First Nations retten Karibu-Population vor dem Aussterben | Polarjournal
Die Klinse-Za-Herde im Nordosten British Columbias schrumpfte zwischen den 1990er Jahren und 2013 von etwa 250 auf nur noch 38 Tiere. Nur dank ambitionierter Schutzmaßnahmen, initiiert von den West Moberly First Nations und Saulteau First Nations, wächst die Population seitdem wieder. Foto: Line Giguere/Wildlife Infometrics

Einst streifte ein «Meer von Karibus» wie «Käfer über die Landschaft». So beschreiben die Ältesten der West Moberly First Nations in der kanadischen Provinz British Columbia die Zeiten bevor die industrielle Nutzung der Region — Lebensraum des Wald-Karibus, Rangifer tarandus caribou — begann. Heute gibt es in der ganzen Provinz nur noch 15.000 Tiere. Die Hälfte der Subpopulationen in British Columbia gilt als gefährdet, darunter die Klinse-Za-Herde, die 2013 nur noch 38 Tiere zählte. Eine aktuelle Studie zeigt, dass dank umfassender gemeinsamer Anstrengungen der indigenen Völker West Moberly und Saulteau sich die Zahl dieser Herde seitdem verdreifachte – ein grossartiger Erfolg.

Die Landschaft, in der die Wald-Karibus beheimatet sind, wurde im letzten Jahrhundert durch menschliche Aktivitäten wie Rodung, Bergbau, Öl- und Gasförderung, Staudämme und Siedlungen so stark verändert, dass die Gesamt-Population der Wald-Karibus in British Columbia von ursprünglich 40.000 auf nur noch 15.000 Tiere geschrumpft ist. Die starke industrielle Entwicklung schnitt die Migrationsrouten der Karibus ab, verkleinerte ihren Lebensraum und setzte sie in der Folge einem höheren Druck durch Raubtiere aus.

In British Columbia im Westen Kanadas leben zahlreiche Subpopulationen von Wald-Karibus. Etwa die Hälfte von ihnen gilt als gefährdet. Die rote Ellipse markiert die wachsende Kllinse-Za-Subpopulation. Karte: Government of British Columbia

Für die indigenen Völker stellen diese massiven Eingriffe in die Umwelt eine Verletzung des Vertrags zur Erhaltung ihrer kulturellen Identität dar. Die First Nations sind seit jeher abhängig von den großen Herden, doch aufgrund des starken Populationsrückgangs war es ihnen nicht mehr möglich, die Tiere zu jagen. Die West Moberly First Nations und die Saulteau First Nations starteten daher im Jahr 2013 in Kooperation mit Wildlife Infometrics  gemeinsam ein Projekt, um die Klinse-Za-Subpopulation im nordöstlichen British Columbia vor dem Aussterben zu bewahren. Wissenschaftler der University of British Columbia begleiteten das Projekt. Zu dem Zeitpunkt war eine der benachbarten Subpopulationen bereits ausgestorben.

Unterstützt von mehreren Organisationen und der Regierung von Kanada und British Columbia gelang es der Studie zufolge, im Verlauf von neun Jahren die Population von 38 Tieren zu verdreifachen auf jetzt 114 Tiere. Mit kurzfristigen und schnell wirkenden Maßnahmen verhinderte das Projekt von Beginn an weitere Verluste, indem einerseits die Zahl der Raubtiere im Lebensraum der Klinse-Za-Herde reduziert wurde. Andererseits wird jedes Jahr im März ein Teil der trächtigen Karibuweibchen in ein speziell geschütztes Gehege gebracht, um dafür zu sorgen, dass mehr Jungtiere überleben. Die Mütter bleiben mit ihren Kälbern bis August im Gehege, wo sie durchgehend von Angehörigen der beiden indigenen Völker bewacht und gefüttert werden. 
Gleichzeitig wird der Lebensraum der Karibus so gut wie möglich wiederhergestellt, um langfristig das Überleben der Population zu sichern.

In den speziellen «Mutterschaftsgehegen» werden die Tiere versorgt und genau überwacht, auch ihr Körpergewicht. Foto: Line Giguere/Wildlife Infometrics

«Wir verdanken es den Bemühungen der indigenen Bevölkerung, das drohende Aussterben dieser Herde abzuwenden», sagt Dr. Clayton Lamb, Wildtierforscher an der University of British Columbia und Hauptautor der Studie. «Diese Arbeit stellt einen innovativen, von der Gemeinschaft geleiteten Paradigmenwechsel für den Naturschutz in Kanada dar. Während indigene Völker schon seit langem aktiv Landschaften verwalten, ist dieser Ansatz neu in der Zusammenarbeit zwischen westlichen Wissenschaftlern und indigenen Völkern, um positive Ergebnisse für das Land zu erzielen und eine gefährdete Art auf den Weg der Erholung zu bringen.»

Carmen Richter, Masterstudentin der Biologie an der University of Columbia, Angehörige der Saulteau First Nations und Co-Autorin der Studie, fügt hinzu: «Wir arbeiten hart daran, diese Karibus zu retten. Jedes Jahr sammeln die Mitglieder der Gemeinschaft säckeweise Flechten, um die Karibu-Mütter im Gehege zu füttern, während andere Mitglieder oben auf dem Berg bei den Tieren leben. Wir hoffen, dass wir die Herden eines Tages wieder auf eine nachhaltige Größe bringen können.»

Die vollständige Erholung der Klinse-Za-Herde wird allerdings noch einige Zeit und weitere Anstrengungen erfordern, wie Dr. Adam T. Ford, Professor für Biologie an der University of British Columbia und Co-Autor der Studie, betont. Das Projekt sei aber ein beispielloser Erfolg, der zeigt, welch entscheidende Rolle die indigenen Völker beim Naturschutz spielen können, sagt er. «Ich hoffe, dass dieser Erfolg Türen für die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinschaften und Behörden öffnet. Wir können so viel mehr erreichen, wenn wir zusammenarbeiten.»

Julia Hager, PolarJournal

Infografik zum Projekt

Link zur Studie: Clayton T. Lamb, Roland Willson, Carmen Richter et al. Indigenous‐led conservation: Pathways to recovery for the nearly extirpated Klinse‐Za mountain caribou. Ecological Applications, 2022; DOI: 10.1002/eap.2581

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