In der Vergangenheit sind Inuit, die ersten Bewohner der Arktis, von westlichen Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft bei deren Vorhaben und Aktivitäten in der Arktis meist übergangen worden und ihre Belange wurden missachtet. Der Inuit Circumpolar Council (ICC) erarbeitete daher Protokolle für das gleichberechtigte und ethische Einbeziehen der Inuit, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurden und sich an alle Entscheidungsträger, Politiker, Forscher und andere in der Arktis tätige Personen richten.
Die Arktis rückt zunehmend in den Fokus internationaler Interessen und es gibt immer mehr Diskussionen über den Klimawandel, die Erschließung von Ressourcen, die Ausweitung von Forschungsinitiativen und anderen Aktivitäten. Gleichzeitig finden internationale Verhandlungen darüber und über weitere Fragen wie Biodiversität, Schifffahrt, Tiere und Pflanzen und Ernährungssicherheit statt — alles Themen, die die Arktis und die Lebensweise der Inuit betreffen.
Der ICC bemängelt, dass Inuit-Gemeinschaften trotz ihres jahrtausendealten Wissens und bewährter nachhaltiger Praktiken nicht in gleichberechtigter und ethischer Weise in Aktivitäten, Diskussionen und politische Entwicklungen einbezogen wurden. «Als die ersten Bewohner und Verwalter der Arktis haben wir das Recht und die Verantwortung, unsere Umwelt und Kultur zu schützen», sagt James Stotts, Präsident von ICC Alaska. «Wir müssen uns auf unser Wissen stützen, um die Entscheidungsfindung in allen Angelegenheiten zu unterstützen.»
Mit den neuen Protokollen will der ICC sicherstellen, dass Inuit im Sinne von Gerechtigkeit und Ethik bei zukünftigen Entscheidungen an deren Spitze gestellt werden. In einer Erklärung des ICC vom vergangenen Freitag heißt es, dass die Protokolle einen Weg zum Erfolg für internationale Organisationen, Forscher, Entscheidungsträger und Politiker bieten.
«Wir halten an der Forderung fest, dass alle anderen unseren Status, unsere Rechte und unsere Rolle in Bezug auf alle Fragen, die uns betreffen, anerkennen», sagt Dr. Dalee Sambo Dorough, die internationale Vorsitzende des ICC, in einer Erklärung. «Das Gleiche gilt für die Ausübung unserer Selbstbestimmung in Bezug auf das ‘komplexe Wissen’, von dem der Gründer der ICC, Eben Hopson, 1977 sprach. Dieses Dokument legt Elemente der inhaltlichen und verfahrenstechnischen Grundlage für die Auseinandersetzung mit den Inuit und den vielfältigen Themen fest, die jeden Aspekt unseres Lebens als Inuit betreffen, einschließlich unseres Wissens.»
Inuit aus der gesamten Arktis entwickelten drei Jahre gemeinsam die acht EEE-Protokolle (Circumpolar Inuit Protocols for Equitable and Ethical Engagement), die im vergangenen Jahr in virtuellen Workshops von Delegierten aus Alaska, Kanada, Grönland und Tschukotka ausgearbeitet wurden. Jedes der Protokolle enthält Anleitungen und Richtlinien zur Erreichung gemeinsamer Ziele unter Wahrung der Souveränität und Selbstbestimmung der Inuit. «Unser erstes Protokoll kommt mit dem Schlüsselsatz: ‚Nichts über uns ohne uns‘. Es enthält alles: den Aufruf, das Prinzip, die Grundlage und die Regel. Ich glaube, dass unsere Protokolle uns helfen werden, mit allen in Harmonie zu leben», sagt Liubov Taian, Präsidentin des ICC Chukotka.
Die acht Protokolle im Überblick
- Nichts über uns ohne uns“ – immer gemeinsam mit den Inuit
- Indigenes Wissen als eigenes Recht anerkennen
- Gute Verwaltungspraxis
- Bewusste Kommunikation
- Verantwortung wahrnehmen – Vertrauen aufbauen
- Aufbau bedeutsamer Partnerschaften
- Informationen, gemeinsame Nutzung von Daten, Eigentum und Genehmigungen
- Gleichberechtigte Finanzierung von Inuit-Vertretung und Wissen
Dies gilt auch für wissenschaftliche Aktivitäten, wie Kuupik V. Kleist vom ICC Grönland beschreibt: «Jedes Frühjahr sehen wir Gruppen von Forschern in unser Dorf oder unsere Stadt kommen. Wir wissen nicht, was sie vorhaben, und erfahren auch nichts über ihre Forschungsergebnisse. Sie und wir würden davon profitieren, wenn wir die EEE-Protokolle befolgen würden.» Der ICC ist sich sicher, dass die Umsetzung der Protokolle auch zu einer höheren Qualität in der Forschung führen würde.
Neben der Forschung geht es jedoch auch darum, Entscheidungen zu treffen und Politik zu machen. «Organisationen und Institutionen wie der Arktische Rat und Einrichtungen der Vereinten Nationen sind eine wichtige Zielgruppe für den ICC», so Monica Ell-Kanayuk, Präsidentin von ICC Canada. «Die Entwicklung dieser internationalen Protokolle für die ethische und gerechte Einbeziehung von Inuit-Gemeinschaften und indigenem Wissen ist von grundlegender Bedeutung, um unsere Regierungsführung und unser künftiges Engagement in internationalen Foren voranzubringen.»
Julia Hager, PolarJournal
Link zum EEE-Protokoll (Englisch): https://www.inuitcircumpolar.com/project/circumpolar-inuit-protocols-for-equitable-and-ethical-engagement/