Grönland verliert aufgrund der globalen Erwärmung vor allem über seine im Ozean endenden Gletscher riesige Mengen an Eis. Einer dieser Gezeitengletscher ist der Helheim-Gletscher im Südosten Grönlands. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Pennsylvania State University haben jetzt eine Studie veröffentlicht, in der sie den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Schmelzwasserfahnen vor der Gletscherkante und dem Abbrechen von Eisbergen untersuchen. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Journal of Glaciology.
Der Helheim-Gletscher ist einer der gewaltigsten in Grönland und der am schnellsten fließende Auslassgletscher in Ostgrönland, in den Sermilik Fjord mündet. Im terminalen Bereich hat er eine Breite von etwa sechs Kilometern und seine Kante ist ungefähr einhundert Meter hoch, an manchen Stellen sogar bis 300 Meter. Den Autoren zufolge fließt in warmen Phasen so viel Schmelzwasser unter dem Gletscher ab, dass das leichtere Süßwasser vor der Gletscherfront an die Meeresoberfläche steigt und in der Mélange aus Eisbergen, -brocken und Meerwasser eine offene Wasserfläche bildet.
Mit Hilfe von hochauflösenden Satellitenbildern und Tausenden Zeitrafferaufnahmen von Kameras, die von 2011 bis 2019 rund um den Gletscher stationiert waren, verfolgten die Wissenschaftler die Schmelzwasserfahnen und entdeckten dabei, dass in der Nähe dieser Süßwasserlinsen keine großen Eisberge abbrachen. «Wir sahen, dass viele Eisberge kalbten, dann hörten sie auf, wenn die Fahne sichtbar war, und fingen wieder an, wenn die Fahne verschwand», sagt Sierra Melton, Doktorandin der Geowissenschaften an der Pennsylvania State University und Haupt-Autorin der Studie. «Und wenn das Kalben auftrat, geschah es weit weg von den Schwaden. Sie waren immer räumlich und zeitlich voneinander getrennt.»
Anfang der 1970er Jahre reichte der Helheim-Gletscher bis an den Sermilik Fjord heran, wobei seine Eiszunge auf dem Wasser aufschwamm, also ein Schelfeis war. Heute befindet sich seine Front etwa 7,5 Kilometer landeinwärts und rechts und links des Eisstroms sind nun steile Felsenklippen sichtbar, da er auch massiv an Dicke verloren hat.
Für etwa die Hälfte des Eisverlusts des grönländischen Eisschilds sind kalbende Gletscher verantwortlich, was erheblich zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt, so die Autoren.
«Sierra Meltons Arbeit, einschließlich dieser Studie, ist ein wichtiger Beitrag zu den größeren Bemühungen, zu verstehen, wie das Kalben von Eisbergen wirklich funktioniert und was seine Geschwindigkeit steuert, sodass wir besser vorhersagen können, was in Grönland und der Antarktis passieren wird und was das für den Anstieg des Meeresspiegels und die Küstenbewohner bedeuten wird», sagt Richard Alley, Professor für Geowissenschaften an der Pennsylvania State University, Meltons Betreuer und Co-Autor der Studie.»
Die Ergebnisse der Forscher deuten darauf hin, dass Veränderungen der Hydrologie und des Drucks unter dem Gletscher für den Zusammenhang zwischen Schmelzwasserabfluss und Kalben verantwortlich sind. Die Autoren erklären, dass sich während der Schmelzsaison Wasser in den Gletscherspalten sammelt und an der Gletscheroberfläche Seen bildet. Ein Teil des Schmelzwassers fließt in die Tiefe zum Gletscherbett ab, wo es Hohlräume füllt und ein Netzwerk zwischen diesen entsteht.
«Die Entstehung eines subglazialen Entwässerungssystems hängt damit zusammen, dass der Wasserdruck unter dem Gletscher gering ist, wenn nicht sehr viel Wasser vorhanden ist», so Melton. «Wenn das Wasser unter dem Gletscher zunimmt, erhöht sich auch der Druck.»
Je höher der Wasserdruck am Gletscherbett ist, umso schneller fließt der Gletscher in Richtung Meer und Risse können im Eis entstehen, wodurch es anfälliger für Eisabbrüche wird. Den Autoren zufolge kann unter diesem Druck und wenn genügend Wasser am Gletscherbett vorhanden ist, das Schmelzwasser Kanäle im Grund des Eises formen, die das Wasser ins Meer leiten und als eine Art Überdruckventil fungieren, das den Wasserdruck unter dem Gletschereis verringert. Aus diesen Kanälen kann so viel Süßwasser freigesetzt werden, dass es als offenes Wasser in einem Meer aus Eisbrei sichtbar wird.
«Wir glauben, dass dieser niedrigere Druck das große Kalben verhindert, weil sich die Risse im Boden des Eises nicht bilden können», so Melton. «Im Grunde sollte also das System, das die Existenz der Schmelzwasserfahne unterstützt, das Kalben unterdrücken.»
Julia Hager, PolarJournal