Die Antarktis birgt noch immer viele Rätsel: Wie hat sie vor ihrer Vereisung ausgesehen? Wie haben sich Klimaveränderungen im Laufe ihrer Geschichte auf sie ausgewirkt? Wie könnten ihre Eisschilde auf die globale Erwärmung reagieren? Ein internationales Wissenschaftlerteam, das unter dem Ostantarktischen Eisschild einen See entdeckte, ist deren Entschlüsselung in einer aktuellen Studie möglicherweise wieder ein Stück näher gekommen. Dessen Sedimente könnten die Geschichte des größten Eisschildes der Welt seit seinen frühesten Anfängen beherbergen. Ihre Entdeckung haben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Geology veröffentlicht.
«Lake Snow Eagle», oder zu deutsch der «Schneeadlersee», liegt im Hochland des ostantarktischen Prinzessin-Elisabeth-Landes in einem kilometerlangen Canyon nur wenige hundert Kilometer von der Küste entfernt. Obwohl der See von einer drei Kilometer dicken Eisschicht bedeckt ist, waren auf Satellitenbildern erste Hinweise auf seine Existenz in Form einer glatten Vertiefung zu erkennen.
Um die Vermutung zu bestätigen, verbrachten die Forscher über drei Jahre hinweg viel Zeit in einem Forschungsflugzeug, mit dem sie immer wieder über die Stelle flogen und Messungen mit dem Eisradar und verschiedenen Sensoren durchführten, die kleinste Veränderungen der Erdanziehungskraft und des Magnetfeldes registrieren können.
«Dieser See enthält wahrscheinlich Aufzeichnungen über die gesamte Geschichte des Ostantarktischen Eisschildes, seine Entstehung vor mehr als 34 Millionen Jahren sowie sein Wachstum und seine Entwicklung über die verschiedenen Gletscherzyklen hinweg», sagte der Polarexperte Don Blankenship, einer der Autoren der Studie und leitender Wissenschaftler am Institut für Geophysik der University of Texas in Austin (UTIG). «Unsere Beobachtungen deuten auch darauf hin, dass sich das Eisschild vor etwa 10.000 Jahren erheblich verändert hat, wobei wir nicht wissen, warum.»
Lake Snow Eagle ist etwa 42 Kilometer lang und 15 Kilometer breit, seine Fläche entspricht mit 370 Quadratkilometern der des Gardasees. Seine maximale Tiefe beträgt über 200 Meter. Er liegt nicht allzu weit entfernt von der Küste und die Autoren vermuten daher, dass der See Aufschluss darüber geben könnte, wie das Ostantarktische Eisschild entstand und welche Rolle der Antarktische Zirkumpolarstrom spielt. Informationen über die Geschichte des Eisschilds erhoffen sich die Wissenschaftler von den mehr als 300 Meter dicken Sedimenten auf dem Grund des Sees. Diese könnten Flusssedimente enthalten, die älter sind als das Inlandeis selbst.
Mithilfe von Radarmessungen lassen sich subglaziale Seen leicht identifizieren, da Wasser im Gegensatz zu Eis die Radarwellen wie ein Spiegel reflektiert. «Ich bin buchstäblich aufgesprungen, als ich zum ersten Mal diese helle Radarreflexion sah», sagt Shuai Yan, Doktorand an der Jackson School of Geosciences der UT Austin und Hauptautor der Studie. In Kombination mit den Schwerkraft- und Magnetfeldmessungen erstellte Yan ein detailliertes Bild des Lake Snow Eagle, der eingebettet ist in einer zerklüfteten Hochlandtopographie.
Nun müssen «nur» noch Proben der Seesedimente durch eine Bohrung entnommen werden, um Wissenslücken über die Vergletscherung der Antarktis schließen zu können. Zudem könnten sie wichtige Informationen über den möglichen Verlust des Eisschilds aufgrund des Klimawandels liefern.
«Dieser See hat über einen sehr langen Zeitraum Sedimente angesammelt, die uns möglicherweise durch die Zeit führen, in der die Antarktis überhaupt kein Eis hatte, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie einfror», sagt Martin Siegert, Glaziologe am Imperial College London und Co-Autor der Studie. «Wir haben keine einzige Aufzeichnung all dieser Ereignisse an einem Ort, aber die Sedimente am Boden dieses Sees könnten ideal sein.»
Julia Hager, PolarJournal