Finnwale sind zwar «nur» die zweitgrössten Meeressäuger der Welt. Doch das macht sie nicht weniger faszinierend und geheimnisvoll. Denn unser Wissen über ihre Lebensweise ist immer noch lückenhaft, besonders wenn es um ihre Wanderrouten geht. Zwar sind bereits einige Arbeiten dazu für die Tiere auf der Nordhemisphäre erschienen, aber auf der südlichen Halbkugel, besonders für die Populationen zwischen dem Indischen bzw. pazifischen Ozean und der Ostantarktis, ist bisher nur wenig bekannt. Das hat nun ein internationales Forschungsteam geändert und zum ersten Mal eine detaillierte Karte erstellen können. Dabei hörten sie die Wege.
Mit Hilfe von über 800’000 Soundaufnahmen, die zwischen Australien und der Ostantarktis innerhalb der Jahre 2002 bis 2019 erstellt worden waren, konnte das Forschungsteam um Hauptautorin Meghan Aulich, Doktorandin an der Curtin Universität in Westaustralien, eine sehr detaillierte Karte mit den Wanderrouten der Finnwale zwischen Australien und Antarktika erstellen. Damit konnten die Forscherinnen und Forscher zum ersten Mal nachweisen, wohin die zweitgrössten Meeressäugetiere in diesem Bereich der Welt ziehen, wenn sie ihre jährliche Migration unternehmen.
An insgesamt 15 Standorten hatte die Australian Antarctic Division AAD, das neuseeländische Nationale Institut für Wasser und Atmosphärenforschung NIWA, die Curtin Universität und das australische Integrierte Meeresbeobachtungssystem IMOS Unterwasseraufnahmegeräte stationiert. Eine weitere Datenquelle war eine Station der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Atomversuchen CTBTO in Westaustralien. Alle diese Horchstationen lieferten 812’144 Aufnahmen von Finnwalen, die zwischen 2002 und 2019 in den Regionen rund um Australien und der Ostantarktis wanderten. «Indem wir der Meereswelt in den letzten zwei Jahrzehnten „zugehört“ haben, haben wir neue Erkenntnisse über die gegenwärtige Verbreitung und Migration von Finnwalen durch den Indischen, Pazifischen und Südlichen Ozean gewonnen», erklärt Meghan Aulich.
Dem Forschungsteam kam zugute, dass Finnwale in besonders tiefen Frequenzen kommunizieren. Klassisch liegen diese zwischen 15 und 30 Hertz. Menschliche Ohren können Unterwasser aber erst bei 500 Hertz Geräusche wahrnehmen. Obwohl tieffrequent, gehören Finnwale zu lautesten Tieren, da ihre Laute bis zu 186 Dezibel erreichen. Damit können die Geräusche über weite Strecken unter Wasser getragen werden. So konnte das Forschungsteam durch passives «Zuhören» die Wanderwege der Finnwale zwischen Australien und der Ostantarktis entdecken und die genaueren Aufenthaltsbereiche im Sommer und Winter kartieren. «Wir identifizierten zwei Migrationspfade, vom Indischen Ozean der Antarktis zur Westküste Australiens und vom Pazifiksektor der Antarktis zur Ostküste Australiens», sagt Meghan Aulich zu den Ergebnissen.
Besonders der Bereich zwischen dem Südlichen Kerguelen Plateau und der französischen Antarktisstation Dumont d’Urville ist nach Angaben der Studie bei den Walen beliebt, um den antarktischen Sommer zu verbringen. Danach wandern die zurück an die West- und Ostküste Australiens, wo sie sich zwischen Mai und Oktober aufhalten und sich paaren und ihre Jungen gebären. «Aus den akustischen Informationen, die wir in dieser Studie gewonnen haben, glauben wir, dass es eine begrenzte Vermischung zwischen den Walen auf den östlichen und westlichen Wanderrouten gibt, was ein vorläufiger Beweis für separate Subpopulationen zwischen dem indischen und dem pazifischen Sektor ist», erklärt Meghan Aulich auf die Frage nach Interaktionen zwischen den beiden Populationen.
Die Studie schliesst eine wichtige Lücke in den Schutzbemühungen der südlichen Finnwale. Denn während des kommerziellen Walfangbetriebes wurden im Südlichen Ozean insgesamt über 725’000 Tiere erlegt. Davon habe sich die Südpopulation bis heute weniger schnell erholt, als man bei der Erstellung des Walfangmoratoriums erhofft hatte. Experten gehen davon aus, dass nur etwa 40’000 Finnwale insgesamt in den südlichen Gewässern existieren. Doch gesicherte Zahlen gibt es nicht. Denn die schnellen Tiere verstehen es, sich oft den Augen der Wissenschaft in den Weiten des Südlichen Ozeans zu entziehen. Hier zeigt aber die Studie, dass dies nicht für die Ohren derselben gilt.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal