Plastik in allen Lebensräumen der Arktis nachgewiesen | Polarjournal

Besonders häufig wird Plastikmüll, der aus der Fischerei stammt, an arktischen Stränden angespült. Für zwei Rentiere in Svalbard ist ein Teil von einem Netz zur tödlichen Falle geworden. Foto: Julia Hager

Die Arktis ist eine der fragilsten Regionen der Erde und sie ist eine der Regionen, die nicht nur am stärksten mit dem Klimawandel, sondern auch mit der Plastikverschmutzung zu kämpfen hat. Beide schwächen die arktischen Ökosysteme zeitgleich und bedrohen somit die arktische Artenvielfalt. Eine neue internationale Übersichtsstudie des Alfred-Wegener-Instituts zeigt, wie sehr die Arktis und ihre Bewohner mittlerweile mit Plastik und Mikroplastik belastet sind, woher die Plastikteile stammen und auf welchen Wegen sie in die Arktis gelangen und innerhalb der Arktis transportiert werden. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Nature Reviews Earth & Environment erschienen.

Die Übersichtsstudie, die die Ergebnisse zahlreicher früherer Studien zusammenfasst, macht es deutlich — Plastik und Mikroplastik sind in der Arktis praktisch überall nachweisbar: in der Atmosphäre, im Schnee, im Eis, im Arktischen Ozean von der Wasseroberfläche bis zur Tiefsee, an Stränden, in Flüssen und in Menschen und Tieren. Obwohl die Arktis relativ dünn besiedelt ist, ist der Grad der Verschmutzung ähnlich hoch wie in dicht besiedelten Regionen.

«Die Arktis wird noch immer als weitgehend unberührte Wildnis wahrgenommen», sagt AWI-Expertin Dr. Melanie Bergmann, Haupt-Autorin der Studie. «Mit unserer Übersichtsstudie, die wir gemeinsam mit Forschenden aus Norwegen, Kanada und den Niederlanden verfasst haben, zeigen wir, dass dieses Bild nicht mehr der Realität entspricht. Denn nicht nur der Klimawandel schlägt in den nördlichen Breiten besonders hart zu, auch die Plastikflut hat den Arktischen Ozean schon längst erreicht. Und unsere Forschungsergebnisse zeigen sogar, dass die Verschmutzung immer noch ansteigt.»

Dr. Melanie Bergmann arbeitet am Alfred-Wegener-Institut und ist Expertin für Plastikmüll in der Arktis. Foto: Esther Horvath/AWI

Quellen und Transportwege von Plastik in der Arktis

Die Frage nach der Herkunft des Plastiks in der Arktis ist, wie in vielen anderen Teilen der Erde auch, alles andere als schnell beantwortet, denn es gibt nicht die ein oder zwei Quellen, von denen die Plastikverschmutzung ausgeht. In der Studie unterscheiden die Autorinnen und Autoren zwischen lokalen und weit entfernten Quellen. 

Plastik stammt aus zahlreichen Quellen und gelangt auf unterschiedlichen Wegen in die Arktis. In den Boxen ist die Anzahl der in Studien gefundenen Partikel angegeben. Violett — Mikroplastik, grün — größeres Plastik. Grafik: Bergmann et al. 2022

Zu den wichtigsten lokalen Quellen zählen zum einen Siedlungen in der Arktis, in denen der anfallende Müll häufig auf offenen Deponien gesammelt und das Abwasser gar nicht oder nicht ausreichend behandelt wird. Andererseits tragen die Schifffahrt, vor allem die Fischerei, einen enormen Anteil zur Plastikverschmutzung in der Arktis bei. Besonders problematisch sind Netze und Leinen, die versehentlich verloren gehen oder absichtlich im Ozean entsorgt werden. Zudem werden kleine Fragmente, die beim Reparieren der Netze anfallen, oft einfach über Bord geworfen. Der Großteil der Plastikmülls in der europäischen Arktis stammt daher aus der Fischerei: Eine frühere AWI-Studie ermittelte  an einem Strand auf Spitzbergen einen Anteil von bis zu einhundert Prozent am gesamten angespülten Plastikmüll.

Von weiter entfernten Quellen wird Plastik über Meeresströmungen aus dem Atlantik, der Nordsee und in geringerem Maße aus dem Pazifik in den Arktischen Ozean transportiert.  Flüsse, darunter die sibirischen, tragen ebenfalls große Mengen Plastik vom Kontinent in die marinen Lebensräume ein. Mikroplastik, das sie mitbringen, friert im Winter im Meereis mit ein und wenn im Frühjahr das Eis aufbricht, wird es mit den Eisschollen über die Transpolare Strömung in die Framstraße zwischen Svalbard und Grönland transportiert. Im Sommer schmilzt das Eis und entlässt die Plastikpartikel ins Meerwasser. Kein Wunder, dass der Meeresboden der Framstraße zwischen etwa 6.600 und 13.300 Mikroplastikpartikel pro Kilogramm Sediment enthält.
Kleine und leichte Partikel wie Mikro- und Nanoplastik aus Reifenabrieb oder Zigarettenfiltern werden auch in der Atmosphäre in den hohen Norden getragen, wo sie sich auf Schnee und Eis absetzen oder direkt ins Wasser gelangen.

