Vogelpopulationen erleben weltweit massive Verluste | Polarjournal
Der Löffelstrandläufer ist ein Zugvogel, der in Tschukotka und auf Kamtschatka brütet. Mit nur noch ca. 250 erwachsenen Tieren ist er unmittelbar vom Aussterben bedroht. Foto: Alexander Lees

Wir befinden uns mitten im sechsten Massenaussterben — da sind sich Wissenschaftler angesichts des rasanten Verlusts von Tier- und Pflanzenarten einig. Vor allem die  Zerstörung von Lebensräumen, der Klimawandel, Verschmutzung, die (illegale) Jagd und Fischerei, die Ausbreitung von Krankheiten und invasive Arten werden hierfür verantwortlich gemacht. Vögel sind besonders stark betroffen: Für knapp die Hälfte aller Vogelarten bedeuten diese Bedrohungen einen teils dramatischen Populationsrückgang wie eine umfassende internationale Studie über den Status der Vögel weltweit ergeben hat. 

Die Autoren der Übersichtsstudie, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von mehreren Institutionen, untersuchten die Veränderungen in der biologischen Vielfalt der Vögel anhand von Daten der „Roten Liste“ der International Union for Conservation of Nature (IUCN), um Populationsveränderungen bei den weltweit 11.000 Vogelarten aufzuzeigen. Ihre Ergebnisse sind mehr als erschreckend. Die Autoren der Studie, die in der Fachzeitschrift Annual Review of Environment and Resources veröffentlicht wurde, fanden heraus, dass bei etwa 48 Prozent der Vogelarten ein Rückgang der Populationen bekannt ist oder zu vermuten sei. Bei 39 Prozent der Arten sind die Bestände stabil, bei nur sechs Prozent wachsen die Populationen. Der Status der verbleibenden Arten ist unbekannt.

«Wir erleben jetzt die ersten Anzeichen einer neuen Welle des Aussterbens von kontinental verbreiteten Vogelarten», sagt der Hauptautor Alexander Lees, Dozent an der Manchester Metropolitan University, Großbritannien, und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Cornell Lab of Ornithology in Ithaca, New York. «Die Vogelvielfalt erreicht in den Tropen ihren Höhepunkt, und dort finden wir auch die meisten bedrohten Arten.»

Diese weltweite Studie spiegelt damit die Ergebnisse einer früheren Untersuchung aus dem Jahr 2019 wider, bei der festgestellt wurde, dass in den letzten 50 Jahren in den USA und Kanada fast drei Milliarden Brutvögel verloren gegangen sind.

«Nachdem wir den Verlust von fast 3 Milliarden Vögeln allein in Nordamerika dokumentiert hatten, war es erschreckend zu sehen, dass die gleichen Muster des Populationsrückgangs und des Aussterbens weltweit zu beobachten sind», sagt Co-Autor und Naturwissenschaftler Ken Rosenberg vom Cornell Lab, der inzwischen im Ruhestand ist. «Da Vögel sehr sichtbare und empfindliche Indikatoren für die Gesundheit der Umwelt sind, wissen wir, dass ihr Verlust ein Zeichen für einen viel größeren Verlust an biologischer Vielfalt und eine Bedrohung für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen ist.»

Die Studie führt auch die Bedrohungen für die subantarktischen Felsenpinguine (Eudyptes chrysocome) auf: Krankheiten, Lebensraumverschiebung, Temperaturextreme, Ölverschmutzung und Probleme mit anderen einheimischen Arten. Grafik: Lees et al. 2022

Als Hauptursachen für den Rückgang vieler Vogelpopulationen machen die Autoren verschiedene Faktoren verantwortlich:

  • Bevölkerungswachstum mit einhergehender Landnutzung
  • Lebensraumfragmentierung und -zerstörung
  • Jagd und Fallenstellerei
  • invasive Arten
  • Ausbreitung von Krankheiten
  • steigender Bedarf an «grüner» Energie, insbesondere Windkraftanlagen
  • Verschmutzung mit Öl, Plastik, Schadstoffen, Dünger, Pestiziden, Medikamenten
  • Klimawandel
  • globale Handelsbeziehungen, v.a. bei Fleisch, Holz, Ölsaaten

Die Auswirkungen des Klimawandels sind bei Zugvogelarten, die in der Arktis brüten, besonders stark ausgeprägt. Europäische Langstreckenzieher müssen in Zukunft wohl längere Wanderungen unternehmen und somit zusätzliche Zwischenstopps einlegen. Zudem könnte es Zugvögeln nicht mehr gelingen, ihre Ankunft in den Brutgebieten und den Beginn der Fortpflanzung mit der Verfügbarkeit von Ressourcen zu koordinieren. Kommen sie früher aus den Überwinterungsgebieten zurück, könnte das Wetter während der früheren Brutphase ungünstig sein und zu einer höheren Sterblichkeit führen. 

Eine Zugvogelart ist unmittelbar vom Aussterben bedroht: der Löffelstrandläufer (Calidris pygmeus). Die «Spoonies», wie Löffelstrandläufer im Englischen liebevoll genannt werden (von Spoon-billed Sandpiper), brüten nur an der Küste der Tschuktschen-Halbinsel und der Ostküste von Kamtschatka. Den Winter verbringen sie in Bangladesch, Thailand, Myanmar, Vietnam und Süd-China. BirdLife International beschreibt sehr detailliert, welchen Bedrohungen Löffelstrandläufer praktisch während ihres gesamten Lebens ausgesetzt sind: In ihren Brutgebieten leiden sie unter Lebensraumzerstörung, Raubtieren, Jägern, schlechtem Wetter und dem Klimawandel, was einen geringen Bruterfolg nach sich zieht. Auf ihrer Reise in Richtung Süden sterben unzählige Tiere, weil sie noch immer gefangen werden oder an Erschöpfung, da sie an ihren Rastplätzen wegen des Lebensraumverlusts nicht mehr ausreichend Nahrung finden. Die Experten von BirdLife International befürchten, dass es insgesamt nur noch etwa 250 erwachsene Löffelstrandläufer gibt.

Schwarzbrauen-Albatrosse sind besonders durch die Langleinen-Fischerei gefährdet. Die Umsetzung spezifischer Maßnahmen in Südafrika konnte den Beifang um bis zu 99 Prozent reduzieren. Foto: Julia Hager

Es gibt allerdings auch gute Nachrichten. Schutzmaßnahmen, insbesondere die Einrichtung von Schutzgebieten, haben bereits vielen Arten geholfen, den negativen Trend in ein Wachstum der Populationen umzukehren. Dazu gehört auch der Schwarzbrauen-Albatros (Thalassarche melanophris), der u.a. auf den Falklandinseln und auf Südgeorgien brütet. Nachdem Südafrika, vor dessen Küste ein Teil der Schwarzbrauen-Albatrosse den Winter verbringt, Maßnahmen einführte, die den Beifang in der Fischerei reduzieren, hat sich der Populationsrückgang stabilisiert.

«Das Schicksal von Vogelpopulationen hängt stark vom Stopp des Verlusts und der Schädigung von Lebensräumen ab», sagt Lees. «Das wird oft durch die Nachfrage nach Ressourcen angetrieben. Wir müssen besser berücksichtigen, wie Warenströme zum Verlust der biologischen Vielfalt beitragen können, und versuchen, den menschlichen Fußabdruck auf die Natur zu verringern.»

Die Autoren sind hoffnungsvoll, dass die Schutzbemühungen die Situation vieler Vogelarten verbessern kann, jedoch nicht ohne einen grundlegenden Wandel. «Glücklicherweise verfügt das globale Netzwerk von Vogelschutzorganisationen, die an dieser Studie teilgenommen haben, über die Mittel, um den weiteren Verlust von Vogelarten und -beständen zu verhindern», fügt Rosenberg hinzu. «Vom Schutz von Lebensräumen bis hin zu politischen Maßnahmen, die eine nachhaltige Ressourcennutzung unterstützen, hängt alles vom Willen der Regierungen und der Gesellschaft ab, Seite an Seite mit der Natur auf unserem gemeinsamen Planeten zu leben.»

Zum Schutz der Vögel kann jeder beitragen, betonen die Autoren. Dank einfach zu bedienender Apps (z.B. eBird vom Cornell Lab) können Vogelbeobachter, ihre Sichtungen melden und somit die Datenbank füllen, mit der die Wissenschaftler Verbreitungsatlanten und Bestandsmodelle erstellen, auf deren Basis wiederum Schutzmaßnahmen entwickelt werden.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Alexander C. Lees, Lucy Haskell, Tris Allinson et al. State of the World’s Birds. Annual Review of Environment and Resources. May 2022. https://doi.org/10.1146/annurev-environ-112420-014642

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