Einfache Erklärung für antarktisches Meereis-Phänomen | Polarjournal
Die Darstellung der NASA zeigt, wie sich ab Juni das Meereis weit ausdehnt und die eisbedeckte Fläche der Antarktis beinahe verdoppelt, bevor es dann wieder abschmilzt. Dabei zeigt sich, dass Letzteres schneller abläuft als die Meereisbildung. Video: NASA

Betrachtet man die Entwicklung des antarktischen Meereises über das ganze Jahr, sieht es aus als ob Antarktika ein pulsierender Organismus sei. Die Meereisbildung läuft immer nach demselben Muster ab, ganz unabhängig von den Auswirkungen der Klimaerwärmung. Lange wurden verschiedene Gründe vermutet, warum aber die Schmelze viel schneller abläuft, als die Eisbildung. Ein US-amerikanischen Forschungsteam hat nun den tatsächlichen Grund herausgefunden und ist verblüfft über die Einfachheit der Antwort.

Das Forschungsteam um Lettie Roach, ehemalige Postdoc-Forscherin an der Universität von Washington entdeckte, dass nur der Wechsel der Sonneneinstrahlung über das Jahr für die verschiedenen Geschwindigkeiten bei der Eisschmelze im Sommer und der Eisbildung ab dem Herbst verantwortlich ist. Wenn am Ende des Sommers an den Rändern der Küste sich das Meereis langsam zu bilden beginnt, dauert es in der Regel knapp sieben Monate, bis die Eisdecke ihre maximale Ausdehnung erreicht hat, aber nur gerade rund fünf Monate, um auf das Minimum zurückzufallen. «Trotz der rätselhaften längerfristigen Trends und der grossen Schwankungen des antarktischen Meereises von Jahr zu Jahr ist der saisonale Zyklus wirklich konsistent und zeigt immer diesen schnellen Rückgang im Verhältnis zum langsamen Wachstum», erklärt Lettie Roach.

«Ich war überrascht, dass der rasche saisonale Rückgang des antarktischen Meereises mit einem solch einfachen Mechanismus erklärt werden kann»

Dr. Lettie Roach, NASA

Die Resultate der Studie zeigt nun aber, dass die Antwort viel simpler ist, als die bisherigen Theorien vermuten lassen. Die Arbeit wurde nun in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht. Neben Lettie Roach, die heute bei der NASA arbeitet, waren auch Forscher des Scripps Institutes für Ozeanographie, der Universität von Wisconsin und der Universität von North Carolina an der Arbeit beteiligt.

Das antarktische Meereismaximum wird in der Regel im September erreicht und das Minimum im Februar. Für Pinguine bedeutet das, dass sie am Ende des Brutgeschäfts länger auf Nahrungssuche gehen, bevor die Eisdecke die Nahrung wieder zudeckt. Bild: Michael Wenger

Die Ergebnisse der Studie sind verblüffend. «Ich war überrascht, dass der rasche saisonale Rückgang des antarktischen Meereises mit einem solch einfachen Mechanismus erklärt werden kann», sagt Lettie Roach. Bisher vermuteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass es entweder sogenanntes Upwelling (Wassermassen aus der Tiefe) und damit nach oben transportierte Wärme oder Verschiebungen in den Windmustern, die über den Südlichen Ozean wehen, für die ungleiche Geschwindigkeit verantwortlich ist. Doch das Team untersuchte verschiedene globale Klimamodelle, passte danach ein Energiebilanzmodell, welches Meereis und Klima vereint, an und untersuchte die verschiedenen Konfigurationen, die für die Asymmetrie der Meereiszyklen verantwortlich sein könnten. Dabei zeigte sich, dass lediglich die saisonalen Zyklen der Sonneneinstrahlung als Grund in Frage kommen. «Da die Sonneneinstrahlung in den südlichen hohen Breiten von einer Sinuskurve abweicht, indem sie im Sommer einen schmalen Höhepunkt intensiver Helligkeit und im Winter eine lange Periode mit schwachem Licht aufweist, gibt es einen schnellen Eisrückzug im Sommer und einen allmählichen Eisvorschub im Winter», schreibt das Forschungsteam in seiner Arbeit.

Die in der Antarktis bekannte Asymmetrie bei der Meereisbildung und -schmelze ist in der Arktis anders. Hier ist die Dauer der Meereisbildung etwas kürzer als die der Schmelze, sogar unter dem Aspekt der arktischen Erwärmung. Die Gründe dafür sind noch nicht bekannt. Bild: Michael Wenger

Die Studie erklärt zwar nun, warum das antarktische Meereis einen derartigen Unterschied in den beiden Prozessen der Meereisbildung und -schmelze aufweist. Und das ist wichtig, um bessere und genauere Vorhersagen der Meereisentwicklung in der Antarktis entwickeln zu können. Aber, wie so oft in der Wissenschaft, wirft die Arbeit neue Fragen auf. Eine der wichtigsten und interessantesten dürfte sein, warum die Arktis nicht ein ähnliches Muster aufweist. Dort ist es nämlich so, dass die Bildung des Meereises etwas schneller abläuft, als das Abschmelzen, wobei der Unterschied nicht derart ausgeprägt ist wie in der Antarktis. Damit wird aber das antarktische Meereis plötzlich einfacher als das arktische, was einem Paradigmenwechsel gleichkommt. Cecilia Bitz, Mitautorin der Studie, meint dass dieses Schlüsselelement des antarktischen Meereises bisher in den Lehrbüchern falsch dargestellt worden ist und zumindest in der Antarktis viel einfacher abläuft als angenommen. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass der saisonale Zyklus im antarktischen Meereis mit sehr einfacher Physik erklärt werden kann. In Bezug darauf verhält sich das antarktische Meereis so, wie wir es erwarten sollten, und es ist der arktische saisonale Zyklus, der geheimnisvoller ist», sagt Lettie Roach. Diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, ist das nächste Ziel des Forschungsteams.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Roach et al. Asymmetry in the seasonal cycle of Antarctic sea ice driven by insolation. Nat. Geosci. (2022). https://doi.org/10.1038/s41561-022-00913-6

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