Ein Mikroplastiknetz, das an einem Katamaran befestigt ist, sammelt Proben an der Wasseroberfläche. Foto: Esther Horvath/AWI

Die ökologischen Auswirkungen

«Zu den Auswirkungen der Plastikflut speziell auf die arktischen Meeresorganismen existieren leider nur vergleichsweise wenige Studien», erklärt Melanie Bergmann. «Viel spricht jedoch dafür, dass die Folgen ähnlich gravierend sind wie in besser untersuchten Regionen: Auch in der Arktis verheddern sich viele Tiere – Eisbären, Robben, Rentiere und Meeresvögel – im Plastik und sterben. Auch in der Arktis führt gefressenes Mikroplastik wahrscheinlich zu verringertem Wachstum und verringerter Fortpflanzung, zu physiologischem Stress und Entzündungsreaktionen im Gewebe von Meerestieren und durchfließt die Adern der Menschen.»


Auch in der Tiefsee stößt man auf Plastik wie hier im HAUSGARTEN, dem Tiefsee-Observatorium des AWI. Foto: Dr. Melanie Bergmann

Am besten untersucht sind Seevögel und es ist schon lange bekannt, dass sie Plastik aufnehmen. Die Vögel, die ihre Nahrung an der Meeresoberfläche suchen, wie beispielsweise Eissturmvögel (Fulmarus glacialis), nehmen besonders viel Plastik und Mikroplastik auf. Auch in Meeressäugern wie Pottwalen, Belugas, Grönlandwalen und verschiedenen Robbenarten wurde sowohl Makro- als auch Mikroplastik gefunden.

Nicht nur die Plastikteile selbst sind gefährlich für die Tiere, indem sie deren Verdauungstrakt blockieren oder verletzen können, sondern auch die Schadstoffe, die am Plastik haften und im Körper der Tiere abgegeben werden. Dazu zählen Additive, die den Kunststoffen zugesetzt werden (z.B. Weichmacher) und persistente organische Schadstoffe wie Pestizide, Lösungsmittel, Medikamentenrückstände und andere industrielle Chemikalien. Jeder dieser Stoffe für sich hat das Potential in den Hormonhaushalt und/oder in die Frühentwicklung der Tiere einzugreifen und/oder genetische Veränderungen hervorzurufen. Ein Cocktail aus diesen Schadstoffen ist entsprechend noch gefährlicher.

Plastikverschmutzung und Klimawandel

Bisher gibt es kaum Studien über Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte zwischen Plastikmüll und Klimawandel. Melanie Bergmann sieht hier daher dringenden Forschungsbedarf, «denn erste Studien liefern Indizien dafür, dass eingeschlossenes Mikroplastik die Eigenschaften von Meereis und Schnee verändert.» Viele dunkle Partikel im Eis (z.B. aus Reifenabrieb) könnten dazu führen, dass es mehr Sonnenlicht absorbiert und dadurch schneller schmilzt. Und weniger Eis bedeutet, dass weniger Sonnenstrahlung reflektiert und dafür mehr vom Ozean absorbiert wird, was die globale Erwärmung verstärkt (Eis-Albedo-Rückkopplung). 


AWI-Wissenschaftlerinnen nehmen Schneeproben auf dem Meereis, der sogar hier Mikroplastik enthält. Foto: Mine Tekman/AWI 

Zudem fungieren die winzigen Plastikteile als Kondensationkeime für die Wolkenbildung und Regen, womit sie das Wetter und langfristig das Klima beeinflussen. Nicht zu vergessen sind die Emissionen, die Plastik im Verlauf seines gesamten Lebenszyklus von der Ölförderung über den Transport, die Raffinierung, die Herstellung  bis zur Entsorgung bzw. zum Zerfall in der Umwelt, wobei klimawirksame Gase entweichen, verursacht. Zum globalen Treibhausgasausstoß trägt Plastik derzeit 4,5 Prozent bei. 

«Unsere Studie zeigt, dass die Plastikverschmutzung in der Arktis bereits ähnlich hoch ist, wie in anderen Regionen der Welt. Das passt zu Modellrechnungen, die in der Arktis eine weitere Anreicherungszone prognostiziert haben», erklärt Melanie Bergmann. «Die Folgen sind hier aber vielleicht sogar noch ernster. Denn die Arktis erhitzt sich im Zuge des Klimawandels drei Mal schneller als der Rest der Welt. Die Plastikflut trifft also auf Ökosysteme, die ohnehin schon extrem belastet sind. Die im Februar auf der UN-Umweltkonferenz beschlossene Resolution für ein globales Plastikmüll-Abkommen ist ein wichtiger erster Schritt. Bei den Verhandlungen in den nächsten zwei Jahren müssen wirksame, rechtsverbindliche Maßnahmen festgeschrieben werden, die auch Minderungsziele in der Plastikproduktion beinhalten. Dabei ist Deutschland ebenso in der Pflicht, bezüglich der globalen Verbreitung sein Plastikaufkommen zu verringern, wie die reichen Arktis-Anrainerstaaten, die den Eintrag aus lokalen Quellen mindern und zum Beispiel das oft kaum vorhandene Müll- und Abwassermanagement ihrer Siedlungen verbessern müssen. Zudem sollten auch die internationale Schifffahrt in Bezug auf Müll und die Fischerei in Bezug auf die Fischernetze stärker reguliert und kontrolliert werden.»

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Melanie Bergmann, France Collard, Joan Fabres, Geir W. Gabrielsen, Jennifer F. Provencher, Chelsea M. Rochman, Erik van Sebille, Mine B. Tekman: Plastic pollution in the Arctic. Nature Reviews Earth & Environment (2022). DOI: 10.1038/s43017-022-00279-8

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