Grönlandhaie — Alles andere als gefräßig | Polarjournal
Trotz des Namens kommen Grönlandhaie nicht nur um Grönland herum vor. Sie leben  im Arktischen Ozean, in der Baffin-Bucht, im St.-Lorenz-Golf und wurden sogar schon am 32. nördlichen Breitengrad im Atlantik gesehen. Foto: Hemming1952 via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Grönlandhaie, auch Eishaie, (Somniosus microcephalus) durchstreifen den Nordatlantik und die Arktis und sind ziemlich gut darin, sich Wissenschaftlern zu entziehen. Entsprechend wenig ist über sie bekannt. Einem internationalen Team von Wissenschaftlern ist es in einer aktuellen Studie dennoch gelungen, die Langsamschwimmer genauer zu erforschen. Sie fanden heraus, dass Grönlandhaie nur sehr wenig Nahrung benötigen.

Die zur Familie der Schlafhaie (Somniosidae) gehörenden Grönlandhaie sind die am längsten lebenden Wirbeltiere — frühere Studien gehen davon aus, dass die Tiere mindestens 272 Jahre alt werden können, möglicherweise sogar bis zu 500 Jahre. Die Geschlechtsreife erreichen sie vermutlich erst mit etwa 150 Jahren. Sie werden bis zu sieben Meter lang und ernähren sich von so ziemlich allem, was ihnen vors Maul kommt: von Fischen, Meeressäugern, Krebstieren, Oktopoden, Tintenfischen, Quallen, Seesternen, Seeigeln und anderen. Wissenschaftler des St. Lawrence Shark Observatory gehen davon aus, dass sich Grönlandhaie hauptsächlich von Aas ernähren. Ihr Lebensraum erstreckt sich von der Wasseroberfläche bis in die Tiefsee.

In der aktuellen Studie, die in der Fachzeitschrift Journal of Experimental Biology erschien, konzentrierten sich die Forscher vor allem auf die Menge und die Zusammensetzung der Nahrung von Grönlandhaien. Obwohl es nicht einfach ist, die Tiere aufzuspüren, ist es ihnen gelungen, 30 Haie über einen Zeitraum von fünf Jahren mit verschiedenen Sensoren und Satellitensendern auszustatten. Bei der Auswertung der Daten entdeckten sie erstaunliches: ein durchschnittlich großer Grönlandhai mit einem Gewicht von 224 Kilogramm benötigt nur zwischen 61 und 193 Gramm Beute (Fisch oder Meeressäuger) täglich, was bedeutet, dass die Stoffwechselrate der Tiere sehr niedrig ist.

«Als lethargische polare Spezies deuten diese niedrigen Schätzungen der Stoffwechselrate und des entsprechenden Beutebedarfs darauf hin, dass Grönlandhaie unter natürlichen Bedingungen sehr wenig Energie benötigen, um sich zu ernähren», so Eric Ste-Marie, Biologe an der University of Windsor, Kanada, und seine Kollegen in ihrer Studie. Sie vermuten, dass die langsame Stoffwechselrate der Grönlandhaie der Schlüssel zum Verständnis der außergewöhnlich langen Lebensspanne dieser Tiere sein könnte. 

Wissenschaftlern des St. Lawrence Shark Observatory ist es gelungen, Grönlandhaie bei Tauchgängen aufzunehmen. Die Tiere sind mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von etwa 30 Zentimetern pro Sekunde extrem langsame Schwimmer und sparen dabei Energie. Video: Jeffrey Gallant

Dank der genauen Untersuchung der langsamen Lebensweise der Haie konnten die Autoren erstmals den Energiehaushalt und die Rolle der gefährdeten Haie als Konsumenten in freier Wildbahn charakterisieren. «Dies ist angesichts des wachsenden Drucks durch den Klimawandel und die expandierende kommerzielle Fischerei in der Arktis von entscheidender Bedeutung», betonen die Forscher. Mit dem neuen Wissen können die Wissenschaftler vorhersagen, wie die Tiere voraussichtlich mit dem Klimawandel und der einhergehenden Nahrungsknappheit umgehen werden. 

Grönlandhaie gelten laut der Roten Liste der IUCN als «Potentiell gefährdet», wobei jedoch nicht bekannt ist, wieviele der Tiere im Nordatlantik und in arktischen Gewässern leben.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Eric Ste-Marie, Yuuki Y. Watanabe, Jayson M. Semmens et al.; Life in the slow lane: field metabolic rate and prey consumption rate of the Greenland shark (Somniosus microcephalus) modelled using archival biologgers. J Exp Biol 1 April 2022; 225 (7): jeb242994. doi: https://doi.org/10.1242/jeb.242994

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