktischen Ozean, in den nordischen Randmeeren und in der Baffin Bay von Europa aus verbreiteten.

Mithilfe der Modelle konnten die Wissenschaftler über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten vorhersagen, wie viele Mikroplastikpartikel sich in bestimmten Regionen des Arktischen Ozeans befinden. Nachdem sie ihre Berechnungen mit Wasserproben aus diesen Gebieten verglichen haben, kamen sie zu dem Schluss, dass Mikroplastik seit mindestens zehn Jahren in der Arktis zirkulieren muss.

Um den Weg der Partikel im Arktischen Ozean nachzuverfolgen, kombinierten die Forscher Meeresströmungsmodelle im Zeitraum von 2007 bis 2017 mit Simulationen des Transports von schwimmendem Mikroplastik. Anschließend simulierten sie die Freisetzung von Mikroplastik aus 21 großen Flüssen in Nordeuropa und der Arktis pro Tag über einen Zeitraum von zehn Jahren.
Zudem verglichen sie die Ergebnisse ihres Modells mit der Verteilung von schwimmendem Mikroplastik aus 121 Meerwasserproben, die die Forscher 2017 und 2018 vor der Westküste Norwegens sammelten.


Die Hauptdriftpfade des schwimmenden Mikroplastiks durch den Arktischen Ozean. Als Beispiel wurden Mikroplastikpartikel aus dem Rhein (dunkelblaue Linien) verwendet — die größte Quelle für Mikroplastik aus Flüssen in Nordeuropa. Alternative Pfade führen entlang des West-Spitzbergen-Stroms (orangefarbene Linien) oder rezirkulieren in den arktischen Randmeeren (gelbe Linien). Die vermutlich größte Quelle im Arktischen Ozean ist der Ob (violette Linien). Die dunkelblauen Punkte markieren die Entnahmestellen der Meerwasserproben. Karte: Huserbråten et al. 2022

Sie fanden heraus, dass der größte Teil der simulierten Mikroplastikpartikel nach ihrer Freisetzung aus den Flüssen hauptsächlich zwei Pfaden folgt. Mindestens 65 Prozent der Partikel drifteten in östlicher Richtung entlang der norwegischen Küste bis in die Laptewsee, von wo aus sie in den Arktischen Ozean gelangten, über den Nordpol und schließlich über die Framstraße zwischen Nordostgrönland und Svalbard nach Süden drifteten in den Atlantischen Ozean. 

Ungefähr 30 Prozent der Partikel folgten von Nordnorwegen dem Kontinentalschelf zur Westküste Spitzbergens. Etwas weiter nördlich in der Framstraße erfasste sie die oben beschriebene südlich gerichtete Strömung, mit der sie sich gemeinsam mit den über den Nordpol transportierten Partikeln entlang der Ostküste Grönlands in die Labradorsee und weiter in Richtung Süden zur kanadischen Küste bewegten.


Links: Häufigkeit von schwimmendem Mikroplastik. Die Simulationen ergaben fünf Akkumulationszonen: I – Nordische Gewässer, II – Barentssee, III – Nansen-Becken, IV – Laptewsee-Schelfkante, V – Baffin-Bucht. Rechts: Geschätzte Dauer des Transports von schwimmendem Mikroplastik aus der Nordsee in den Arktischen Ozean und seine Randmeere in Jahren. Karte: Huserbråten et al. 2022

Außerdem ermittelte das Forschungsteam, dass Partikel, die aus den stark verschmutzten Industrieregionen der Nordsee stammen, in weniger als zwei Jahren die Norwegische See erreichen. Nach vier bis sechs Jahren sind sie bis in den eurasischen Teil des Arktischen Ozeans gelangt und nach bis zu zehn Jahren an die Nordküste Kanadas.

Die Autoren schlussfolgern, dass die Kunststoffpartikel offenbar eine sehr lange Zeit — bis zu Jahrzehnten — in der Oberflächenschicht des Arktischen Ozeans verbleiben, was weitreichende Folgen für die arktischen Ökosysteme haben kann. Wirbellose, Fische, Vögel und Säugetiere können die Partikel aufnehmen, was viele unterschiedliche schädliche physiologische Reaktionen auslösen kann. Ein besseres Abfallmanagement, das das Potenzial für die Verbreitung von Mikroplastik vom Land in die Ozeane verringert, sehen sie als dringend erforderlich an.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Huserbråten, M.B.O., Hattermann, T., Broms, C. et al. Trans-polar drift-pathways of riverine European microplastic. Sci Rep 12, 3016 (2022). https://doi.org/10.1038/s41598-022-07080-z

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