Svalbards Eisbären sind gesund und brauchen doch Schutz | Polarjournal
Eine Eisbärenmutter mit ihren zwei Jungen auf dem Packeis bei Svalbard ist ein schönes Bild. Doch die norwegischen Behörden und die Experten des Polarinstituts befürchten, dass dieser Anblick durch den Packeisverlust und die Störung durch Touristen immer seltener werden. Bild: Michael Wenger

Svalbard ist für viele Menschen der Inbegriff der Eisbärenheimat. Denn der Archipel scheint alles zu bieten, was das grosse Raubtier benötigt, um zu gedeihen. Das norwegische Polarinstitut untersucht seit Jahrzehnten die Population der Eisbären jeden Frühling, um eine Art Gesundheitscheck durchzuführen und auch genetische Informationen über die Tiere zu erhalten. Auch in diesem Jahr wurden wieder Checks vorgenommen. Gleichzeitig blicken Experten und Behörden besorgt auf den König der Arktis.

Eine positive Nachricht gleich vorweg: Die Eisbären rund um den norwegisch verwalteten Svalbard-Archipel scheint es gesundheitlich sehr gut zu gehen. Zu diesem Resultat kommen die Forscherinnen und Forscher des norwegischen Polarinstituts, nachdem sie 50 Eisbären in diesem April untersucht hatten. Scheinbar finden die Tiere genügend Nahrung auf und um die Inseln herum und auch die Jungtiere, die eben erst mit ihren Müttern aus den Schneehöhlen gekrochen waren, scheinen in gutem Zustand zu sein.

Auch wenn einige Eisbären während des Sommers den Gang auf das sich zurückziehende Packeis mit seinen Robben verpasst haben, finden die schlauen Jäger immer wieder Nahrung. Beispielsweise bieten die Nester von Eiderenten und anderen Vögeln eine willkommene Proteinquelle. Bild: Michael Wenger

Die Eisbären werden regelmässig im Frühjahr von Experten des NPI (Norske Polarinstitutt) rund um Svalbard gesucht, betäubt und danach vermessen. Ausserdem werden die Zähne untersucht und Blut- und Gewebeproben entnommen, um neben dem Gesundheitszustand auch einen Überblick über die Genetik der Barentspopulation, zu denen die Svalbard-Eisbären gehört, zu erhalten. Entgegen dem Mythos, dass auf Svalbard 3’000 und mehr Eisbären leben würden, geht man davon aus, dass rund 300 Tiere rund um den Archipel zuhause sind. Der Rest treibt sich in den östlichen Regionen, das heisst auf der russischen Seite der Region, herum. Daher sind die Forscherinnen und Forscher sehr zuversichtlich, dass ihre Aussage über den positiven Gesundheitszustand der untersuchten 50 Tiere repräsentativ für die restlichen Tiere auf Svalbard sein dürfte.

Der Instagram-Beitrag zeigt, wie ein Team des norwegischen Polarinstituts eine betäubte Eisbärin, die zwei Jungtiere bei sich hat, untersuchen. Im Rahmen der Checks werden die Tiere vermessen und Blut- und Gewebeproben entnommen. Danach werden sie wieder in Ruhe gelassen. Doch die Untersuchungen sind nicht ohne Risiko. Beitrag: Instagram

Obwohl diese Gesundheitschecks einen wichtigen Einblick in den Zustand der Population bieten, sind sie in den vergangenen Jahren immer wieder teilweise stark von Umwelt- und Tierschützern kritisiert worden. Vor allem das Aufspüren und Betäuben von Hubschraubern aus wird regelmässig als gefährlich für die Tiere bezeichnet, da in der Vergangenheit immer wieder Eisbären bei der Prozedur umgekommen sind. Wenn es sich dabei noch um Weibchen handelte, die mit ihren Jungen unterwegs gewesen sind, war der Schaden nach Angaben der Tierschützer riesig. Denn damit verlor der Genpool nicht nur das erwachsene Tier, sondern auch die Jungtiere, da sie in menschliche Obhut genommen werden müssen und so ebenfalls keinen Beitrag mehr zur Population leisten können. Die Experten des NPI weisen die Kritik immer wieder zurück und verweisen auf die Tatsache, dass zum einen die Tiere mit grösster Sorgfalt behandelt werden und man auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen könne. Zum anderen sind die Daten sehr wichtig, da sie helfen, das Bild über die Eisbären in der Region zu vervollständigen und bessere Schutzmassnahmen erstellen zu können.

Die Eisbären in der Barentsregion wurden in der Vergangenheit von norwegischen und russischen Forschungsteam untersucht, da der Grossteil der Population eher in den östlichen Gebieten der Region vorkommt. Die gegenwärtige politische Situation macht aber eine Zusammenarbeit praktisch unmöglich. Bild: Michael Wenger

Schutzmassnahmen braucht der König der Arktis nach Meinung der Experten des NPI und auch der Behörden von Svalbard vor allem vor dem steigenden Einfluss des Klimawandels und der steigenden Zahl der Touristen. Gegenüber norwegischen Medien erklärt Jon Aars, Eisbärenexperte am NPI, dass die Tiere durch das schwindende Packeis immer seltener ihre bisherigen Geburtsgebiete aufsuchen. Inseln wie Hopen und Kongsøya im Süden resp. Im Südosten des Archipels waren bisher traditionelle Orte für Eisbärenhöhlen. «In manchen Jahren gibt es kaum noch Tiere, die dort in die Höhlen gehen», sagt Aars. «Das verdeutlicht das Problem.» Dafür, so glauben die Experten, werden die Tiere weiter nach Osten in Richtung Russland ziehen, da dort die Eisbedingungen noch etwas besser sind. Doch auch das dürfte nur ein temporärer Zustand sein, denn einige Teile der Nordmeerregion sind bereits von starken Erwärmungen betroffen und das Packeis schmilzt früher, schneller und kommt erst später, wenn überhaupt. Auch der Weg nach Norden biete nicht die optimalen Bedingungen, da dort für die Nahrung für Robben auch geringer wird, was wiederum die Eisbären negativ beeinflusst.

Die Behörden auf Svalbard und die Regierung in Oslo wollen mit neuen Bestimmungen und Gesetzen auf Svalbard Teile des Archipels für die Menschen, Einheimische und Gäste schliessen oder stärker regulieren und so die Eisbären schützen. Der Konflikt mit den Tourismusvertretern ist vorprogrammiert. Bild: Michael Wenger

Eine weitere Bedrohung stellen nach den Vorstellungen der Experten des NPI und der Behörden die steigenden Touristenzahlen auf Svalbard dar. Mehr Lärm und mehr Störungen durch die Schiffe und Schneemobile sei das grösste Problem, ist man sich in den Experten und Behörden bzw. Regierungskreisen sicher. Deswegen wurde eine Verschärfung des Umweltschutzgesetzes und der «Field Safety Regulation» in die Vernehmlassung geschickt und der Bevölkerung Svalbards zur Begutachtung und Kommentierung vorgelegt. Einige Massnahmen wurden bereits umgesetzt und bestimmte Regionen, die zuvor von Touristen und Einheimischen wegen ihres Naturerlebnisses besucht worden waren, geschlossen. Doch was für die Regierung, die Behörden und die Experten als ein notwendiger und sinnvoller Beitrag zum Schutz der Eisbären auf Svalbard betrachtet wird, stösst bei Tourismusverbänden und Interessenvertreter auf wenig Verständnis. Zwar will man ebenfalls den Schutz der Natur und der Tiere darin, aber der Weg dorthin und die Tatsache, dass man bei den vorbereitenden Gutachten aussen vorgelassen worden ist, sorgt für Irritation und Unmut. In einem offenen Brief in der lokalen Zeitung Svalbardposten fordern lokale Vertreter die Behörden und Regierung auf, mit allen Parteien ein neues, umfassendes und für alle Seiten akzeptables Ergebnis zu erzielen. Auch für den Eisbären, der zwar vor Gesundheit strotzt und trotzdem einer ungewissen Zukunft entgegenblickt.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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