Nehmen antarktische Fische Mikroplastik auf? | Polarjournal
Im Meereis und am Meeresboden in der Antarktis wurde bereits Mikroplastik nachgewiesen. Ob dieser antarktische Fisch — Triperophycis gilchristi (engl. Grenadier cod) — die kleinen Partikel aufgenommen hat, werden die beiden Schweizer Wissenschaftler herausfinden. Foto: Kevin Leuenberger

Zwei junge Wissenschaftler von der Universität Basel sind derzeit auf dem deutschen Forschungseisbrecher «Polarstern» im Weddellmeer in der Antarktis unterwegs, unter anderem um den Verdauungstrakt antarktischer Fische und Wirbellose genau unter die Lupe zu nehmen. Sie sind auf der Suche nach etwas, das man sich im Grunde nicht wünschen kann zu finden: Mikroplastik. 

An Bord der aktuellen «Polarstern»-Expedition untersuchen Dr. Gabriel Erni Cassola, Ökologe und Experte für Mikroplastik an der Universität Basel, und der Masterstudent Kevin Leuenberger verschiedene Aspekte zu Mikroplastik im Südpolarmeer. Während sich Leuenberger vor allem auf die Frage konzentriert, ob pelagische (in der Wassersäule lebende) und benthische (am Meeresboden lebende) Tiere Mikroplastik aufnehmen, beschäftigt sich Dr. Cassola zudem mit der Besiedlung von Mikroplastikpartikeln durch Mikroorganismen. Beide Forscher arbeiten im Programm Mensch-Gesellschaft-Umwelt (MGU) der Universität Basel, das sich mittels inter- und transdisziplinärem Ansatz auf verschiedene Aspekte der nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen konzentriert. 

Kevin Leuenberger (links) und Dr. Gabriel Erni Cassola (rechts) sind seit Anfang März auf der «Polarstern», um das Vorkommen von Mikroplastik im Südpolarmeer und in antarktischen Tieren zu erforschen. Foto: swissinfo

Seit dem Start der Expedition am 3. März in Kapstadt, Südafrika, teilen die zwei Mikroplastikforscher Einblicke in ihre Arbeit an Bord in einem Blog, der auf der mehrsprachigen schweizerischen Informationsplattform swissinfo.ch verfügbar ist. Die Forschung über Mikroplastik im Südpolarmeer interessiert die beiden vor allem deshalb, weil die Antarktis und die angrenzenden Meere wegen des Antarktischen Zirkumpolarstroms als relativ abgeschnitten von der restlichen Welt gelten. 

Fische fangen und sezieren

Eines ihrer Ziele während der Expedition ist, mehr über das Vorkommen von Mikroplastik in oberflächennahen Wasserschichten des Südlichen Ozeans zu erfahren. Um abschätzen zu können, wie sehr antarktische Meerestiere mit Mikroplastik belastet sind, sammeln sie Magen- und Darm-Proben von Fischen und Wirbellosen aus verschiedenen Meerestiefen. 

Die Fische werden mit unterschiedlichen Geräten gefangen. Es kommen beispielsweise Langleinen, hier im Bild das Aussetzen einer Langleine, und Bodenfallen zum Einsatz. Foto: Kevin Leuenberger

Die Route führte sie bisher von Kapstadt aus den Nullmeridian entlang in Richtung Süden zur Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts, bevor sich die «Polarstern» nach Westen orientierte und seitdem in einem Zickzack-Kurs das eisbedeckte Weddellmeer durchfährt. An vorher festgelegten Probennahmestationen lässt das EWOS I – Team (Eastern Weddell Sea Observation System I), zu dem Dr. Cassola und Leuenberger gehören, die diversen Fanggeräte zu Wasser, mit denen sie Fische und andere Tiere vom Meeresboden in bis zu 1000 Meter Tiefe und aus der Wassersäule fangen. 

Die Probennahme gestaltet sich angesichts des nahenden Winters zuweilen schwierig, da sich im Untersuchungsgebiet bereits Meereis bildet und das Ausbringen und Einholen der Langleinen behindert. Dennoch war das Team bisher sehr erfolgreich und konnte diverse Fische fangen, vor allem bodenbewohnende Arten, wie Aalmuttern, Triperophycis gilchristi (engl. Grenadier cod) und verschiedene Vertreter der Unterordnung Notothenioidei (Antarktisfische).

Dr. Cassola und Leuenberger sezieren die gefangenen Tiere, um den Verdauungstrakt zu entfernen. Andere Arbeitsgruppen nutzen dieselben Tiere, um Blut- sowie Gewebeproben von der Leber, von Muskeln, Flossen, Augen, Geschlechtsorganen und von Otholithen, kleinen Knöchelchen im Kopf der Fische, zu untersuchen.
Die Frage, ob die Tiere Mikroplastik aufgenommen haben, wird allerdings noch nicht so schnell beantwortet werden können — die Proben werden zunächst gelagert und erst später im Labor in Basel analysiert.

Jeden Fisch, den sie fangen, sezieren die beiden Forscher und entnehmen den Verdauungstrakt, um diesen auf Mikroplastik zu untersuchen. Foto: Kevin Leuenberger

(Mikro-)Plastik ist überall

An jedem Ort, an dem Wissenschaftler nach Plastik und Mikroplastik gesucht haben, sind sie fündig geworden — von den höchsten Bergen über die Polargebiete bis zu den tiefsten Tiefseegräben. Erst Anfang April erschien eine Übersichtsstudie unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, die deutlich macht, dass Plastik in allen Lebensräumen der Arktis angekommen ist. Vor allem das kleine Mikroplastik, Partikel kleiner als fünf Millimeter, ist in jeden Winkel unseres Planeten vorgedrungen — sogar bis zum antarktischen Meeresboden. Auf das noch winzigere, noch nicht so gut erforschte Nanoplastik, das kürzlich in den österreichischen Alpen nachgewiesen wurde, wird dies wohl ebenso zutreffen.

In der Wissenschaft unterscheidet man zwischen primärem Mikroplastik, das bereits als winzige Partikel in die Umwelt gelangt, und sekundärem Mikroplastik, das durch den Zerfall größerer Plastikteile in der Umwelt entsteht. Unabhängig von ihrer Entstehung können die Partikel über weite Distanzen mit dem Wind über die Atmosphäre und/oder über Flüsse in die Ozeane und dort mit den Strömungen transportiert werden. Hierbei handelt es sich keineswegs nur um Fragmente von achtlos entsorgtem Müll (z.B. von Zigarettenkippen), sondern in großem Maße auch um Textilfasern und Abrieb von Reifen und Bremsen. Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass sich in den oberen Wasserschichten der Ozeane 24,4 Billionen Mikroplastikpartikel befinden.

Eine Mikroplastikprobe aus einer dicht besiedelten Region der Erde, bestehend aus verschiedenen Fragmenten, Kunststoffpellets (runde Kügelchen), Fasern und unzähligen Styroporkügelchen. Foto: Julia Hager

All diese Partikel sind potentiell gefährlich für Tiere, wenn sie diese aufnehmen: je nach Größe des Tiers können die Teilchen den Verdauungstrakt blockieren und zudem an der Oberfläche haftende Schadstoffe im Körperinneren abgeben, die dann vom Gewebe aufgenommen werden und Krankheiten oder Hormonstörungen auslösen können. Für kleine, filtrierende Zooplanktonorganismen waren im Experiment Mikroplastikpartikel unmittelbar tödlich. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die antarktischen Fische bereits betroffen sind.

Sämtliche Plastikpartikel verbleiben für sehr lange Zeit in der Umwelt, werden immer weiter transportiert, reichern sich zusammen mit den anhaftenden Schadstoffen in der Nahrungskette an und bedrohen so auch die großen Raubtiere wie Eisbären und Orcas. Die Auswirkungen für uns Menschen sind noch immer nicht bekannt, aber die Tatsache, dass Mikroplastik sowohl im Blut als auch in der Lunge nachgewiesen wurde, lässt wenig Gutes erahnen.

Obwohl die Antarktis noch vergleichsweise unberührt und wenig beeinflusst ist vom Menschen und durch den Antarktischen Zirkumpolarstrom weitgehend abgeschnitten vom Rest der Welt, konnte auch hier Mikroplastik nachgewiesen werden. Foto: Julia Hager

Ein Ende der Plastikflut ist nicht in Sicht. Im Jahr 2020 wurden laut Plastics Europe 367 Millionen Tonnen Kunststoff produziert und die Hersteller wollen ihre Produktion weiter erhöhen. Die Menge des Plastiks in der Umwelt wird dementsprechend auch zunehmen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) rechnet damit, dass sich die Verschmutzung der Ozeane mit Plastik bis 2030 verdoppeln wird. Momentan wird angenommen, dass jährlich zwischen acht und zehn Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen landen, oder die Ladung von zwei Müllautos pro Minute. 

Nicht zuletzt befeuert Plastik wegen der immensen Emissionen während seines gesamten Lebenszyklus den Klimawandel.

Es gibt dennoch auch Grund zur Hoffnung: Anfang März einigten sich während der Umweltversammlung der Vereinten Nationen in Nairobi, Kenia, fast 200 Länder darauf, einen Vertrag auszuarbeiten, der der Plastikverschmutzung ein Ende setzten soll. Es wird gehofft, dass bis Ende 2024 eine Einigung erzielt werden kann.

Die beiden Forscher Dr. Gabriel Erni Cassola und Kevin Leuenberger werden auch für die nächste Expedition auf der «Polarstern» bleiben und weitere Proben nehmen — hoffen wir, dass sie nichts finden!

Die Forschung von Dr. Gabriel Erni Cassola und Kevin Leuenberger ist eingebettet in das überspannende Projekt «Mikroplastik im Südlichen Ozean», das ein Kooperationsprojekt mehrerer Forschungsinstitute ist. Beteiligt sind neben der Universität Basel das Alfred-Wegener-Institut, das Königlich Niederländische Institut für Meeresforschung NIOZ und die Universität Utrecht.

Julia Hager, PolarJournal

Link zum Blog: SWI swissinfo.ch Polar Blog (in englischer Sprache)

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