Buckelwale unternehmen jedes Jahr über 20’000 Kilometer lange Wanderungen in die polaren Regionen, wo die sehr agilen und eleganten Tiere den Sommer verbringen, und zurück in die Brutgebiete. Neben den langen Wanderungen sind sie auch für ihre Eleganz und Beweglichkeit bekannt, die sie unter anderem ihren ausgeprägten Brustflossen verdanken. Genau an diesen hat sich eine koreanische Firma für ihre Produkt orientiert, das in einem ganz anderen Bereich verwendet wird, nämlich in der Luft.
Was haben Buckelwale und das Fliegen miteinander zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, da die Tiere im Ozean leben und Luft nur zum Atmen benötigen. Doch betrachtet man die Schwimmweise der bis zu 30 Tonnen schweren Wale, erkennt man, dass sie ihren lateinischen Namen Megaptera zu Recht tragen. Denn mit den stark vergrösserten Brustflossen können die Tiere viel besser manövrieren als vergleichbar grosse Walarten und es scheint, als ob die Tiere unter Wasser fliegen würden. Der Vergleich ist auch nicht völlig falsch, da in Sachen Strömungsdynamik und den Anpassungen der Tiere ähnliche Faktoren eine Rolle spielen, unabhängig davon, ob in der Luft oder im Wasser. Dies machen sich auch Firmen zunutze, die Fluggeräte entwickeln und produzieren.
Die koreanische Firma Gin Gliders ist ein Hersteller von Paragleitschirmen und liess sich bei der Weiterentwicklung ihres Boomerang-11-Schirmes von den Brustflossenkanten der Buckelwale inspirieren, genauer gesagt von den Tuberkeln, die an der Kante sitzen, und an der Kantenform. Dazu meint der koreanische Experte Professor Jooha Kim vom koreanischen Ulsan Institut für Wissenschaft und Technologie: «Die Tuberkel an den Brustflossen von Buckelwalen verbessern die Leistung und die Auftriebskräfte an den hohen Angriffswinkeln. Das gibt den Walen eine unglaubliche Beweglichkeit trotz der gewaltigen Grösse.» Auch der Besitzer der Firma, Gin Seok Song, erkannte, dass dies für die Weiterentwicklung ihres Gleitschirms wichtig werden könnte. Darum gründete er mit Professor Kim die Entwicklerfirma GIN Labs und machte sich an die Umsetzung des Konzepts.
Kim und das Team bei GIN Labs erkannte bald, dass die Tuberkel die Lösung darstellen. «Tragflächen mit Tuberkeln geraten immer allmählich ins Stocken und können mit höheren Neigungswinkeln betrieben werden, was einen erhöhten Auftrieb erzeugt», erklärt er. «Die Luftwiderstandsstrafe wird erheblich reduziert und das Abriss an der Spitze kann gedämpft und sogar vollständig eliminiert werden. Diese Kombination von Leistungsmerkmalen bedeutet, dass Tuberkel-Flügel hyperstabil und sehr effizient sind.» Dazu nutzten die Entwickler und Ingenieure nicht nur Computersimulationen, sondern wollten ihre Ideen im Windkanal testen. «Wir entschieden, dass der Windkanal ein wertvolles Werkzeug sein würde, das Hunderte von Experimenten und schnelle Wiederholungen bei kleinen Modifikationen ermöglicht», sagt Professor Kim. Nachdem ein gutes Modell entwickelt worden war, baute das Team echte Gleitschirme als Prototypen und diese zeigten, dass sie besonders im Verhältnis zwischen Flügelstabilität und der Senkrate beim Aufstieg viel bessere Leistungen aufwiesen. «Wie entschieden, die neue Technologie «Wave Leading Edge» zu nennen», erklärt Firmenbesitzer Gin Seok Song stolz. «Denn sie ist inspiriert durch das Meeresleben und weist ein sinusoidales Aussehen auf.
Insgesamt 1.5 Jahre dauerte die Entwicklung der neuen Technologie und nach der Zertifizierung konnte man auch klare Erfolge vorweisen. An mehreren Paragleiter-Weltcuprennen bewies die neue Entwicklung ihre verbesserte Leistungsfähigkeit. «Wir sind wirklich aufgeregt über die Zukunft der «Wave Leading Edge»», sagt Gin Seok Song. Manchmal zahlt es sich eben aus, den Blick über die Kante hinaus zu richten. Und für Buckelwale zeigt sich, dass ihr evolutives Erfolgsrezept sie in die Himmel erhebt, ohne aber ihren ozeanischen Lebensraum verlassen zu müssen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal